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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Okt 032012
 
Zuletzt geändert am 11.05.2013 @ 11:54

Politische Zwischenbilanz

Wolfgang Zängl
3.10.2012

Intro

Im Januar 2010 hat sich das Netzwerk NOlympia gebildet, und seit Februar 2010 gibt es die Webseite www.nolympia.de. Vielleicht hat sich mancher gewundert, warum wir uns mit diesem Thema auch nach dem Ende der Bewerbung München 2018 und dem Zuschlag an Pyeongchang im Juli 2011 weiter auseinandergesetzt haben und dies immer noch tun.

Wir setzen uns sehr wohl für den Breitensport ein. Während unserer Arbeit am Thema München 2018 und dem ganzen Sport-Umfeld wurde aber immer deutlicher, dass der Spitzen- oder Elitensport keine Ideale mehr verkörpert, sondern zu einer Geld- und Eventmaschinerie gemacht wurde: Er löst kein Problem, sondern ist Teil des Problems.

Unsere kritischen Beiträge zur Bewerbung München 2018, die Kurzanalysen in der Aktuellen Chronologie und unter Aktuelles oder die Stichworte im Kritischen Olympischen Lexikon (derzeit 139 Stichworte) haben den Anspruch, dies deutlich zu machen. Der hier thematisierte Spitzensport bildet mit all seinen negativen Konsequenzen einen immanenten Teil der auf Events fixierten und die Umwelt weitgehend ignorierenden Gesellschaft ab.

Im heutigen Industriesystem – in der Wirtschaft, bei den Banken, in der Politik, oft auch in der Kultur und in Reinform im Sport – blieb von einer vormals vielfältigeren und manchmal idealistischeren Zielsetzung im 21. Jahrhundert oft nur noch ein Topos übrig: der Profit. Geld machen. – Mehr Geld machen. – Noch mehr Geld machen.

Spitzensport existiert in einem System aus Kommerz, Materialismus und Egoismus: Das färbt auch auf die meisten Sportler ab. Da das System des globalen Elitensports inzwischen vom Geldverkehr dominiert wird, wurde der internationale Sport im Lauf der Jahrzehnte immer anfälliger – für Korruption, für Doping, für politische Einflussnahme gerade in totalitären Staaten, für Betrug. Dafür gibt es viele Beispiele, von denen wir auf nolympia.de etliche aufgeführt haben. Die Funktionäre der großen Sportverbände leisten dieser negativen Entwicklung Vorschub.

Das Thema Spitzensport hat vielfältige Dimensionen: Brot und (Olympische) Spiele, Verdrängung, Masseneffekte, Eventgesellschaft, Elitenbildung, Ausblenden von ökologischen und sozialen Problemen etc. Die Erde wird von den Machthabern auf ein ökologisches, ökonomisches und soziales Desaster hingesteuert.

Gleichzeitig werden trotz Klimawandel und zu Ende gehenden Ressourcen die Partys und Events und Sportereignisse immer größer und zahlreicher. Oder anders formuliert: Je drängender die von der Industriegesellschaft hervorgerufenen Probleme auf unserem Blauen Planeten Erde werden, umso mehr Party bieten die Verantwortlichen an.

In diesem System ist der Sport nur eine Variante: aber eine immer wichtigere, die noch dazu ein immenses Wachstum verzeichnet.

1 Ausgangslage

Ökonomische Krise
Spätestens seit 2008 ist klar, dass in der westlichen Welt der Bankensektor die Politik dominiert (too big to fail…). Die Krise des Bankensystems wurde hervorgerufen durch Neoliberalismus, durch das frei agierende Bankensystem – und die Banker selbst. Inzwischen hat diese Krise die USA und die EU-Länder komplett erfasst, Staaten haften mit hunderten Milliarden Dollar bzw. Euro u. a. für die Schulden der Banken. Die Verschuldung der Länder hat bisher ungeahnte Dimensionen erreicht und steigt weiter.

Soziale Krise
Die durch die Bankenkrise verursachten Maßnahmen bestehen überwiegend in Einsparungen bei den ärmeren Schichten. Lohnniveau und Sozialleistungen sinken, Sozialsysteme sind gefährdet, die Altersversorgung schwindet.
Regierungen sind oftmals untätig, unfähig, unrealistisch. Falls sie Maßnahmen erlassen, treffen diese nicht die Reichen – im Gegenteil.

Reiche bestimmen die Politik
– Die meisten europäischen Länder gehen inzwischen den Weg der USA: Die Reichen werden reicher, die Mittelschicht schrumpft, die Ärmeren werden ärmer – und immer mehr.
– Die Spielregeln werden zugunsten der Reichen verändert. Ein Beispiel aus den USA: Hier bestand für Lobbygruppen wie das Political Action Committee (PAC) eine gesetzliche Regelung, dass diese nur Höchstbeträge von 5.000 $ pro Kandidat und Wahl, 15.000 $ pro Partei und 5000 $ an ein anderes PAC jährlich spenden durften. Im März 2010 entschied der Oberste Gerichtshof der USA zugunsten sogenannter Super-Pacs: So werden PACs bezeichnet, die unbegrenzt Spenden annehmen dürfen, wenn sie die Mittel nicht direkt an Kandidaten oder Parteien weiterleiten. Spender müssen erst nach der Wahl genannt werden. Nun finanzieren mindestens elf Milliardäre den Wahlkampf 2012 des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, der selbst 250 Millionen US-Dollar besitzt (Dickinson 24.5.2012).
– Die USA sind nach Ansicht von Sozialwissenschaftlern inzwischen im Zeitalter der Oligarchie angekommen. Die amerikanischen Oligarchen nutzen ihren Reichtum zum Machterhalt und wandeln den Staat zur „formalen Demokratie“ um: Arme gehen nicht mehr zur Wahl, und die Mittelschicht verliert Einfluss (Müller 12.10.2012).
– Ein Beispiel aus Russland: Unter Jelzin stiegen viele der heutigen Oligarchen auf, bereicherten sich an verschleuderten Staatskonzernen und Rohstoffen und wurden Milliardäre. Sie bestimmen nun als Oligarchen Teile des gesellschaftlichen Lebens.
– Die Reichen müssen ihren Reichtum schützen: Sie leben zunehmend in streng geschützten Wohnsitzen oder in gesicherten Gated Communities. Der Sektor Privater Sicherheitsdienst verzeichnet hohe Wachstumsraten.

Reiche bestimmen den Sport
Milliardäre und Industriekonzerne in West und Ost kaufen sich auch immer stärker in den Sportbetrieb ein und übernehmen Fußball– und andere Vereine.
Der Milliardär Roman Abramowitsch (* 1966) investierte in den britischen Fußballverein FC Chelsea über 760 Millionen Euro. Der Verein wurde 2012 Gewinner der Champions League, und Abramowitsch wurde eindringlich von Wladimir Putin zur Kooperation bei der Fußball-WM 2018 aufgefordert, die in Russland stattfindet.
In der Ukraine gehört praktisch die gesamte erste Fußball-Liga einer Handvoll reichster Oligarchen. In Spanien und Italien gehören viele Mannschaften Konzernen und Industriellen.

Politische Krise
– Das politische System verliert nicht nur durch seine Politik für die Reichen Rückhalt.
– Die wenigsten Politiker sind kritisch, die meisten systemangepasst, macht- und karriereorientiert.
– Die demokratische Legitimation des Westens wird immer schwächer: durch die von den USA initiierten und von anderen westlichen Ländern mitgetragenen Angriffskriege, durch den ausgeweiteten Drohneneinsatz, durch Werteverletzungen wie das Guantanamo-Lager oder den Abu Ghuraib-Skandal, durch Finanzskandale.
– Die Dominanz des Bankensystems (unbegrenzte „Rettungsschirme“) und der großen Konzerne (rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen, bedingungslose Förderung von Energie etc.) entmündigt das politische System.
Naturschutz wird ausgehöhlt, drängende Zukunftsfragen werden ignoriert.
– Unruhen und Verteilungskämpfe drohen.
– Deshalb werden zunehmend Gegner kriminalisiert (Wikileaks, Sea Sheperd, Occupy, Pussy Riot etc. – siehe unten).
– Politik ist nach Murray Edelman zunehmend zum Ritual geworden. Staatliches Handeln hat nur noch eine symbolische Funktion: „Die Menge will Symbole, keine echten Nachrichten“ (Edelman S. 7).
– Politik und Politiker in den westlichen Demokratien und erst recht in den totalitären Staaten misstrauen ihrem Volk.
– Das politische System strebt keine logischen und dringend notwendigen Lösungen aus den Problemlagen an, sondern ist an einer Akzeptanz dieser Politik der Verantwortungslosigkeit interessiert: nach dem Prinzip „Weiter so“.
– Als Ventil bieten sich in steigendem Maß Groß-Sportevents an, die auch internationale Anerkennung liefern sollen. Das Fernsehen überträgt den Untertanen die Jubelbilder, die westliche Politiker oder östliche Diktatoren mit den Sporthelden und Verbandsoberen in inniger Verbundenheit zeigen. Deshalb sind für die Politiker in Demokratien und für die Herrscher in Diktaturen Sport-Großereignisse – und damit Sportfunktionäre – so wichtig.

Ökologische Krise
Nicht zuletzt und vielleicht am schwerwiegendsten ist der Raubbau und Ruin an der Natur. Hier nur einige wenige Beispiele:
– Die Folgen der Klimaerwärmung zeigen sich bereits in gravierenden Wetterphänomenen wie Gletscherschmelze, Zunahme von Extremereignissen und Verschiebung von Klimazonen. Der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt kontinuierlich.
– Das ursprüngliche Ziel, die Klimaerwärmung insgesamt auf zwei Grad zu begrenzen, wurde bereits wieder aufgegeben.
– Das durch den Klimawandel bedingte Abschmelzen der Arktis und anderer Gebiete beschleunigt den Kampf um die darunter liegenden Rohstoffe und fossiler Energien.
– Auf die weltweit zur Neige gehenden fossilen Energien und Rohstoffe wird falsch oder gar nicht reagiert. Der Luftverkehr hat immens zugenommen: Billigflüge boomen. Die Autoproduktion steigt. Deren Motoren werden jährlich stärker und größer. Der Absatz von Spritfressern wie Geländewagen nimmt noch weiter zu.
– Der kontraproduktive Ausbau der fälschlich als „Bio“ deklarierten Treibstoffe verschärft den Kampf Teller gegen Tank zu Lasten der Armen.
– Konsequenzen aus der Atomkatastrophe von Fukushima werden kaum gezogen. Die deutsche „Energiewende“ geht zwar in Richtung Atomausstieg, macht aber keine wirklichen Anstrengungen, Energie einzusparen. Dafür sollen für den Ausbau erneuerbarer Energien unbegrenzt Natur und Landschaften geopfert werden.
– Die weiter zunehmende Welt-Überbevölkerung wird bewusst oder besser bewusstlos hingenommen: Sinnvolle Konsequenzen werden nicht gezogen.
Das „Krisenmanagement“ der letzten Jahre vermittelt den Eindruck, als gäbe es einen politischen „Masterplan“ für die Entschärfung von Krisen durch die Propagierung und Steigerung von Events. Das Volk muss beschäftigt, beruhigt, ruhig gestellt und unterhalten werden. Der Sektor Brot und Spiele – respektive Fernsehen und Events – wird immer weiter ausgebaut. Damit landet man beim zweitausend Jahre alten System von „Brot und Spiele“ der römischen Kaiserzeit.

2 Panem et Circenses

(Auszüge aus: Karl-Wilhelm Weeber, Panem et circenses. Massenunterhaltung als Politik im antiken Rom, Mainz 1999; Seitenzahlen in Klammern; ausführlich im Kritischen Olympischen Lexikon unter Brot und Spiele.)

Panem et circenses: Brot und Spiele.
Damit bezeichnete der Satiriker Juvenal die Politik der römischen Kaiser gegenüber ihren Untertanen.. „Für diese zweifelhaften Geschenken so fügte er hinzu, hat das römische Volk sich die Macht abkaufen lassen, hat es auf seine Rechte als Souverän verzichtet“ (S. 2).
Es gab kostenlose Getreideverteilungen für rund 200.000 Bewohner Roms; dazu Massenunterhaltungen: grausame Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen, Wagenrennen im Circus Maximus, Schaukämpfe von Berufsathleten, eine breite Palette von Theateraufführungen, Thermenbesuche – und die Verteilung von Brotgetreide.
Weeber stellt fest: „Tatsächlich haben viele Kaiser darin gewetteifert, ihre Vorgänger an Pracht, Ausstattung und Häufigkeit der Spiele zu übertrumpfen“ (S. 3).

– Blutiger, tödlicher, mehr
„Je mehr dem Publikum geboten wurde, um so anspruchsvoller wurde es. Und das hieß für jeden Kaiser: Er musste bestrebt sein, den Volksmassen etwas Neues, schöneres, Aufwendigeres, Teureres, möglichst etwas noch nie Dagewesenes zu bieten“ (S. 16). Die Folge: Hunderte Gladiatoren verloren an den Circustagen ihr Leben, tausende wilde Tiere wurden hingemetzelt.
Die Brutalität der römischen Antike im Umgang mit Menschen, das Gemetzel im Circus ist erschreckend. Das grausame Hinschlachten von hunderten und tausenden von Tieren in den römischen Kampfstätten sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass heutzutage ein nicht weniger grausamer Umgang mit Tieren erfolgt: Von der Industrie verursachtes Artensterben und Ausrottung durch die von ihr verursachte Klimaänderung, durch flächendeckende Vergiftung, durch Vernichtung von Lebensräumen etc.

– Riesige Stadien
Das Colosseum, 72 bis 80 n. Chr. erbaut, hatte mindestens 50.000 Plätze.
Der Circus Maximus (um 100 n. Chr.) war 652 Meter lang, 184 Meter breit und hatte 250.000 Zuschauerplätze. Zum Vergleich: Camp Nou in Barcelona, das derzeit größte Fußballstadion Europas, hat rund 93.000 Plätze (S. 59f).
Das Pompejus-Theater wurde 55 n. Chr. erbaut: Es bot mit 180 m Länge und 135 m Breite 30.000 Sitzplätze.
Der Bau des Marcellus-Theater wurde von Caesar begonnen und von Augustus beendet: Es war 32 Meter hoch und bot Platz für 20.500 Zuschauer; der Zuschauerraum hatte 130 Meter Durchmesser.

– Unbezahlbare Spiele in der Not
Die Circusspiele wurden mit Schulden in Millionenhöhe erkauft. Je größer die Not, umso größer die Spiele: „Daher setzten ehrgeizige Herrscher selbst noch in der Krisenzeit des 3. Jahrhunderts n. Chr., als äußere Feinde das Reich bedrohten und im Inneren eine schlimme Wirtschaftskrise mit Not und Elend herrschte, alles daran, das Volk von Rom durch aufwendige munera zu unterhalten“ (S. 16).

Das Brot
C. Gracchus brachte 123 v Chr eine lex frumentaria, ein „Getreidegesetz“ ein. „Der Inhalt der Vorlage: Künftig sollte jeder römische Bürger das Recht haben, eine bestimmte Menge Getreide monatlich zu einem festen Preis zu kaufen“ (S. 156). 46 v Chr. begrenzte Cäsar den „Wildwuchs“ auf 150.000 Berechtigte. Augustus reduzierte im Jahr 2 v. Chr. die inzwischen wieder angewachsene Zahl von 320.000 auf 200.000 (S. 160f).
Weeber kommentiert: „Es gibt wohl keine bessere Bestätigung für die These, dass die Brot- und Spiele-Politik im Sinne einer permanenten ‚Bestechung’ der hauptstädtischen Masse und einer ständigen Gunstbuhlerei von Seiten des Kaisers das politische Fundament der römischen Kaiserzeit gewesen ist“ (S. 156).
Insgesamt galt laut Weeber: „Schauspiele, Getreidespenden und Geldgeschenke verschlangen Riesensummen“ (S. 170). „Für die ganz Reichen war die Organisation der beliebten Circusspiele eine Gelegenheit, sich zu profilieren und das eigene Geltungsbedürfnis zu befriedigen“ (S. 48.
Das gilt natürlich auch heute noch: Man denke heute an Lee Kun Hee/Samsung Südkorea, die Herrscher von Katar, das Politbüro von Peking, die Herren im russischen Kreml, etc.

-Entpolitisierung
Die Besucher des Circus tobten sich hier aus und wurden zu ruhigen, ungefährlichen Staatsbürgern (S. 54); „Zuschauerkundgebungen wirkten als eine Art Ventil“ (S. 152). Die Kaiser haben „systematisch eine Entpolitisierung der Römer dadurch angestrebt (.), dass sie sie durch den Einsatz ungeheurer Geldsummen ‚bei Laune’ halten, sich ihrer Gunst versichern wollten“ (S. 167).

3 Die Eventisierung der Welt

Solange die Musik laut genug ist, hören wir nicht, wie die Welt zusammenfällt.
(Filmplakat von “Jubilee”, Derek Jarman 1978)

– Parallelen zu Brot und Spiele der Römerzeit: Das Volk soll und muss seine Lage verdrängen. Entpolitisierung durch Eventisierung: Deshalb versuchen sich Spitzenpolitiker, Sportfunktionäre, aber auch die Kulturelite im 21. Jahrhundert, mit Events an der Macht zu halten: Sie organisieren Massen, Massenhysterie, Massenbegeisterung.
– Auch Events und Sport-Großevents im 21. Jahrhundert helfen mit, den Zusammenbruch der Welt zu überhören und zu übersehen. Sport und Popmusik dienen als neues „Opium fürs Volk“.
– Events wie der European Song Contest (2012 beim Diktator Ilham Alijew in Aserbaidschan) werden jedes Jahr mit größtem Aufwand auf niedrigstem Niveau bereitwillig angeboten – und vom Publikum offensichtlich angenommen. (Traurig, dass diese Diktatur von Politikern wie Hans-Dietrich Genscher auch noch hoffähig gemacht werden, vergleiche SZ 10.5.2013)
– Events sind eine Melange aus Macht, Geld, Ruhm, Eitelkeit: Deutschland sucht den Superstar, Germany’s Next Topmodel, Dschungelcamp, European Song Contest … Auch die Sport-Großevents sind ein Teil davon.
Olympische Spiele, Fußball-Weltmeisterschaften etc. sind eine gemeinsame Bühne für Elitensport und Popmusik, Politiker und Wirtschaftsführer, Funktionäre und Promis, Künstler und Sportler: Die Elite feiert sich.
– Vom Volksempfänger über das Sportfernsehen zum Public Viewing: Man muss sich nur die Eröffnungs- und Schlussfeiern von Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften ansehen, um die Zielrichtung zu erkennen. Der Einzelne ist ganz klein, ein Rädchen im Getriebe der großen Maschine – wie bei Public Viewing, Fanmeilen, Fanclubs.
– Die Sport-Events werden nicht nur ständig mehr, sondern auch schneller und größer – mit immer mehr High-Tech.
– Die Promotoren der Groß-Sportevents wie Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften verkaufen Gefühle und Stimmungen und verdienen damit Milliarden.
. Die Übertragungszeiten von Sport-Sendungen öffentlich-rechtlicher und privater Sender steigen ständig, vgl. Die Sport-Sender. Die TV-Gebühren finanzieren das Sport-Milliardengeschäft und sorgen für neue Sponsoren.
– Inzwischen ist eine richtige Event-Industrie entstanden – mit Agenturen, Managern, Lobbyisten etc.
– Olympische Sommer-/Winterspiele, Fifa-WM, Uefa Champions League, nationale Fußball-Ligen, unzählige Welt- und Europameisterschaften , etc.: Noch mehr Events, noch mehr Sport.
Der Weg zur Hölle ist mit Events gepflastert
Demokratische Staaten investieren Milliarden in Sport-Großevents, die nur wenigen zugute kommen. Diese Milliarden fehlen an vielen anderen Stellen.
Totalitäre Staaten investieren Milliarden in Sport-Großevents, während die Untertanen hungern: Und wenn dann ein Kasache, Chinese, Russe, Weißrusse auf dem Treppchen steht und im Fernsehen erscheint, bejubeln die Untertanen „ihren“ hochgepäppelten, hochgepamperten, hochbezahlten Eliteathleten, halten ihn für einen der ihren. Und vergessen darüber, dass sie in einer Diktatur leben.
– Die Propaganda einer Leni Riefenstahl und der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin werden ungeniert bei heutigen Groß-Sportevents wiederaufgegriffen: siehe zum Beispiel das Mercedes-Plakat zur Fußball-EM 2012, die imitierten Stadion-Flakscheinwerfer im aktuellen Trailer für die Uefa Champions League 2012; die zwei recht germanisch wirkenden Fußballer als Werbung für die Uefa Europa League im Sender Kabeleins mit dem Text: „Auf die Knie für König Fußball“.

4 Die Sportdemokratur

– Der Sport behauptet nur, unpolitisch zu sein: Er ist politisch und er verhält sich politisch! Siehe unter Aktuelles: Der Sport ist politisch.
– Die Sportfunktionäre RoggeBachBlatter-Platini etc. werden immer mächtiger: weil die Politiker sie gewähren lassen und sich des Sports bedienen.
– Die Globalisierung des Sports stärkt – nicht nur über Nationalhymnen und –fahnen, Nationenwertung, Fackeln etc. – nationalistische Tendenzen: Dies ist durchaus beabsichtigt.
– Der Sport verändert demokratische Länder: Diktaturen nähern sich nicht Demokratien an, sondern umgekehrt.
– Der IOCFifa-Uefa-Sport ist im wahrsten Sinn des Wortes „systemstabilisierend“: Leider stabilisiert er die falschen Systeme. So hilft er, Diktaturen „hoffähig“ zu machen: Die Verletzung von Menschenrechten, die brutale Verfolgung von Regimegegnern treten in den Hintergrund.
– Die Politik in westlichen Ländern, vor allem seit den katastrophalen Anschlägen vom 11. September 2001, wird zunehmend undemokratischer. Und die Zwangsherrschaft der totalitären Regimes wird zunehmend autoritärer. Die „unpolitischen“ Sportverbände gehen mit ihren Sport-Großevents immer öfter nach Russland, Weißrussland, Ukraine, Katar, Bahrain, China…
– Die Olympic Broadcasting Services (OBS) zeigen IOC-Bilder, der Host Broadcasting Service zeigt Fifa-Bilder, das „Weltbild“ zeigt Uefa-Bilder. Sie auch könnten den totalitären Systemen den weg weisen, wie Fernsehen geht: Gezeigt werden unkritische Bilder, heile Sportwelt, keine Proteste. Machthaber und Sportfunktionäre in ihren Stadionlogen mit den Eliten bleiben ausgeblendet. OBS und Weltbild ändern die Sichtweisen und Sehgewohnheiten auch der westlichen Demokratien.
Sport-Dauerberieselung: In französischen und italienischen Restaurants und Bars laufen inzwischen ganztätig Sportsender wie Canal Plus und Rai Sport und übertragen flächendeckend Sportveranstaltungen.
– Um die gesundheitliche Wirkung des Breitensports geht es schon lange nicht mehr, im Gegenteil. Der Breitensport wird nicht nur finanziell zugunsten des Elitesports zurückgefahren.
– Die früher offenkundigen Korruptionsskandale des IOC werden inzwischen überstrahlt von Blatters Fifa: Deswegen sind die IOC-Skandale nicht mehr so präsent, wenngleich existent.
– Seit Horst Dassler (Adidas), Juan Antonio Samaranch (IOC), Joao Havelange und Sepp Blatter (Fifa) sind IOC und Fifa ein fester Teil des korrupten Sportsystems, seit Michel Platini gehört auch die Uefa dazu.
– Durch die immer höheren staatlichen Zuwendungen und Einkünfte von Fernsehsendern und Sponsoren wird der internationale Sport zunehmend korruptionsanfällig.
– Das Dopingproblem wurde von den internationalen Sportverbänden an Wada und Nada delegiert: Es wird zunehmend ignoriert und sogar toleriert. (Siehe Blutdoping Erfurt)
– Die internationalen Sportevents verursachen massive ökologische Schäden: u. a. durch den massenhaften globalen Verkehr und gewaltige Mengen an CO2-Emissionen, sinnlose, nur für den kurzen Sportevent gebaute  Wettkampfstätten (White Elephants), die immense Summen kosten und vielfältige Folgeschäden verursachen.
– Mit ökologischen Scheinberechnungen wird versucht, die Schäden herunterzuspielen und die Sportevents als „klimaneutral“ darzustellen: reines Greenwashing. In Wirklichkeit verursacht der internationale Sportsektor eine erhebliche Belastung für Umwelt und Klima.
Wettkampf für alle: Unzählige Sportevents füllen das Jahr. Jede Menge Städte-Marathons, Grindelwalder Inferno-Triathlon, Ginzlinger Steinbocklauf, usw. werden durchgeführt. Auch die Kleinsportler dürfen ein bisschen Olympische Spiele spielen.

5 Sport-Materialismus

Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. Ach wir Armen!
Johann Wolfgang von Goethe, Faust

– Nicht erst seit, aber vor allem unter dem früheren IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, der die Abschaffung des Amateurs und die gnadenlose Kommerzialisierung des Profisports durchsetzte, wurde Sport zum weltweiten Milliardengeschäft.
– Im Jahr 2012 erwähnte die Fifa 1,3 Milliarden Dollar Rücklagen, das IOC berichtete von 460 Millionen Euro Rücklagen: Da waren die endgültigen Einnahmen von London 2012 noch nicht enthalten.
– Jeder der elf IOC-TOP-Sponsoren bezahlt derzeit für eine Dekade etwa 100 Millionen Dollar.
– Die Sportverbände erhöhen laufend die Zahl der Sportevents und die Gebühren für Übertragungsrechte; die Fernsehanstalten weiten die Sendezeiten aus; immer mehr Sponsoren werden angelockt.
Die Eventpolitik ist augenscheinlich erfolgreich. Millionen verfolgen die Sport-Großereignisse im Fernsehen. Bei der Fußball-EM 2012 gingen Hunderttausende auf Fanmeilen zum Public Viewing.
– Nur das Beste ist für die Sportfunktionäre gut genug. Schon 1992 schrieben Simson und Jennings: „Die olympischen Versammlungen sind eine unaufhörliche, atemberaubende Folge von Erste-Klasse-Flügen, Fünf-Sterne-Hotels, Champagner-Empfängen, extravaganten Banketten, Bergen von Geschenken und üppigen Unterhaltungsprogrammen“ (Simson, Jennings S. 24). Die „Olympische Familie“ des IOC und die „Fußball-Familie von Fifa-Blatter und überhaupt alle Sport-Familien frönen dem puren Luxus: Ein Leben zwischen Acapulco und Bali…
– Der Spitzensport und die leitenden Sportfunktionäre fördern die Elitenbildung: von den Eliteschulen des Sports bis zu den topp verdienenden Jungmillionären. Die Spitzensportler selbst sind hochbezahlte Marionetten des Eliten-Systems.

6 Worum es in Wirklichkeit geht

– Die Events helfen mit, dass sich die Bevölkerung nicht um ihre eigenen Nöte oder die Lage der Welt kümmert. Die Massen werden entpolitisiert – wie im alten Rom. Von Brot und Spiele zu Fernsehen und Event.
Etwas Widerstand wird erlaubt: Umweltorganisationen und Naturschützer dürfen ein bisschen mitspielen. Aber die große Linie geben die Konzerne vor.
– Wirklicher Widerstand wird bekämpft. Wer dem System gefährlich wird, endet in der Kriminalisierung. Dazu zwei Beispiele, wie das System seine Gegner ausschaltet:

Julian Assange, Wikileaks
Gegen Wikileaks-Gründer Assange wurde wegen angeblicher Vergewaltigung von den schwedischen Behörden ein europäischer Haftbefehl ausgestellt. Assange flüchtete im Juni 2012 in die Botschaft von Ecuador in London und erhielt Asyl. Das britische Außenministerium drohte der ecuadorianischen Regierung mit der Festnahme von Assange in der Botschaft. Bei einer Auslieferung an die USA kann Assange von mehrfach lebenslanger Gefängnisstrafe bis zur Hinrichtung verurteilt werden. Die wahren Absichten Schwedens zeigten sich, als es von den USA eine Garantie forderten, Assange im Fall einer Auslieferung nicht hinzurichten.
Das System reagierte auch gegen Wikileaks selbst: Mastercard und Visa verweigerten die Spendenabwicklung für Wikileaks, Amazon kündigte Serverkapazitäten. Wikileaks veröffentlichte Anfang Juli 2012 Emails des syrischen Regimes, wonach der Westen den Unterdrückungsapparat von Diktator Baschar al-Assad auf- und ausgerüstet hat.

Paul Watson, Sea Sheperd Conservation Society
Der militante Umweltschützer Watson gründete 1977 die Walschutz-Organisaton See Sheperd und bekämpfte Shark-Finning (das Flossenabhacken bei Haien) und die Walfangflotten von Japan und anderen Walfang-Nationen, die ihn jahrelang vor Gericht zerren wollten. Sea Sheperd betont Gewaltfreiheit bei den Aktionen, auch wenn versucht wurde, Walfänger und illegal fischende Fangflotten zu rammen.
Anfang 2011 erklärte der zuständige japanische Minister den Walfang in der Arktis für beendet: Durch Aktionen von Sea Sheperd wurden nur 170 statt der geplanten 850 Wale „zu wissenschaftlichen Zwecken“ getötet  werden. Deren Tötung aus kommerziellen Gründen ist seit 1982 verboten: Deshalb töten die Japaner zu angeblich „wissenschaftlichen“ Zwecken.
Am 13. Mai 2012 wurde Watson in Frankfurt auf Antrag von Costa Rica festgenommen – wegen einer angeblichen Verletzung des Seeverkehrsrechtes in Costa Rica im Jahr 2002 beim Drehen des Films „Sharkwater – Wenn Haie sterben“. Zwischen dem südamerikanischen Land und Deutschland besteht kein Auslieferungsabkommen. Nach Zahlung von 250.000 Euro Kaution kam er am 18 Mai 2012 gegen Meldeauflagen wieder auf freien Fuß. Am 19 Juli 2012 stellte die japanische Küstenwache ein Auslieferungsgesuch. 70 Tage nach seiner Freilassung, am 22. Juli 2012, erschien Watson nicht mehr bei der Frankfurter Polizei.
Seit August 2012 wird Watson mit einer Red Notice von Interpol zur Verhaftung gesucht.

Fazit

a) In den westlichen Demokratien wird das Staatsverhalten zunehmend restringierter. Im Osten verstärken sich totalitäre Strukturen – in Richtung von Putins „lupenreiner Diktatur“ (Spiegel): Putin lässt Systemgegner verfolgen wie die Putin-kritische Frauen-Punkband Pussy Riot und Bürgerrechte radikal beschneiden.
b) Das Bankensystem wird geschützt: Es kann seine Gewinne privatisieren und seine Verluste sozialisieren.
c) Die Reichen werden reicher, die Mittelschicht nimmt ab, der Anteil der Armen wächst rapide: Die westlichen Demokratien befinden sich auf dem Weg des US-Systems.
d) Die US-Präsidentschaftskandidatur ist längst eine Materialschlacht der Reichen: Ein Kandidat für 2012 wird mindestens eine halbe Milliarde US-Dollar benötigen.
e) Wirkliche Oppositionsgruppen werden kriminalisiert und existentiell geschädigt.
f) Die Sport-Demokratur unterstützt autoritäre Bestrebungen in demokratischen Demokratien und kooperiert zunehmend mit totalitären Staaten, in denen immer mehr Groß-Sportevents stattfinden.
 Aus diesen Gründen wird www.nolympia.de weiter über die Vorgänge im Sportsektor berichten – wenn auch aufgrund der aktuell ruhigeren Lage derzeit etwas weniger ausführlich.

Ausgewählte Quellen:
Augstein, Jakob, Das System schlägt zurück, in spiegelonline 20.8.2012
Brössler, Daniel,, Mein Freund, der Diktator, in SZ 10.5.2013
Dickinson, Tom, Right-Wing Billionaires Behind Mitt Romney, in Rolling Stone 24.5.2012
Edelman, Murray, Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns, Frankfurt/New York 1976
Ericson, Matthew, Park, Haeyoun, Parlapiano, Alicia, Willis, Derek, Who’s Financing the ‘Super PACs, in nytimes.com 7.5.2012
Jüttner, Julia, Wo ist Watson, in spiegelonline 6.9.2012
Kistner, Thomas, Fifa Mafia, Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfussball, München 2012
Klüver, Reymer, Kampf der Super-Pacs, in sueddeutsche.de 17.1.2012
Menden, Alexander, Wikileaks stellt E-Mails des syrischen Regimes ins Netz, in SZ 6.7.2012
Müller, Jan-Werner, Ressourcen der Macht, in SZ 12.10.2012
Oldag, Andreas, Botschaft vom Balkon, in SZ 20.8.2012
Schweden fordert Garantie, in SZ 22.8.2012
Sea-Sheperd-Gründer in Frankfurt festgenommen, in spiegelonline 14.5.2012
Simson, Vyv/Jennings, Andrew, Geld, Moral und Doping – Das Ende der olympischen Idee, München 1992
Weeber, Karl-Wilhelm, Panem et circenses, Massenunterhaltung als Politik im antiken Rom, Mainz 1999
Weiss, Marlene, Widmann, Marc, Auf der Flucht, in SZ 26.7.2012
Widmann, Marc, Ins Netz gegangen, in SZ 15.5.2012
Wikipedia
Zaschke, Christian, Nowhere Man, in SZ 17.8.2012
Zaschke, Christian, Herrmann, Gunnar
– Ein allerletzter Aufschub, in SZ 31.5.2012
– Gefangen im Asyl, in SZ 18.8.2012

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