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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Jun 202016
 
Zuletzt geändert am 20.09.2017 @ 17:35

20.6.2016, aktualisiert 20.9.2017
Folgt ab 8.8.2018 unter: Rio 2016 und Doping

Vergleiche auch: Laborchef von Sotschi 2014 packt aus; Die Wada-Untersuchung; Hickey, Pat

Wetten dass … die russischen Sportler in Rio 2016 dabei sein werden? schrieb ich Mitte Juni 2016. Schon sind sie seit 24.7.2016 dabei. Leider hat niemand gegen mich gewettet…
Es ist doch interessant, was den Sport-Spezln Wladimir Putin und Witalij Mutko, Thomas Bach und Sebastian Coe alles eingefallen ist – und noch einfallen wird, um die russischen Sportler KOMPLETT in Rio 2016 antreten zu lassen. IOC-Präsident Thomas Bach hatte seinen privaten „Olympic Summit“ am 21.6.2106 tagen lassen: alles Sport-Kumpels. Und schon waren die russischen Sportler in Rio 2016 (wieder) dabei.

Es bleibt in der olympischen Familie
Wenn der Sport „wieder Vertrauen in seine Bilder schaffen will, muss er die Doping-Kontrollen aus den nationalen Agenturen lösen. Und einer unabhängigen Welt-Anti-Doping-Agentur übertragen, die nicht nur observiert, sondern kontrolliert, mit eigener Ermittlungseinheit. Ohne Personal, das auch in Sportverbänden wirkt. Craig Reedie, der seit 2013 die Wada leitet, ist gleichzeitig Vizepräsident des IOC, also Teil jenes Geschäfts, das er mit seiner Agentur durchleuchten soll. Da hält die olympische Familie im Zweifel lieber zusammen“ (Knuth 17.6.2016).
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Intro (I): Whistleblowerin gesperrt

„Im Dezember 2012 erhielt die Welt-Anti-Doping-Agentur eine  Email einer olympischen Sportlerin aus Russland. Sie ersuchte um Hilfe. Die Sportlerin, eine Diskuswerferin namens Darya Pishchalnikova, hatte vier Monate vorher eine Silbermedaille bei  den Olympischen Sommerspielen in London gewonnen. Sie  teilte mit, dass sie auf Weisung der russischen Sport- und Anti-Doping-Verantwortlichen verbotene Drogen genommen und dass sie Informationen über systematisches Doping in ihrem Land hat. Bitte untersuchen Sie dies, flehte sie die Wada im Email an, das in Englisch abgefasst war. ‚Ich möchte mit der Wada kooperieren‘, stand in der Email. Aber die Wada, die globale Instanz für Doping im olympischen Sport, begann keine Untersuchung… Es sandte die Email von Frau Pishchalnikova an russische Sportfunktionäre… In ihrer  Email aus dem Jahr 2012 nannte Frau Pishchalnikova Dr. Rodschenkow, den Direktor des Anti-Doping-Labors, dessen Einrichtung erst kürzlich von der Wada wegen verdächtiger Testergebnisse ausgemustert wurde. Sie sagte, er würde den von Steroiden versuchten Urin von Athleten durch sauberen Urin ersetzen. (…) Vier Monate, nachdem Frau Pishchalnikova der Wada gemailt   hat, wurde sie vom russischen Leichtathletikverband für zehn Jahre gesperrt. Sie hat sich von Wettbewerben und aus dem Leben in Russland zurückgezogen. Versuche, sie zu erreichen, waren erfolglos“ (Ruiz u. a., 15.6.2016; Übersetzung WZ).

Intro (II): Goldmedaillengewinner bei London 2012 gedopt
„Vier Goldgewinner im Gewichtheben von London 2012 sind bei Doping-Nachtests des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) positiv getestet worden. (…) Die Kasachen Ilja Iljin (94 Kilogramm), Sülfija Tschinschanlo (53 kg), Maja Manesa (63 kg) und Swetlana Podobedowa (75 kg) drohen nun Sperren. (…) Neben den vier kasachischen Olympiasiegern betrifft die mögliche Aberkennung ihrer Medaillen auch den Olympia-Zweiten Apti Auchadow aus Russland sowie die Bronzemedaillen-Gewinnerinnen Julja Kalina (Ukraine) und Marina Schkermankowa (Weißrussland)“ (DPA SZ 17.6.2016).

– Russische Leichtathleten werden gesperrt
„Bereits im November 2015 suspendierte der Leichtathletik-Weltverband IAAF den russischen Leichtathletikverband WFLA. Es war eine Reaktion auf einen mehr als 300 Seiten umfassenden Bericht der Welt-Doping-Agentur Wada, in dem ausführlich die systematischen und zum Teil auch vom Staat getragenen Dopingmethoden beschrieben wurden. Eine Sperre, die im März verlängert wurde und an der sich auch in der nächsten Zeit nichts ändert“ (Dudek 17.6.2016).

– Russische Methoden ändern sich nicht
Der Sport preist gerne seinen Anti-Doping-Kampf, aber dieser angebliche Kampf ist und war meist ein Anti-Doping-Management. (…) In diesem prekären Klima wird der Chor derer lauter, die fordern, Russlands Athleten aus Rio zu verbannen. Zum einen, weil sich in den Skandalen vieles bündelt, was von einem der größten Raubüberfälle auf die Werte des Sports erzählt. Zum anderen, weil vieles darauf hindeutet, dass der Betrug bis zuletzt anhielt – während in den Hinterzimmern an einem Kompromiss gearbeitet wurde, um Russland, das viele Funktionäre und viel Geld bewegt, nicht zu sehr zu brüskieren. Das Council wird die Sperre am Freitag dem Vernehmen nach nicht aufheben, aber es könnte Einzelnen eine Hintertür öffnen. (…) ‚Das sind keine vergleichbaren Bedingungen für Nationen mit funktionierenden Kontrollsystemen‘, sagt Clemens Prokop, der Präsident des deutschen Verbands. Am Mittwoch berichtete die Wada, dass zwischen Februar und Mai 736 externe Kontrollen in Russland scheiterten, weil Tester von Athleten und Geheimdienstarbeitern massiv behindert wurden. Eine Läuferin flüchtete offenbar während ihres Rennens aus dem Stadion, weil sie die Kontrolleure erspäht hatte. Eine andere Leichtathletin habe spontan versucht, den Kontrolleur zu bestechen. (…) Wenn die IAAF nun über Russland richtet, sagt DLV-Chef Prokop, ‚stellt sich auch die Glaubwürdigkeitsfrage für die Zukunft‘. Aber im Grunde kann die Leichtathletik auch mit einer Verbannung kaum Glaubwürdigkeit zurückerlangen, schon gar nicht der gesamte Sport“ (Knuth 17.6.2016).

– 17.6.2016, 16:49: Russische Leichtathleten gesperrt
„Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat die Sperre der russischen Leichtathleten auf unbestimmte Zeit verlängert. Das bestätigte IAAF-Präsident Sebastian Coe. Damit ist eine Teilnahme der Sportler an den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen“ (spiegelonline 17.6.2016).

– Russland ist unschuldig
Russlands Sportminister Witalij Mutko äußerte dazu: ‚Wir sind verärgert. Unschuldige Menschen wurden wegen schuldiger bestraft‘, sagte er demnach“ (Ebenda).
Das ist bedingt richtig: Schuldig sind die russischen Sportfunktionäre, die diesen systematischen Betrug organisiert und zu verantworten haben, der Kreml, der dies sehr wahrscheinlich direkt angeordnet hat und die Helfer aus Medizin, Presse und Propaganda.
Ähnlich äußerte sich Wladimir Putin: „Es kann keine Kollektivverantwortung aller Athleten geben. Das ganze Team kann nicht verantwortlich gemacht werden für einen Einzelnen, der gegen die Regeln verstoßen hat“ (Ebenda).
Der Einzelne – das soll einzelne (schuldige) Sportler suggerieren und nicht das von ganz oben angeordnete Staatsdoping.
Putin bestritt jedes systematische und vom russischen Staat organisierte Doping: ‚Es gibt keine Unterstützung der Regierung für Regelverletzungen im Sport, besonders nicht in der Frage des Dopings, und es kann auch keine geben“ (Ebenda).
Das ist schlicht unwahr – siehe dazu die Aussagen von Rodschenkow und die Rolle des russischen Geheimdienstes FSB.
„Laut der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada gab es in der russischen Leichtathletik flächendeckendes, systematisches Doping. Positive Kontrollen wurden vertuscht, zudem konnten sich Leichtathleten von Verdachtsfällen freikaufen. Funktionäre und Trainer haben demnach den Betrug gefördert. Neben den Sportlern waren im vergangenen Jahr auch Russlands Anti-Doping-Labor sowie die russische Anti-Doping-Agentur Rusada suspendiert worden, Russlands Leichtathletik-Präsident Walentin Balachnitschew musste zurücktreten“ (Knaack 17.6.2016).

– Doch keine Fortschritte in Russland
„Zuletzt hatte Präsident Coe von ‚Fortschritten‘ gesprochen, die Wada kam jedoch in ihrem jüngsten Bericht zu einem anderen Schluss. Demnach seien von Februar bis Mai dieses Jahres insgesamt 736 geplante Dopingproben aus unterschiedlichen Gründen nicht durchgeführt worden. Zudem berichtete die Wada von eklatanten Versäumnissen vieler Athleten bei der Angabe des Aufenthaltsorts“ (Ebenda). – „Trotz der von Sportminister Wladimir Mutko angekündigten Reformen berichtete die Wada jüngst von mangelhaften Fortschritten. Hunderte von Dopingkontrollen konnten demnach aus den unterschiedlichsten Gründen nicht durchgeführt werden, Kontrolleure sollen zudem von Beamten des russischen Geheimdiensts FSB eingeschüchtert worden sein. Laut ARD-Recherchen sollen zudem bekannte Strippenzieher des russischen Dopingsystems weiter im Einsatz sein – Mutko bestreitet das“ (Knaack 17.6.2016).

– Die Statuten
In Regel 45 des Ethik-Codes des Leichtathletik-Weltverbands steht: „Das IAAF-Council kann Strafen gegen ein Mitglied des Weltverbands verhängen, wenn es gegen die Anti-Doping-Regeln verstößt“ (Knaack 17.6.2016). Folgende Strafen sind für Mitglieder möglich: Suspendierung, Geldstrafen, Streichen von Zuschüssen oder Subventionen, Ausschuss von einem oder mehreren internationalen Wettbewerben, Verweigerung von Akkreditierungen“ (Ebenda).

– Entscheidung nicht unbedingt endgültig
„Jein. Formal hat das Internationale Olympische Komitee Hausrecht bei den Olympischen Spielen, kann also das Urteil des Leichtathletik-Weltverbands überstimmen. Für kommenden Dienstag ist eine Sitzung der IOC-Spitze mit Vertretern der Spitzenverbände angesetzt, auf der über die Kollektivstrafe beraten wird. Doch IOC-Präsident Thomas Bach hatte bereits vor der IAAF-Entscheidung angekündigt, dem Urteil des Leichtathletik-Weltverbands zu folgen. Er sprach von einer ‚Null-Toleranz-Politik‘ gegenüber Dopingsündern. Alles andere wäre laut Experteneinschätzung ein offener Angriff des IOC auf die IAAF“ (Ebenda).

– Stabhochspringerin Issinbajewa uninformiert
„Die Tür für Ausnahmen ist nur einen winzigen Spalt breit geöffnet, hat der Norweger Rune Andersen in Wien gesagt, der Chef der IAAF-Taskforce, die einen überzeugenden Bericht vorgelegt hat. Stars wie Jelena Issinbajewa, die Putin-treue Olympiasiegerin im Stabhochspringen, werden kaum durch diesen Spalt schlüpfen können. Issinbajewa, die vor drei Jahren nicht nur die unerträglichen Anti-Homosexuellen-Gesetze in Russland verteidigte, sondern die faktenbasierten Berichte der Weltantidopingagentur Wada und zahlreiche investigative Medienberichte als „politisch motiviert“ bezeichnete, wird im Papier der Taskforce auch erwähnt – und als Propagandistin enttarnt. Denn in Gesprächen mit der Taskforce stellte sich heraus, dass Issinbajewa die Wada-Berichte nie gelesen hatte“ (Weinreich 17.6.2016).

– Doch russisches Staatsdoping
Aus einem Kommentar von Jens Weinreich in spiegelonline: „Der 15 Seiten umfassende Bericht der Taskforce ergänzt die vielen hundert Seiten der beiden Wada-Berichte und die zahlreichen Enthüllungen – wie zuletzt in der BBC, in der ‚New York Times‘ und in der ARD – perfekt. Nie zuvor in der Geschichte des olympischen Sports konnte ein staatlich organisiertes Dopingsystem zeitnah so gut beschrieben werden. (…) Das russische System, dessen Wurzeln in der Sowjetunion liegen, wird vom Sportministerium bis heute geschützt – auch dafür liefert das Papier der IAAF weitere Belege. Wer die Augen vor all diesen Beweisen, Aussagen und Indizien verschließt – wie Issinbajewa, wie russische Staatsmedien und Putin-Trolle im Internet – der kann in der Diskussion nicht ernst genommen werden. Am 15. Juli wird der nächste umfassende Bericht der Wada vorgelegt. Hat die Beibehaltung der Sanktionen gegen den russischen Verband die Lage an der Dopingfront nachhaltig verbessert? Natürlich nicht. Das kriminelle System in der IAAF muss strafrechtlich aufgearbeitet werden. Die Doppelpässe hoher Funktionäre des IOC und der Wada mit Russland müssen eingestellt und sportjuristisch sanktioniert werden – Ethikregeln geben da einiges her. Das internationale System der Dopingfahndung steht weiterhin vor dem Kollaps. Viele ehrliche Sportler, die jahrelang von den Russen (und anderen) betrogen wurden, werden nie den Lohn ihrer Arbeit bekommen. Sie bleiben bis ans Lebensende betrogen“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
Jelena Issinbajewa stritt Tage später im Spiegel jegliches russische Staatsdoping ab: „Wenn  jemand in unserem Sport zu verbotenen Substanzen greift, ist  das immer seine ganz individuelle Entscheidung. (…) In Russland gibt es kein Dopingsystem. Das sage ich Ihnen“ (Eberle, Schirokow 25.6.2016).

– Russland macht weiter
„‘Der russische Leichtathletikverband WFLA bleibt weiterhin auf unbestimmte Zeit suspendiert‘, erklärte IAAF-Präsident Sebastian Coe am Freitagabend in Wien, wo das Council des IAAF über die Fortschritte der Russen im Anti-Dopingkampf beriet. Damit bleiben die russischen Leichtathleten weiterhin von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, was auch die Teilnahme an den im August beginnenden Olympischen Spielen in Rio unmöglich macht. ‚An der Kultur des Dopings und daran, dass es toleriert wird, hat sich bis heute nichts geändert‘, sagte Rune Andersen, Vorsitzender der IAAF-Taskorce, auf der Pressekonferenz zur Begründung. Dabei haben russische Sportfunktionäre in den vergangenen Tagen noch das Gegenteil behauptet. ‚Wir haben alle 44 Reformforderungen des IAAF erfüllt‘, sagte noch am Montag Gennadi Aljeschin, Präsidiumsmitglied des russischen NOK. Dass Mutkos Beteuerungen zum Teil nur hohle Phrasen sind, zeigt der jüngste Bericht der Wada. (…) Von Dopingkontrolleuren, die bei ihrer Arbeit sowohl von Sportlern als auch von Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes FSB behindert wurden, ist in dem am vergangenen Mittwoch publik gewordenen Bericht die Rede. Ebenso von Sportlern, die ihren Aufenthaltsort verheimlichen oder von Versuchen, Dopingproben zu manipulieren. Bei diesen Erkenntnissen blieb dem IAAF quasi keine andere Wahl, als die Suspendierung des WFLA aufrechtzuerhalten. (…) Tatjana Lebendewa, ehemalige Vize-Präsidentin des russischen Leichtathletikverbandes und Weitsprung-Olympiasiegerin von 2004, sagte: ‚Die Politik siegte über den Sport‘“ (Dudek 17.6.2016; Hervorhebung WZ).
Stimmt. Das russische staatliche Systemdoping hat über den ehrlichen Sport gesiegt.

– Aus einem Kommentar von Sara Peschke in nzz.ch: „Russland gelobte Besserung und versicherte, sich an die Auflagen der Wada zu halten. Nun, ein gutes halbes Jahr später, ist klar: Viel ist nicht passiert, im Gegenteil. Weitere Recherchen der ARD zeigten, dass noch immer jene Trainer aktiv waren, die offiziell eigentlich nicht mehr arbeiten durften, sie trafen und trainierten die Athleten einfach im Geheimen. Anfang Mai berichtete der frühere Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, Gregori Rodschenkow, in der ‚New York Times‘ von systematischem Doping während der Olympischen Winterspiele in Sotschi, unter anderem mithilfe des Geheimdienstes FSB. Und vor wenigen Tagen erst, also kurz vor der Entscheidung des IAAF-Councils über den Bann der russischen Athleten, gab die Wada bekannt, dass 736 in Russland geplante Dopingkontrollen zwischen dem 15. Februar und dem 29. Mai nicht durchgeführt worden seien. Kontrolleure seien von Athleten und Geheimdienstmitarbeitern massiv behindert worden. Kurz: Der russische Sport hat das grosse Frachtschiff Weltsport mit voller Wucht gegen seinen versteckten Eisberg prallen lassen – und gehofft, dass es irgendwie keiner merkt. (…) Denn die Enthüllungen der vergangenen Monate haben nicht nur gezeigt, dass das Anti-Doping-System in Russland krankt beziehungsweise weitgehend inexistent ist. Sie haben auch dargelegt, dass internationalen Kontrollinstanzen wert- und nutzlos sind. Was bringt ein von der Wada überwachtes russisches Anti-Doping-Labor in Sotschi, wenn es sämtliche Überwachung umgehen kann? Richtig: nichts. Genau dort müsste das IOK ansetzen, um effektiven Anti-Doping-Kampf zu leisten“ (Peschke 17.6.2016).

18.6.2016

IAAF-Bericht zu russischem Staatsdoping
„Zwar hätte der Verband ’signifikante Fortschritte‘ gemacht, sagte Rune Andersen, der jene Kommission geleitet hatte, die die Reformen in Russland inspizierte. Allerdings sei er noch immer auf eine tiefwurzelnde Toleranz für Doping und Betrug gestoßen, bis hin zu Cheftrainer Juri Borsakowski. Den hatten Russlands Funktionäre im vergangenen Jahr als Gesicht der neuen, angeblich porentief reinen russischen Leichtathletik vorgestellt. Laut Andersens Bericht bestritt Borsakowski, dass Russlands Leichtathletik überhaupt ein Dopingproblem habe. Nach den bulgarischen Gewichthebern sind die russischen Leichtathleten nun jedenfalls der zweite Fachverband, der wegen massiven Dopingproblemen von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wird. Der Bann sei ’nicht verhandelbar‘, sagte Coe, ehe Andersen erklärte, dass es doch Spielraum für Verhandlungen gebe: Athleten, die sich zuletzt einem ‚effektiven Anti-Doping-Programm‘ außerhalb des russischen Systems bzw. im Ausland unterzogen hätten und dies bis Rio weiter tun, dürfen bei der IAAF eine Zulassung beantragen, unter neutraler Flagge. (…) Die finale Entscheidung über mögliche Schlupflöcher trifft am kommenden Dienstag das Internationale Olympische Komitee (IOC). Letztlich gab Andersen zu, einen zentralen Konflikt nicht lösen zu können: ab wann ein Anti-Doping-System als effektiv und glaubwürdig gilt. ‚Fünf, zehn oder hundert negative Tests bedeuten nicht, dass ein Athlet sauber ist, das hat uns die Geschichte gelehrt‘, sagte er. Frei übersetzt: Der aktuelle Anti-Doping-Kampf des Sports ist mittlerweile derart in seiner Glaubwürdigkeit zertrümmert, dass man so oder so keinem mehr trauen kann. (…) Russlands Sportministerium gab sich derweil wenig einsichtig. Man sei ‚extrem enttäuscht‘, man habe doch alles getan, um das Vertrauen der internationalen Sportgemeinde zu gewinnen, hieß es von dort. Das war eine mutige Interpretation. Sie ignorierte den Hinweis der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), wonach zuletzt 736 Tests in Russland scheiterten, weil externe Kontrolleure massiv behindert wurden. Das konnte Sportminister Witali Mutko natürlich nicht unkommentiert lassen: ‚Die Kontrolleure müssen uns nur informieren – aber wartet damit nicht bis zur letzten Minute!‘ Das Prinzip der unangekündigten Tests scheint noch nicht ganz bis ins höchste Sportgremium Russlands vorgedrungen zu sein (Knuth 18.6.2016; Hervorhebung WZ).

– Dazu aus einem Kommentar von Thomas Kistner in der SZ: „Und Pounds Münchner Kehrtwende? Wird durch seine Vita erklärt. Der Kanadier ist Wada-Gründungspräsident und IOC-Alterspräsident. Der jetzige Wada-Chef Craig Reedie sitzt im IOC-Vorstand, ist Brite und wie Coe in der Dopingaffäre mit entlarvender Nähe zu Moskaus Potentaten aufgefallen. Natürlich ist auch Coe eng mit Thomas Bach, als dessen Nachfolger an der IOC-Spitze er sogar galt: Shakespeare und Goethe, werden sie geneckt. Familie halt. So nennt sich das Netzwerk selber, das den Sport beherrscht. Nun fliegt auf, dass Coe vor der Russen-Affäre Hinweise auf Doping und Korruption erhalten habe, aber die brisante Mail nicht gelesen haben will. Auch soll ihm der von Interpol gesuchte Diack für die Thronwahl Voten aus Afrika besorgt haben. Prompt spielt Coe wieder routiniert den ahnungslosen Lord. Man sollte seine Ausflüchte schlicht ignorieren – so wie er, wenn er Betrugshinweise erhält. Die Causa Coe zeigt: In IAAF, Wada und dem Dachgremium IOC läuft alles genauso krumm ab wie im Bruderverband Fifa. Der Spitzensport hat kein Problem mit Doping oder Korruption, mit sinistren Sportlern oder Agenten, auch nicht mit gierigen Sponsoren oder den Figuren, die auf russischer Staatsseite offenbar die Manipulation steuern. Der Sport hat nur eine echte Wundstelle, an der sich alle Probleme entzünden: Sein Führungspersonal. Funktionäre, die all das ermöglichen, die Korruption zur Geschäftsbasis und den Dopingkampf zur Propaganda gemacht haben. Dieses Geschäftsmodell ist nur geschützt, wenn der Betrug abgesichert wird. Daher sind es stets nur Medien oder staatliche Fahnder, die etwas im Sumpf aufdecken; nie der Sport selber. Vergesst die neue Sanktion gegen Russland – sie wird vor Rio garantiert noch aufgeweicht; es werden Russen dabei sein. Vergesst dopende Sportler. Schaut nur auf die Funktionäre: Auf die Familie“ (Kistner 18.6.2016).

– Russland lenkt ab
„Einen Tag nach der Olympia-Sperre für Russlands Leichtathleten hat die russische Justiz Ermittlungen gegen Whistleblower Grigorij Rodtschenkow eingeleitet. Ihm werde Machtmissbrauch vorgeworfen, sagte Wladimir Markin, Sprecher der russischen Ermittlungsbehörde. Das staatliche Untersuchungskomitee bestätigte die Eröffnung eines Verfahrens gegen den in die USA geflüchteten Ex-Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors. Rodtschenkow hatte im Mai schwere Vorwürfe gegen die verantwortlichen Stellen seines Heimatlandes wegen der Manipulation von Dopingkontrollen bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi erhoben. Demnach sollen die Gastgeber die Dopingkontrollen mehrerer Dutzend russischer Athleten, darunter 15 Medaillengewinner, gegen negative Urinproben vertauscht haben. Die Ermittlungsbehörden sehen jedoch ein Fehlverhalten bei dem ehemaligen Chef des Moskauer Doping-Kontrolllabors und späteren Whistleblower. (…) ‚Rodtschenkow versucht, durch seine Behauptungen eigene Versäumnisse und persönliches Fehlverhalten zu vertuschen. Sein Verhalten hat den gesetzlich geschützten Interessen des russischen Staates großen Schaden zugefügt und die russische Anti-Doping-Politik diskreditiert‘, heißt es in einer offiziellen Mitteilung“ (spiegelonline 18.6.2016).

– Alle russischen Sportler draußen?
„Es wäre die nächste historische Entscheidung: Nach dem Ausschluss der russischen Leichtathleten von den Olympischen Sommerspielen in Rio könnte es noch weitere russische Sportverbände oder gar das gesamte russischen NOK treffen. Bei einer Telefonkonferenz hat das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Sonnabend den Beschluss des Councils des Weltverbandes der Leichtathleten (IAAF) vollumfänglich begrüßt, die Sperre des dopingverseuchten russischen Verbandes aufrecht zu erhalten“ (Weinreich 18.6.2016).

– Putin redet mit
Für den 21. Juni hat IOC-Präsident Thomas Bach zum so genannten Olympic Summit nach Lausanne geladen. Teilnehmer dieses Meetings erklärten SPIEGEL ONLINE, im Mittelpunkt des Olympiagipfels werde, so ihre Erwartung, die Frage stehen, ob das russische NOK komplett oder zumindest weitere Sportarten auszuschließen seien. Die Agenda legt allerdings der IOC-Präsident fest, der sich, davon gehen die hohen Sportfunktionäre aus, zuvor mit Russlands Präsident Wladimir Putin beraten wird. Bach und Putin sind sich geradezu freundschaftlich verbunden. Putin hat 2013 die Inthronisierung Bachs im IOC unterstützt und am Freitag den IAAF-Bann Russlands scharf kritisiert“ (Ebenda).

– Kanadischer Ermittler Richard McLaren
„McLaren ermittelt im Auftrag der Wada, die selbst schwer unter Druck geraten ist, und will seinen Bericht am 15. Juli vorlegen. (…) Russland hat seit 2010, seit dem Amtsantritt des NOK-Präsidenten Schukow nicht nur die Winterspiele, die Paralympics und die Weltstudentenspiele (Universiade) ausgetragen, sondern 18 Weltmeisterschaften in vierzehn olympischen Sportarten, darunter Schwimmen und Leichtathletik. Alles steht unter akutem Manipulationsverdacht. Wada-Sonderermittler McLaren wird auf diese Sportarten und die Rolle der nationalen und internationalen Verbände eingehen müssen. IOC-Präsident Bach weiß um die Gefahren des McLaren-Berichts. Der Kanadier legt sein Papier zunächst dem schwer in Erklärungsnot geratenen Wada-Präsidenten und IOC-Vize Craig Reedie vor. Ob der Brite, der gemäß eines enthüllten Email-Austausches mit dem russischen Sportministerium kollaborierte, es wagt, in dieser einzigartigen Situation den McLaren-Report zu schönen? Ob McLaren eine Manipulation hinnehmen würde?“ (Ebenda).

20.6.2016

– Wer ist in Russland am empörtesten?
„Es hat übers Wochenende offenkundig eine Art innerrussischer Überbietungswettkampf eingesetzt, welcher Politiker, Funktionär oder Athlet nach dem Ausschluss der nationalen Leichtathleten für die Sommerspiele in Rio de Janeiro die harscheste Wortwahl findet. Staatspräsident Wladimir Putin bezeichnete die Sanktion als ‚unfair‘, die Stabhochsprung-Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa empörte sich über eine ‚Menschenrechtsverletzung‘, und Sportminister Witalij Mutko drohte, dass die Disqualifikation noch Konsequenzen haben werde.  Aber womöglich müssen sich Putin & Co. noch ein bisschen Steigerungspotenzial für ihre verbalen Beschwerden lassen. Denn nachdem am Freitagabend der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) die weitere Suspendierung des russischen Verbandes und damit das faktische Aus für die Sommerspiele beschloss, intensiviert sich nun auch noch eine andere Debatte: Warum trifft es eigentlich nur die Leichtathleten und nicht mehr Verbände des offenkundig dopingverseuchten Riesenreiches? ‚Das IOC ist gut beraten, über einen Gesamtausschluss Russlands nachzudenken‘, sagte etwa der deutsche Leichtathletik-Chef Clemens Prokop. (…) ‚An der Kultur des Dopings und daran, dass es toleriert wird, hat sich bis heute nichts geändert‘, sagte Rune Andersen, Leiter der IAAF-Untersuchungsgruppe. Das offenkundigste Argument ist die Tatsache, dass in den vergangenen Monaten gleich 736 unabhängige Dopingproben nicht wie geplant durchgeführt werden konnten.  (…) Russland will sich gegen die Sanktionierung der Leichtathleten nun wehren. Dem Argument, die Kollektivstrafe sei gegenüber einzelnen unschuldigen Sportlern unfair, widersprach schon IAAF-Mann Andersen energisch. Das sei nichts im Vergleich zur Ungerechtigkeit gegenüber den nichtrussischen Athleten, die aufgrund des Dopingmissbrauchs russischer Mitbewerber in den vergangenen Jahren um Medaillen und Preisgelder gebracht worden seien. (…) Der IOC-Vorstand stellte sich am Samstag zwar hinter die Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbandes und am Dienstag gibt es in der Ringe-Zentrale ein weiteres Beratungsgespräch über Nationen, die gegen den Wada-Code verstoßen. Aber das Verhältnis zwischen IOC-Chef Bach und Russlands Staatspräsident Putin ist traditionell gut“ (Aumüller, Johannes, Radikale Lösung auf dem Tisch, in SZ 20.6.2016).

Dazu aus  einem Kommentar von Claudio Catuogno in der  SZ: „Im Report der internationalen Kontrolleure, die Russlands Athleten seit November überwachten, steht jede Menge Entlarvendes. Sportler wurden sogar in militärische Sperrgebiete verfrachtet, Inspektoren bekamen keinen Zutritt. Geheimdienstler schüchterten Besucher ein, 736 Dopingtests scheiterten. Sportminister Witali Mutko meinte dazu: ‚Die Kontrolleure müssen uns nur informieren. Aber nicht in letzter Minute.‘ Auch solche Einlassungen offenbaren, wie die Verhältnisse sind. Russland will vorab von den Kontrollen informiert werden. Die Untersuchungskommission will sogar beweisen können, dass Vertuschungsaufträge aus dem Sportministerium ergangen seien. Bei der WM 2013 in Moskau soll das Labor unter staatlicher Regie Dopingfälle ebenso vertuscht haben wie 2014 bei den Winterspielen in Sotschi. Auch der in die USA geflohene Laborchef bestätigt das. (…) Wladimir Putin hat Freund Thomas Bach signalisiert, er erwarte ‚eine Reaktion des IOC'“ (Catuogno 20.6.2016).

21.6.2016

– Wie viele russische Sportler werden ausgeschlossen?
„Über allem aber steht der Betrug bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi, als gemäß Aussagen des langjährigen russischen Dopinglaborchefs Grigori Rodschenkow Hunderte Dopingproben ausgetauscht wurden, darunter von mindestens fünfzehn russischen Medaillengewinnern. Die Ergebnislisten der Sotschi-Spiele werden mit großer Sicherheit umgeschrieben. Das Dopingkontrollsystem bei mehr als einem Dutzend olympischer Weltmeisterschaften in den vergangenen Jahren in Russland wird überprüft. An der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) scheint sich die Überzeugung durchzusetzen, dass die Nichtzulassung des Nationalen Olympischen Komitees Russlands (ROC) für die Olympischen Sommerspiele im August in Rio de Janeiro die angemessene Antwort auf den staatlich organisierten Sotschi-Skandal wäre. Verantwortlich für den gigantischen Olympiabetrug sind gemäß bisherigen Erkenntnissen das russische Sportministerium, das ROC, die sogenannte Anti-Doping-Agentur Rusada und der Geheimdienst FSB. Sogar der schwer in die Kritik geratene IOC-Vizepräsident Craig Reedie, zugleich Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, hat am Montag in London auf einem Symposium für Medienvertreter ‚beispielgebende Entscheidungen‘ angekündigt“ (Weinreich 21.6.2016).

– Athletensprecher fordern energische Sanktionen
„Die Athletensprecher des IOC haben sich schon vor einigen Wochen schriftlich an die Präsidenten von IOC und Wada gewandt und im Namen von tausenden Sportlern eine lückenlose Aufklärung und energische Sanktionen gefordert. Dieser Brief hat im olympischen Binnenklima Wirkung hinterlassen. Die Sportler hätten das Vertrauen in die Führung von IOC und Wada verloren, schrieben Scott und Bokel. Vor dem Olympic Summit in Lausanne wurden die gewählten Athletenvertreter von IOC-Boss Bach nicht in dessen Überlegungen eingeweiht“ (Ebenda).

– Russische Athleten wollen vor dem Cas klagen
„Russlands Leichtathleten wollen gegen ihren Ausschluss von den Olympischen Spielen juristisch vorgehen und Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof einlegen. Das gab der Chef des russischen Olympia-Komitees, Alexander Schukow, am Dienstag bekannt. Der Einspruch werde im Namen aller Athleten eingereicht, die noch nie gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen hätten, sagte Schukow. Der russische Leichtathletikverband werde die Interessen und Rechte aller Athleten schützen, die unschuldig seien und keine verbotenen Substanzen eingenommen hätten. Schukow hoffe, dass das Sportgericht eine objektive, faire und gerechte Entscheidung treffe“ (spiegelonline 21.6.2016).

– Bachs Trick mit dem „Olympic Summit“
„Für den 21. Juni hat IOC-Präsident Thomas Bach zum so genannten Olympic Summit nach Lausanne geladen. (…) Die Agenda legt allerdings der IOC-Präsident fest, der sich, davon gehen die hohen Sportfunktionäre aus, zuvor mit Russlands Präsident Wladimir Putin beraten wird. Bach und Putin sind sich geradezu freundschaftlich verbunden. Putin hat 2013 die Inthronisierung Bachs im IOC unterstützt und am Freitag den IAAF-Bann Russlands scharf kritisiert.  Der Olympic Summit in Lausanne hat keinerlei Beschlussrecht und wird im IOC-Grundgesetz, der Olympischen Charta, nicht einmal erwähnt. Bach hat diese Treffen im Herbst 2013 nach seiner Amtsübernahme eingeführt und legt die bislang wechselnde Teilnehmerschaft selbst fest. Neben einigen Top-Vertretern des IOC, etwa die vier Vizepräsidenten sowie die Athletensprecherin Claudia Bokel (Deutschland), sind stets auch die Präsidenten der Vereinigungen aller Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und der Dachorganisationen der olympischen Sportverbände dabei, also beispielsweise Bachs Wahlhelfer Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah aus Kuwait. Stammgäste sind zudem die NOK-Präsidenten aus den USA (Larry Probst) und aus Russland (Alexander Schukow). (…) Schukow ist Präsidiumsmitglied in Putins Partei Vereinigtes Russland und stellvertretender Vorsitzender der Duma. Er wurde 2010 nach dem desaströsen Abschneiden Russlands bei den Winterspielen in Vancouver installiert – vier Jahre später belegte Russland Rang eins der Nationenwertung bei den Heimspielen in Sotschi“ (Weinreich 18.6.2016; Hervorhebung WZ).
Dazu Jens Weinreich in spiegelonline: „Die Zusammensetzung dieses Olympic Summits, der in der Olympischen Charta nicht auftaucht und folglich keinerlei Beschlussrecht hat, wurde vom IOC zuvor nicht bekanntgegeben. Aus guten Gründen: Denn mit Ausnahme der IOC-Athletensprecherin Claudia Bokel, die zuletzt mehrfach fundamentale Kritik am Dopingkontrollprogramm sowie der Führung von IOC und Wada geübt hatte, hatte Bach ausnahmslos seine Gefolgsleute geladen. Dazu zählten beispielsweise der Ire Patrick Hickey, der kurz zuvor die europäische Athletenkommission auf Linie gebracht hatte, oder die Präsidenten der Weltverbände der Leichtathletik (IAAF) und des Schwimmens (Fina), Sebastian Coe (Großbritannien) und Julio Maglione (Uruguay). IAAF und Fina haben nachweislich mit den Russen gedealt und nicht nur rund um die Weltmeisterschaften 2013 in Moskau (Leichtathletik) und 2015 in Kazan (Schwimmen) das Dopingkontrollsystem untergraben. (…) Diese handverlesene Runde von 18 Personen (Maglione war telefonisch zugeschaltet) beriet nun also die Frage der Zulassung für die Olympischen Spiele 2016 – und entschied angeblich einstimmig, obwohl der Summit keinerlei Beschlussrecht hat. Bach verkündete anschließend eine sogenannte Deklaration von fünf Punkten. Russland wird demnach in Rio ein Team stellen“ (Weinreich 21.6.2016b). Dazu kam noch der Ire Patrick Hickey, der die European Games 2015 in der Aserbaidschan-Diktatur durchführen ließ, dazu der angeschlagene Leichtathletik-Präsident Sebastian Coe und der zugeschaltete, übel beleumdete Präsident des Welt-Schwimmverbandes, Julio Maglione sowie zwei Vertreter des Staats-Dopinglandes China (Weinreich 21.6.2016b). „Die Zusammensetzung dieses Olympic Summits, der in der Olympischen Charta nicht auftaucht und folglich keinerlei Beschlussrecht hat, wurde vom IOC zuvor nicht bekanntgegeben. Aus guten Gründen: Denn mit Ausnahme der IOC-Athletensprecherin Claudia Bokel, die zuletzt mehrfach fundamentale Kritik am Dopingkontrollprogramm sowie der Führung von IOC und Wada geübt hatte, hatte Bach ausnahmslos seine Gefolgsleute geladen“ (Ebenda).

– Der „Olympic Summit“ beschließt, was er gar nicht darf
Das russische Staats-Dopingsystem mit Hilfe vom Geheimdienst FSB und dem Kreml ist längst Allgemeinwissen. Aber auf seinem selbst gestrickten „Olympic Summit“ lobt IOC-Präsident Thomas Bach die Rolle des russischen Nationalen Olympischen Komitees bei der vermeintlichen Aufklärung.
Dazu aus einer Analyse von Jens Weinreich in spiegelonline: „ROC-Präsident Alexander Schukow, unter dessen Regie Russland in der Medaillenwertung der Winterspiele 2014 in Sotschi einen märchenhaften Sprung auf Rang eins gemacht hatte, saß am Dienstag beim sogenannten Olympic Summit in Lausanne mit Bach im Konferenzraum des Palace Hotels. Und Schukow, offenbar mitverantwortlich für die Manipulation olympischer Dopingproben im Kontrolllabor in Sotschi, klärte nicht etwa auf, sondern attackierte seine Kritiker. (…) Diese handverlesene Runde von 18 Personen (Maglione war telefonisch zugeschaltet) beriet nun also die Frage der Zulassung für die Olympischen Spiele 2016 – und entschied angeblich einstimmig, obwohl der Summit keinerlei Beschlussrecht hat. Bach verkündete anschließend eine sogenannte Deklaration von fünf Punkten. Russland wird demnach in Rio ein Team stellen. Die Sperre des russischen Leichtathletikverbands, ausgesprochen vom Weltverband IAAF, bleibt bestehen. Alle überführten Doper, ihre Trainer, Betreuer und Ärzte, sollen umgehend gesperrt werden. IOC-Präsident Thomas Bach verlor aber kein Wort über die mitverantwortlichen Sportpolitiker wie Sportminister Witali Mutko oder seinen IOC-Kollegen Alexander Schukow. Bach behauptete, er habe in den vergangenen Tagen keinen Kontakt zu Wladimir Putin gehabt. Den Bericht des kanadischen Sonderermittlers Richard McLaren, der sich auf den Betrug des olympischen Kontrollsystems in Sotschi konzentriert, wartet Bach nicht ab. Damit werde man sich später befassen. Irgendwann nach Rio. Am 8. Oktober werde auf dem nächsten Olympic Summit über eine Neustrukturierung des weltweiten Dopingkontrollsystems beraten, 2017 soll die nächste Weltantidopingkonferenz stattfinden.(…) Noch einmal: Dieser Olympic Summit hat gemäß olympischer Charta keinerlei Beschlussrecht. Mit der Deklaration von Lausanne wies die Bach-Gefolgschaft nun aber den Ausweg für Rio. Während die IAAF am Freitag noch erklärte, russische Leichtathleten könnten, wenn sie überzeugend ihre Sauberkeit nachweisen und einer weiteren Überprüfung standhalten, nur unter neutraler Fahne in Rio teilnehmen, sagte Bach am Dienstag: Für Olympia zugelassene Russen starten selbstverständlich unter der Flagge ihres Landes und ihres NOK. Im Grunde wird damit die Olympiateilnahme der Whistleblowerin Julia Stepanowa verhindert“ (Weinreich 21.6.2016b; Hervorhebung WZ).

22.6.2016

– Über Schlupflöcher und juristische Hintertüren
Johannes Aumüller in einem Beitrag in der SZ: „Aus dem Auditorium kam die Frage, ob er in den vergangenen Tagen in einem persönlichen oder telefonischen Kontakt mit Russlands Präsident Wladimir Putin gestanden habe. Bach sagte also: ‚Nein, und diese Spekulation erzeugt eh ein Lachen in meinem Gesicht.‘ (…) Nun bekundete Bach zwar, er respektiere die Entscheidung der IAAF, aber es sei das gute Recht eines jeden, vor den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) zu ziehen. Prompt kündigte Alexander Schukow, Chef des russischen olympischen Komitees (NOK), diesen Schritt an, noch während Bach seine Pressekonferenz abhielt. ‚Russische Athleten, die niemals gegen Anti-Doping-Regeln verstoßen haben, werden sich wie der Leichtathletikverband an den Cas wenden, um die eigenen Interessen zu schützen und die Interessen von anderen sauberen Athleten‘, sagte Schukow. Das russische NOK werde diese Klagen unterstützen, ‚um russische Athleten vor einer Diskriminierung zu schützen’“ (Aumüller 22.6.2016).
Wer redet eigentlich von der Diskriminierung sauberer Sportler durch die doping-verseuchten russischen Athleten und Athletinnen?
„Zwar gab es erst kürzlich einen ähnlichen Fall, als der Cas einen kollektiven Olympia-Ausschluss aller bulgarischen Gewichtheber durch deren Weltverband bestätigte. Aber nun bleibt abzuwarten, wie der umstrittene Gerichtshof in Russlands Fall urteilt. Russischen Leichtathleten, die sich außerhalb des eigenen Landes auf Doping testen ließen, will das IOC ohnehin den Olympiastart erlauben. Und wie viele russische Sportler es am Ende dieser sportpolitischen Ränkespiele auch sein mögen – sie dürfen in jedem Fall unter russischer Flagge starten. (…) Bemerkenswert war zudem, dass Bach mehrfach das russische NOK für dessen Hilfe und bedeutende Rolle bei den Untersuchungen der IAAF lobte. Dessen Präsident Schukow ist ein Vertrauter von Staatschef Putin, diente ihm früher als Vize-Premier, und in seiner Funktion als NOK-Boss war er Teilnehmer des ‚Olympic Summit‘. Bachs Interpretation der NOK-Rolle dürfte die Autoren des Leichtathletik-Reports, vorsichtig formuliert, erstaunt haben“ (Ebenda).
Der „Olympic Summit“ – ein Kunstprodukt des Juristen Thomas Bach, das  es laut Olympischer Charta gar nicht gibt und von daher nichts zu entscheiden hat. Immerhin – auf diese aberwitzige Konstruktion muss man erst einmal kommen: Eine juristische Vorbildung ist hier natürlich hilfreich.

Und aus einem Kommentar von Thomas Kistner in der SZ: „Unterm Strich durfte nichts anderes erwartet werden vom Internationalen Olympischen Komitee, dem Dachgremium des modernen Pharmasports. Verblüfft hat nur das Tempo und die Ungeniertheit, in der IOC-Chef Thomas Bach Wochen vor Veröffentlichung eines brisanten Untersuchungsreports des Kanadiers Richard McLaren zu staatlich orchestriertem Doping in Russland die Causa auf Hausmacherart regelte: Schluss! Unter den Teppich damit! (…) Am Dienstag hat der Boss des Olymps den Instrumentenkoffer geöffnet, ein sehr erhellender Sportmoment: Bach legte in seltener Deutlichkeit dar, wie glatt seine Hinterzimmerpolitik funktioniert. (…) ‚Nachweislich saubere‘ Leichtathleten dürfen doch in Rio starten. Nachweislich sauber? Das ist ein Witz, nur zwei Gründe dafür seien kurz genannt: Intensiv gedopt wird ja Monate vor den Spielen, in der heißen Wettkampfvorbereitung. Wer es jetzt noch nicht getan hat, braucht nicht mehr damit anzufangen. (…) Zweitens weiß jeder Betroffene, dass ihm Tests in den Wochen bis Rio blühen. (…). Russische Topathleten werden dabei sein, und das ist nur das eine. Denn was taugte Putins Sportlern selbst eine olympische Generalamnestie plus Dopingfreigabe, wenn ihnen doch das Schlimmste drohte: dass sie unter neutraler, olympischer Flagge starten müssten? Was brächte da das tollste Staatsdoping?  Ruhig Blut. Bachs sportpolitischer Besteckkoffer hat auch hier das Passende: Da ist ja noch Russlands Nationales Olympisches Komitee. Das hat niemals was mitgekriegt und sich all die Zeit so vehement an der Aufklärung beteiligt, dass es nicht gesperrt wurde! (…) Aber klar: Auf den Dreh mit dem russischen NOK war niemand gefasst. Nun lässt sich die Regellage so darstellen, dass ein intaktes NOK seine Sportler unter der Landesflagge starten lassen darf. Bachs armes IOC ist da übrigens machtlos(Kistner 22.6.2016).

23.6.2016

– Russen starten für Russland, basta
„Am Dienstagmittag hatte IOC-Boss Bach nach einem Treffen mit ausgewählten Funktionären der olympischen Welt mal wieder beschworen, wie ernst es mit dem Anti-Doping-Kampf sei. Doch das, was er vortrug, waren eher Belege fürs Gegenteil. Er kam den Interessen des chronisch verseuchten russischen Systems entgegen. Er ignorierte weitgehend, dass Mitte Juli eine von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) beauftragte Expertengruppe um den Kanadier Richard McLaren einen weiteren Bericht vorlegt, der das Bild des Dopingsumpfes noch deutlich schärfer zeichnen dürfte. Und er schaffte es, den Starthoffnungen der Kronzeugin Stepanowa einen weiteren Schlag zu versetzen. Gemäß Entscheid des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) sollen Stepanowa sowie andere russische Athleten, die sich zuletzt außerhalb von Russlands marodem Testsystem bewegten, trotz der Suspendierung des nationalen Verbandes in Rio starten dürfen – unter olympischer, also neutraler Flagge. Das Ansinnen korrigierte Bachs Gremium. Russlands Olympisches Komitee (ROK) sei nicht suspendiert, also gebe es für alle Startberechtigten einen Start unter russischem Banner. (…) Gemäß Entscheid des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) sollen Stepanowa sowie andere russische Athleten, die sich zuletzt außerhalb von Russlands marodem Testsystem bewegten, trotz der Suspendierung des nationalen Verbandes in Rio starten dürfen – unter olympischer, also neutraler Flagge. Das Ansinnen korrigierte Bachs Gremium. Russlands Olympisches Komitee (ROK) sei nicht suspendiert, also gebe es für alle Startberechtigten einen Start unter russischem Banner. Das ist aus Stepanowas Sicht doppelt bedauerlich. Zum einen müsste sie so just im Namen des Landes und des Sportsystems laufen, dessen Dopingpraktik sie aufdeckte – und das sie immer noch als Verräterin sieht. Zudem bräuchte sie eine Nominierung durchs ROK. Und dessen Chef Alexander Schukow, ein alter Vertrauter von Staatschef Wladimir Putin und ausstaffiert mit einem wichtigen Posten in Bachs IOC, stellte klar, dass es die nicht gebe. “ (Aumüller, Kistner 23.5.2016).

– Hajo Seppelt zum Verhältnis IOC und Wada
Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt hat mit seinen TV-Dokumentationen das russische Staatsdoping aufdecken helfen. Zum Interessenskonflikt in der Sportwelt sagte er: „… was in der Politik mittlerweile als No-Go gilt, ist im Sport immer noch üblich, die totale Vermengung der Interessen: Der Vizepräsident des IOC ist gleichzeitig Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Das ist so, als würde der Chef eines Zigarettenkonzerns gleichzeitig dem Nichtraucherbund vorstehen“ (Dörries, Bernd, Erntezeit, in SZ 23.6.2016).

24.6.2016

– Gewichtheber aus Russland, Weißrussland und Kasachstan gesperrt
„Zumindest einige internationale Fachverbände geben sich in diesen Tagen als Vorreiter im Anti-Doping-Kampf, die es mit dem breitflächigen russischen Manipulationssystem aufnehmen. Zunächst schloss der Leichtathletik-Weltverband Russland von den Sommerspielen in Rio de Janeiro aus. Und nun will dem auch der Vorstand der Internationalen Gewichtheber-Föderation (IWF) folgen. Sie kündigte eine einjährige Sperre für Russland sowie Kasachstan und Weißrussland an – ein Olympia-Start von Athleten aus diesen drei Ländern wäre nicht mehr möglich. (…) Die Gewichtheber versuchen seit einiger Zeit, in ihrer traditionell chronisch verseuchten Sportart aufzuräumen. Schon im vergangenen Jahr schlossen sie den bulgarischen Verband wegen zu vieler Dopingfälle für Rio aus und erhielten das Plazet für diese Sperre durch ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes (Cas). Aufgrund von Dopingfällen in der olympischen Qualifikationsphase entzog die IWF zudem verschiedenen Verbänden Quoten-Startplätze für die Sommerspiele“ (Aumüller 24.6.2016). Der Ausschluss der Gewichtheber aus Russland, Weißrussland und Kasachstan erfolgte aufgrund von Nachproben Peking 2008 und London 2012.  „… 54 davon fielen positiv aus. Besonders häufig waren Gewichtheber betroffen. Daher entschied sich nun die IWF, alle Nationen mit drei oder mehr Befunden in diesen Nachtests zu sanktionieren – und darunter fielen Kasachstan, Russland und Weißrussland. Die Verantwortlichen in Moskau reagierten erbost über das Urteil gegen ihre ‚Stangisty‘, wie die Heber auf Russisch so schön heißen. Sportminister Witalij Mutko sagte, es gebe hier eine ‚Psychose‘ und eine Anordnung, die sich außerhalb der Rechts-Prinzipien und -Normen bewege. (…) Eine andere Möglichkeit ist, dass sich in den Disziplinarverfahren beim IOC (oder eventuell danach beim Cas) auch noch die Zahl der Sünder von damals reduziert. Sollten aus Russland, Kasachstan oder Weißrussland dann weniger als drei Athleten übrig bleiben, würde der jeweilige Verband der Kollektiv-Strafe entgehen“ (Ebenda).

25.6.2016

In der SZ listen Johannes Aumüller und Thomas Kistner (Der Sumpf und seine Untiefen, SZ 25.6.2016) die wichtigsten Fragen auf, in Auszügen u. a.:
Wie viele Russen gehen bei den Spielen in Rio (5. – 21. August) an den Start? – Das ist unklar. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Regie von Thomas Bach verzichtete trotz des Dopingsumpfs darauf, die komplette Mannschaft auszuschließen. Russlands Zuständige nominieren ihren endgültigen Kader erst am 21./22. Juli.“
Wer könnte fehlen? – Aufgrund nachgewiesener Dopingvergehen sind aus den olympischen Sportarten derzeit knapp 100 Russinnen und Russen gesperrt. Der Leichtathletik-Weltverband beschloss den quasi kollektiven Ausschluss der Russen. (…) Eingedenk der russischen Einflüsse in vielen Föderationen und der sportpolitischen Realität ist kaum anzunehmen, dass viele Ausschlüsse erfolgen.“
Wie steht es um den Kollektiv-Ausschluss der russischen Leichtathleten? – Die Sanktion ist aktuelle Beschlusslage des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. Es gibt aber zwei dicke Fragezeichen. Zum einen wendet sich Russland an den obersten Sportgerichtshof (Cas). (…) Zweitens lässt die IAAF eine Ausnahme zu: Russische Athleten, die sich zuletzt außerhalb des nationalen Testsystems bewegten und weitere Kriterien erfüllen, dürfen starten. Am Donnerstag veröffentlichte die IAAF ihre Vorgaben: Einige sind schwammig formuliert.“
Unter welcher Fahne starten die zugelassenen russischen Leichtathleten in Rio? – Definitiv unter russischer. Die IAAF verfügte zunächst einen Start unter neutraler Flagge. Das IOC korrigierte das – über den Dreh, dass zwar Russlands Leichtathletik-Verband, aber nicht Russlands nationales Olympisches Komitee (ROK) gesperrt sei. Für Russlands Führung um Staatschef Wladimir Putin dürfte das ein zentraler Punkt sein: Russische Athleten, die unter neutraler Flagge Medaillen abräumen, wirken nach innen kontraproduktiv.“
Wäre ein Kollektiv-Ausschluss der Athleten gerechtfertigt? – Ja. Das sagte sogar der Cas jüngst in einem ähnlich gelagerten Fall. Der Weltverband der Gewichtheber disqualifizierte Bulgariens Verband, der Sportgerichtshof bestätigte das. Auch verweisen viele Leichtathleten aus anderen Ländern darauf, wie ungerecht es über all die Jahre war bzw. die Vorstellung fortan sei, gegen Athleten eines offenkundig chronisch dopingverseuchten Landes antreten zu müssen. Überdies ist nicht gerecht, dass nur Athleten die Opfer sind – und die beteiligten Funktionäre davonkommen.“ Aumüller und Kistner benennen die Rolle des russischen Sportminister Witalij Mutko, dessen Ministerium aktiv an der Dopingvertuschung beteiligt war. IAAF-Boss Sebastian Coe hat eine Mail mit Hinweisen auf das russische Staats-Doping direkt an Russland weitergeleitet. Und Craig Reedie, der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, ist gleichzeitig Vize-Präsident des IOC – und ein Garant, dass die Wada ständig versagt.
Zur Rolle des IOC schreiben Aumüller und Kistner: „Realistisch aber gibt es bei den Spielen keine wichtige sportpolitische Entscheidung gegen den Willen des IOC. Schließlich ist es Besitzer der Spiele. (…) Durch die aktuellen Entscheidungen zieht sich ein roter Faden: Das IOC kommt Moskaus Interessen entgegen. Bei der Ablehnung eines Komplett-Ausschlusses des russischen Teams. In der Frage, unter welcher Flagge Russlands Leichtathleten starten. Oder im Fall Julia Stepanowa, für die das IOC noch keine klare Startzusage gibt. Nicht unwahrscheinlich ist folgendes Szenario: Russland bringt das Ausschlussverdikt des Sports über den Cas zu Fall; schon jetzt deuten sich Schwachstellen an. Und Stepanowas Start wird an Regeln scheitern, die sich finden lassen. Ihr Start würde die Spiele für die Öffentlichkeit ohnehin zu ‚Stepanowa-Spielen‘ machen – solche Themen schätzt das IOC gar nicht.“

27.6.2016

– Russische Tricksereien
In der SZ stellte Thomas Kistner „sportpolitische Krisenarbeit hinter den Kulissen“ fest: „In offenkundig guter informeller Abstimmung orchestrieren russische und olympische Sportfunktionären die ersten Schritte Richtung Rio. Am Sonntag bereits wollten 67 Leichtathleten ‚individuell‘ ihre Teilnahmegesuche für Olympia bei der IAAF einreichen, das hat Witalij Mutko im russischen Fernsehen angekündigt“ (Kistner, Thomas, Diskrete Deals am Nadelöhr, in SZ 27.6.2016). Das IAAF-Kriterium für zuzulassende Sportler – außerhalb Russlands dopingverseuchtem Sportsystem und innerhalb einer Dopingkontrolle – trifft für Kistner nur für zwei Sportler zu: für die Weitspringerin Darja Klischina und die Whistleblowerin Julia Stepanowa. Letztere wird, da sie das russische Staatsdoping aufgedeckt hat, aufgrund des Drucks aus Russland sicher nicht zum Start zugelassen (Ebenda).
Russlands Sportminister Witalij Mutko hat seinen Rückzug angeboten für den Fall, dass es zu einem kompletten Ausschluss seiner Mannschaft in Rio käme. „Allerdings reichen die vorliegenden Sachverhalte längst aus, um Mutko und seinen behördlichen Mitstreitern ein zumindest massives Mitwissen zu bescheinigen. Und am 15. Juli wird überdies ein unabhängiger Ermittlungsreport veröffentlicht, den die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada bei dem kanadischen Sportrechtler Richard McLaren in Auftrag gab – und der explizit über ein staatliches Mittun in der russischen Doping-Malaise Auskunft geben soll. (…) Das IOC hatte am Dienstag in größter Hast – rechtzeitig vor der Publikation des brisanten McLaren-Reports – Einzelfallprüfungen für andere belastete Sportarten verfügt. Auch dort wollen Russen starten, und bekannt sind schon systemische Probleme quer durch die Disziplinen, vom Schwimmen bis zum Gewichtheben. Das dürfte erneut sehr unangenehm werden. Aber mit der frommen Einzelfallprüfung ist ein Komplettausschluss vom Tisch; Mutko muss das Büro nicht räumen. Alles wirkt strategisch raffiniert eingespielt; offen bleibt wohl nur die Frage, ob auch Mutkos Leichtathleten die Kurve nach Rio noch kriegen. Sobald die IAAF die russische Antragsflut abgewiesen hat, wird diese zum obersten Sportgerichtshof Cas umgeleitet. Auf den konnte sich die olympische Funktionärswelt bisher eigentlich stets verlassen“ (Ebenda).

28.6.2016

– Praktisch: Russen im Cas-Icas
„Russlands kollektiv gesperrte Leichtathleten suchen einen Umweg zu den Olympischen Spielen – und wollen ihn am Internationalen Sportgerichtshof (Cas) finden. Und wer die aktuellen Winkelzüge der Sportpolitik beobachtet, kann zum Schluss kommen, dass die Chancen ordentlich stehen. Es darf nicht überraschen, dass Russlands Verantwortliche offenbar schon die passende Strategie haben, wie sie ihre Leute noch nach Rio lotsen können“ (Aumüller 28.6.2016). Nach der IAAF-Definition der „ausreichenden Zeit“ außerhalb des russischen Staats-Dopingsystems blieben wohl nur Weitspringerin Darja Klischina und Kronzeugin Julia Stepanowa übrig. „Die Russen wiederum konnten zuletzt das Gefühl gewinnen, dass sie in ihrem Kampf wichtige Mitstreiter haben, vorneweg die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) um Thomas Bach“ (Ebenda). Im Fall des Weltverbandes der Gewichtheber hat der Cas die Athleten Bulgariens kollektiv sanktioniert. „Der Cas, der ohnehin mit dem Ruch der sportpolitischen Abhängigkeit ringt, könnte da kaum eine andere Entscheidung treffen als zu Jahresbeginn. Es empfiehlt sich eine andere Prozess-Strategie. Und so wenden sich die Russen nicht gegen den Kollektiv-Bann, wie Alexandra Brilliantowa, Leiterin der juristischen Abteilung des Russischen Olympischen Komitees (ROK), dem Sport-Express mitteilte. Vielmehr wollen sie die Kriterien der IAAF für die individuelle Prüfung angreifen, die nun gleich 67 russische Athleten beantragen möchten. ‚In ihrer jetzigen Form fordern sie von unseren Athleten faktisch, das Land zu verlassen. Das verstößt gegen alle juristischen Prinzipien und Menschenrechte‘, sagt Brilliantowa. (…) Die Stichhaltigkeit von Brilliantowas Argumentation sei dahingestellt. Den Russen gelingt es damit jedenfalls, die Parallele zum bulgarischen Fall zu vermeiden. Das ist das Entscheidende: Der Zugang ist ein anderer und der Cas freier in der Urteilsfindung. Wie objektiv der oberste Sportgerichtshof urteilt, ist ohnehin eine viel diskutierte Frage. Zwei deutsche Gerichte – das Münchner Land- und Oberlandesgericht – erklärten in der Doping-Causa Claudia Pechstein, dass dies nicht der Fall sei, bevor der Bundesgerichtshof den Cas mit teils erstaunlichen Argumenten für hinreichend neutral und unabhängig erklärte. Der konkrete Fall könnte ein Härtetest für diese Auffassung werden. Hier offenbaren sich die Schwachstellen besonders. Brilliantowa hat nämlich in der olympischen Welt einen schönen Nebenjob: Die ROK-Juristin gehört selbst dem Icas an, dem wichtigsten Gremium der globalen Sportjustiz. In diese 20er-Runde entsenden vor allem das IOC und die Verbände Vertreter. Der Icas wählt den Cas-Präsidenten und die Kammer-Vorsitzenden (Ordinary und Appeal). …) Russlands Strategen haben noch ein zweites Eisen im Feuer. Falls das Lausanner Sportgericht die allgemeine Klage des ROK gegen die IAAF-Kriterien ablehnt, bleibt den Athleten immer noch der individuelle Zugang zum Sportrecht. Und zehn Tage vor Rio öffnen die sogenannte Ad-hoc-Schiedsgerichte. Da werden Urteile gern auch über Nacht gefällt – die meisten Athleten haben ja nur einmal im Leben die Chance, an den Spielen teilzunehmen“ (Ebenda).

1.7.2016

– Stepanowa darf – zunächst – teilnehmen
„Whistleblowerin Julia Stepanowa darf bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Amsterdam (6. bis 10. Juli) als neutrale Athletin an den Start gehen. Die Kronzeugin des russischen Dopingskandals erhielt vom Weltverband IAAF die Starterlaubnis und kann nun auch auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro hoffen. (…) Insgesamt hätten mehr als 80 russische Athleten den Antrag gestellt, unter der Regel 22.1A(c), die auch für Stepanowa greift, an den Start gehen zu dürfen. Weitere Entscheidungen stehen aber noch aus“ (spiegelonline 1.7.2016).

2.7.2016

– Stepanowa schon bei EM in Amsterdam dabei
Am 1.7.2016 teilte die IAAF mit, dass die russische 800-Meter-Läuferin und Whistleblowerin Julia Stepanowa als  „neutrale Athletin“ bei der Europameisterschaft 2016 im Juli in Amsterdam starten darf – unter europäischer Flagge. „Stepanowa trainierte im Exil, gliederte sich wieder ins Anti-Doping-Testprogramm ein, nach monatelangem Gezerre verkündete die IAAF vor zwei Wochen schließlich: Russlands Verband bleibt gesperrt, auch für Rio, zu tief wurzele der Betrug. Ausnahmen werde man nur russischen Athleten gestatten, die zuletzt im Ausland gelebt haben. Und Kronzeugen wie Stepanowa. Ein Anti-Doping-Komitee der IAAF prüft seitdem, wer diese Hintertüren nutzen darf, Stepanowa war am Freitag die Erste, die hindurchgewunken wurde. Hinter ihr warten derzeit noch ‚mehr als 80 russische Athleten‘, um von den Ausnahmeregelungen zu profitieren, teilte die IAAF am Freitag mit. Die meisten dürften die strengen Auflagen nicht erfüllen“ (Knuth, Johannes, Neustart in Amsterdam, in SZ 2.7.2016). – Stepanowa „war ja von jenem russischen Kollektivbann belegt, den sie in ihren Berichten erwirkt hatte“ (Ebenda). IOC-Präsident Thomas Bach, eng liiert mit  dem russischen Staatssport, „verfügte zunächst, dass russische Athleten in Rio unter der Obhut des russischen olympischen Komitees (ROC) starten sollen, nicht unter neutralem Banner, wie von der IAAF erwirkt. Es war ein verstecktes Manöver gegen Stepanowa, das ROC würde sie ja niemals nominieren. Am Donnerstag verwies Bach dann noch einmal auf das komplizierte Regelwerk. Dabei hätte er sich als olympischer Hausherr längst für einen Start Stepanowas positionieren können, wie jetzt die Europäer. Die finale Entscheidung fällt Mitte Juli“ (Ebenda).

5.7.2016

Cas entscheidet spätestens am 21.7.2016
„Der Internationale Sportgerichtshof Cas hat am Montag offiziell sein Schiedsgerichtsverfahren zum Ausschluss aller russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro eröffnet. (…) Insgesamt 68 russische Leichtathleten sowie das Nationale Olympische Komitee des Landes hatten den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne als letzte Instanz angerufen, um gegen die drakonische Strafe des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF vorzugehen und ihren Ausschluss von den Sommerspielen in Rio doch noch zu verhindern“ (DPA 5.7.2016a).

– Russland: Rodschenkow ist allein schuld
Der frühere Leiter des Moskauer Doping-Kontrolllabors, Grigori Rodschenkow, habe „am systematischen Doping russischer Athleten nicht nur mitgewirkt, sondern dieses auch maßgeblich vorangetrieben, sagte Wladimir Markin, Sprecher der russischen Ermittlungsbehörde, am Montag in Moskau. ‚Es besteht Grund zu der Annahme, dass Rodschenkow nicht nur Vollstrecker, sondern auch Autor und Organisator von einer ganzen Reihe solcher Abläufe war‘, teilte Markin mit“ (DPA 5.7.2016b).
Was gegen die Einzeltäter-Hypothese des Kreml spricht: Warum half dann der FSB auf Weisung des Kreml, die Urinproben auszutauschen?

8.7.2016

– Stepanowa startete bei Leichtathletik-EM in Amsterdam
Der europäische Leichtathletikverband EAA hatte Julia Stepanowa nach Amsterdam eingeladen: Sie kam ohne Ehemann und Kind, da sie vor dem Auftritt bedroht worden war. „Derzeit frisst sich das Klima eines kalten Sportkriegs in die Szene, hier manche Verbände, dort Russland, das sich als Opfer einer westlichen Verschwörung wähnt und keine Verantwortung übernimmt für sein (durch mehrere Untersuchungsberichte belegtes) Systemdoping. Und letztlich ist Russlands kontaminierte Leichtathletik nur ein Patient von vielen. Es gibt gute Ansätze im Sport, neue Ermittlungseinheiten, Plattformen für Kronzeugen, aber noch steht die Anti-Doping-Politik der Verbände wie ein halb fertiges Gebäude in der Landschaft, von dem man nicht weiß, ob es je fertig wird. Wie ernst der Sport die Betrugsbekämpfung nimmt, wird man schon sehr bald bezeugen können: Nach SZ-Informationen rollen noch während der EM neue Enthüllungen auf die Leichtathletik zu, nicht nur aus Russland“ (Knuth 8.7.2016).

14.7.2016

– US-Anti-Doping-Agentur Usada besteht auf Ausschluss Russlands
„Für den Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada, Travis Tygart, wäre der Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Rio die einzige logische Folge, sollte die Beweislage im neuen Wada-Report ebenso erdrückend sein wie vor der Komplett-Suspendierung der russischen Leichtathleten. ‚Sollte sich das alles bewahrheiten und es hat eine absichtliche Subversion des Systems durch die russische Regierung gegeben, kann die einzige Konsequenz nur sein, dass sie nicht unter ihrer Landesflagge an diesen Olympischen Spielen teilnehmen können‘ . (…) Grigori Rodschenkow, der Ex-Chef des russischen Doping-Kontrolllabors hatte behauptet, dass er 2014 in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten mit der Anti-Doping-Agentur Rusada sowie dem Geheimdienst auf Anordnung vom Staat vertuscht habe. 15 der russischen Medaillengewinner in Sotschi seien gedopt gewesen. Russland hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Würden die Ermittlungsergebnisse durch den Gesamtbericht von McLaren bestätigt, würde dies nach Überzeugung von Tygart ‚ein beispielloses Niveau der Kriminalität‘ bedeuten“ (DPA, Tygarts Forderungen, in SZ 14.7.2016).
Dazu aus  einem Kommentar von Thomas Kistner in der SZ: „Das IOC unter dem treuen Putin-Freu

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