8.8.2016, aktualisiert 12.11.2017
Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Nuzman, Carlos
„Rio 2016 und Doping“ schließt nahtlos an Russland in Rio 2016: Ja oder Nein? und an die Berichte über das staatliche russische Doping-System an. (Anmerkung: Cas = Internationaler Sportgerichtshof in Lausanne; Schreibweise Witalij Mutko wurde vereinheitlicht). Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Hickey, Pat
Doper mit Rio-2016-Medaillen (ohne Dunkelziffer und Anspruch auf Vollständigkeit):
Nijat Rachimow, Kasachstan, Gewichtheben: Goldmedaille (zweijährige Dopingsperre; Ausschluss der kasachischen Gewichtheber sportjuristisch nicht vor den Spielen abgeschlossen – bei 27 Dopingfällen seit 2012); Sukanya Srisurat, Thailand, Gewichtheben, Goldmedaille 2016 (zweijährige Dopingsperre); Majlinda Kelmeni, Kosovo, Judo: Goldmedaille (Verweigerung von Dopingtest im Juni 2016 bei Olympiavorbereitung); Olga Zabelinskaja, Russland, Radfahren: Silbermedaille (Dopingsperre, aufgehoben durch IOC-Beschluss vom Juli 2016); Julia Jefimowa, Schwimmen, Russland: Silbermedaille (Herbst 2013 Positivtest auf Steroid Dehydroepiandrosteron; Frühjahr 2016 Meldonium); Sun Yang, China, Schwimmen: Goldmedaille, Silbermedaille (Mai 2014 Positivtest auf Octapamin) (Quelle: Zahlreiche Dopingsünder starten in Rio, in spiegelonline 11.8.2016; Ahrens, Peter, Wer einmal lügt, in spiegelonline 11.8.2016). Justin Gatlin, USA, Sprinter, noch ohne Medaille (2001 Positivtest auf Amphetamine, 4/2006 Positivprobe auf Testosteron/Wikipedia).
Doper in Rio 2016 – ohne Dunkelziffer!
1. Dopingfall: „Wie das Nationale Olympische Komitee Italiens (Coni) bestätigte, wurde die Beachvolleyballerin Viktoria Orsi Toth bei einem Turnier am 19. Juli in Rom positiv auf das anabole Steroid Clostebol getestet. Orsi Toth wurde von der italienischen Anti-Doping-Agentur TNA suspendiert und vom Coni aus der Teilnehmerliste für Rio gestrichen“ (SID, Erster Dopingfall, in SZ 3.8.2016).
2. Dopingfall: „Laut einem Bericht des Irish Examiner wurde der irische Boxer Michael O’Reilly positiv auf eine verbotene Substanz getestet“ (SID, Zweiter Dopingfall, in SZ 5.8.2016).
3. und 4. Dopingfall: „Kurz vor der Abreise nach Rio de Janeiro sind die ungarischen Rennsport-Kanuten Bence Horvath und Mate Szomolanyi aus dem Aufgebot gestrichen worden. (…) Horvath und Szomolanyi sollen nach Informationen der ungarischen Anti-Doping-Agentur verbotene Substanzen genommen haben“ (SID, Verbotene Substanz, in SZ 5.8.2016).
5., 6. und 7. Dopingfall: N.N., Griechenland, Schwimmerin, gesperrt am Tag vor der Eröffnungszeremonie; N.N., Mitglied des griechischen Paralympischen Teams. Antonis Martasidis, Zypern, Gewichtheber (Zikakou, Ioanna, 2 Greek Athletes Banned from the Olympic Games for Doping, in greece.greekreporter.com 5.8.2016).
8. Dopingfall: „Nach einer positiven Doping-Probe wird der polnische Gewichtheber-Europameister Tomasz Zielinski aus dem Olympia-Team ausgeschlossen. Der 26-Jährige wurde in der A-Probe positiv auf das anabole Steroid Nandrolon getestet. (…) Die Gewichtheber hatten vor den Olympischen Spielen bereits die dopingbelasteten Verbände von Bulgarien und Russland ausgeschlossen“ (SID, B-Probe positiv, in SZ 10.8.2016).
9. Dopingfall: „Taiwans ehemalige Weltrekordhalterin im Gewichtheben, Lin Tzu-chi, wurde wegen eines positiven Doping-Tests von den Spielen ausgeschlossen. (…) Lin hatte bereits 2012 die Spiele in London verpasst, weil sie 2010 wegen eines positiven Tests zwei Jahre gesperrt worden war“ (SID, Gewichtheberin gedopt, in SZ 11.8.2016).
10. und 11. Dopingfall: Chen Xinyi, China, Schwimmerin; Silvia Danekova, Bulgarien, Hindernisläuferin, positiver Test auf Epo (Schwimmerin Chen Xinyi positiv getestet, in spiegelonline 12.8.2016; Chinese swimmer and Bulgarian athlete fail doping tests at Rio 2016 Olympics, in theguardian.com 12.8.2016).
12. Dopingfall: Kenianischer Trainer pinkelt für Läufer (siehe unter 12.8.2016)
13. Dopingfall: Adrian Zielinski, Polen, Gewichtheber (Olympa-Sieger London 2012, positiver Dopingtest auf anaboles Steroid Nandrolon in Rio in SID, Gewichtheben: Auch zweiter Zielinski-Bruder nach positiver Dopingprobe ausgeschlossen, in zeit.de 12.8.2016).
14. Dopingfall: Kleber da Silva Ramos, Radsportler, Brasilien, positive Probe auf EPO-Präparat Cera (SID, Radsport: Brasilianer da Silva positiv getestet, in zeit.de 12.8.2016).
15. Dopingfall: Luciano Dos Santos Pereira, Brasilien, Diskuswerfer, Paralympics, Mai 2016 positiv getestet auf anabole Steroide Stanozol und Oxandrolon (SID, IPC sperrt Kanat, in SZ 17.8.2016).
16. Dopingfall: Izzettin Kanat, Türkei, Gewichtheber, Paralympics, zwei Jahre Dopingsperre wegen Medonium (SID, IPC sperrt Kanat, in SZ 17.8.2016).
17. Dopingfall: Issat Artykow, Kirgisien, Gewichtheber, positiver Befund auf Stimulans Strychnin (SID, Rattengift, in SZ 19.8.2016).
18. Dopingfall: Sergei Tarnowtschi, Moldau, Rennkanute (SID, Medaille aberkannt, in SZ 19.8.2016).
19. Dopingfall: Narsingh Yadav, Indien, Ringer, vom Cas für vier Jahre wegen Doping gesperrt (SID, Indischer Ringer gesperrt, in SZ 20.8.2016).
20. Dopingfall: Usukhbayar, Chagnaadorj, Mongolei, Gewichtheber, getestet auf Testosteron (Cas Anti-Doping Division, Media release, 21.8.2016).
21. Dopingfall: Chadovich, Stanislav, Weißrussland, Gewichtheber, verwendete Ersatzurin beim Dopingtest (AP, Weightlifter Stanislav Chadovich suspended over sample tampering, in espn.com 27.8.2016).
2.8.2016
– Russische Sportler klagen systematisch (I)
„Vier Tage vor dem Start der Olympischen Spiele in Rio wird das Nominierungs-Chaos immer größer. Nach den Schwimmern ziehen auch die russischen Gewichtheber vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas – die Ruderer kündigten den Schritt an. ‚Unsere Anwälte haben mit den Athleten eine Klage vereinbart, die wegen fehlender internationaler Dopingtests gesperrt wurden“, sagte der russische Ruder-Präsident Wenijamin But und erklärte: ‚Es ist eine Kollektiv-Klage von 17 Personen’“ (SID, Russische Klagewelle, in SZ 2.8.2016).
– Russische Sportler klagen systematisch (II)
„Russische Sportler aus mehreren Disziplinen wollen ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gerichtlich durchsetzen. Drei Tage vor der Eröffnungsfeier ziehen nach den Schwimmern auch die russischen Gewichtheber vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas. (…) Der Ruder-Weltverband Fisa hatte zuvor hart durchgegriffen und nur sechs der insgesamt 28 russischen Ruderer das Startrecht für die Rio-Spiele erteilt. Der Cas bestätigte den Eingang der Klage noch nicht. Nach Bekanntwerden des McLaren-Berichts der Welt-Antidoping-Agentur Wada hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) angeordnet, dass alle Weltverbände ihre russischen Athleten erneut auf Verstöße gegen die Doping-Richtlinien überprüfen sollten“ (Russische Klagewelle rollt auf Olympia zu, in spiegelonline 2.8.2016). Auch die russischen Gewichtheber klagen. „Der Weltverband (IWF) hatte im Rahmen seiner Prüfung keinem der acht nominierten russischen Athletinnen und Athleten, drei Frauen und fünf Männern, eine Startberechtigung für Rio erteilt. Am Wochenende hatten sich mit Wladimir Morozow, Nikita Lobinzew sowie Julia Jefimowa drei russische Schwimmer juristisch gegen ihren Olympia-Ausschluss gewehrt. Russlands Sportminister Witalij Mutko hatte die Klagewelle am Wochenende bereits angekündigt. ‚Wir sollten versuchen, unsere Athleten zu schützen‘, sagte Mutko, der auch alle ausgeschlossenen russischen Athleten aufforderte, vor Zivilgerichte zu ziehen und um ihr Recht zu kämpfen. (…) Ursprünglich hatten sich 387 russische Athleten für die ersten Sommerspiele in Südamerika qualifiziert. Nach der Streichung von 117 Sportlern zählt das russische Team derzeit 270 Athleten“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
– Pressekonferenz des IOC: Bach fechtet
Thomas Bach auf die Frage nach dem russischen Staatsdoping und ob er von Russland beeinflusst worden war: „‚No‘, rief Bach in den Saal, um einen forschen Tonfall bemüht. Dazu breitete der deutsche Spitzenfunktionär seine Sicht auf die Problematik aus, die schwer auf den Spielen lastet. Niemals, sagt am Sonntag der Alterspräsident des IOC, Richard Pound, habe er den Ringe-Zirkel in größerer Erklärungsnot erlebt zu dem Thema schlechthin: Integrität. (…) Bach war Fechter. Er hat stets hinter der Maske gekämpft; täuschen, fintieren, jäh zustechen gehört hier zum Repertoire. Aber selbst der Wirtschaftsadvokat, dessen Spezialität es ist, entschlossen für eine Sache zu sein und zugleich strikt dagegen, verheddert sich nun in den eigenen Argumentationssträngen. Am Ende klingen seine Ausflüchte zur Behandlung der Staatsdoping-Causa Russland wie ein wirrer Aufruf pro Staatsdoping. ‚Sobald die Fackel brennt, ist alles gut. Dann regieren nur die bunten Bilder‘, sagt einer, der die Abläufe seit Dekaden kennt. Bis dahin muss das Thema Staatsdoping ausgeblendet werden. Es beherrscht die Welt – in Rio steht es nicht mal auf der Agenda der IOC-Session, die ab Dienstag tagt. (…) Immer mehr Probleme erinnern an die untergehende Samaranch-Ära. Distanzierung wird spürbar in Teilen der Bewegung. Es rumort in den Athletenvertretungen des IOC und der Wada, die Frage ist, ob sie vor der Eröffnung noch eine Positionierung wagen. Auch in Hinblick auf die Whistleblowerin Julia Stepanowa, die echten olympischen Heldengeist bewiesen hatte, als sie über das russische Doping auspackte und dafür ihre Heimat verlassen musste. Und die jetzt nicht starten darf, weil ihr nach Einschätzung des Bach-Gremiums die ‚ethische‘ Eignung fehlt“ (Kistner, Thomas, Hinter der Maske, in SZ 2.8.2016).
3.8.2016
– Jens Weinreich zur Bach-Taktik
„Irgendwann an diesem Tag wollte Thomas Bach Einigkeit sehen, und natürlich bekam der IOC-Präsident, was er wollte. Bei der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees in Barra da Tijuca in Rio hoben von den 84 anwesenden Mitgliedern die allerallermeisten ihre Hände, als Bach um Zustimmung zu den IOC-Entscheidungen in Bezug auf das russische Dopingsystem ersuchte. Nur einer widersprach: der Brite Adam Pengilly. (…) Die Abstimmung war ein ganz klassisches Vorgehen des Thomas Bach. Erst hatte er erneut die Verantwortung des IOC zurückgewiesen und den schwarzen Peter einmal mehr der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zugeschoben. Dann bekam das dienstälteste IOC-Mitglied, Richard Pound aus Kanada, wie so oft eine verbale Breitseite ab. Pound hatte vor wenigen Wochen den Ausschluss des gesamten russischen Olympiateams als ’nukleare Option‘ bezeichnet. Bach nannte Pounds Vergleich wiederum ‚unangemessen‘. (…) Im Verlauf der knapp zweistündigen Diskussion zur Dopingthematik hatten einige Mitglieder in selten erlebter Schärfe die Wada attackiert. Allesamt gehören sie dem Lager des IOC-Präsidenten an, darunter waren zum Beispiel Gerardo Werthein (Argentinien) oder Alex Gilady (Israel). Alexander Schukow erneuerte indes seine unbelegte Behauptung, Russland sei Opfer einer internationalen politischen Kampagne. Der 60-jährige Präsident des Nationalen Russischen Komitees ist Chef der Koordinierungskommission für die Winterspiele 2022 in Peking. Er wurde von Bach ernannt. (…) Die IOC-Führung hat die Fachverbände, von denen einige unter russischem Einfluss stehen, mit einem offensichtlichen Zeitspiel in noch größere Nöte manövriert. Dazu zählt letztlich auch der intransparente Umgang mit mehreren Wellen von Nachtests olympischer Dopingproben aus Peking (2008) und London (2012). Einige Verbände kritisierten das vehement. IOC-Sprecher Mark Adams musste sich am Dienstag entsprechenden Fragen stellen – und konnte die Vorwürfe nicht entkräften“ (Weinreich, Jens, Wada was? in spiegelonline 3.8.2016).
– Der frühere Wada-Präsident Richard Pound im Interview mit Thomas Kistner
Pound zum russischen Staatsdoping: „Wir haben ja damals nur in die Leichtathletik geschaut und dort ein organisiertes, staatlich unterstütztes System-Doping gefunden. Wir wussten auch, dass Mitarbeiter des FSB (russischer Geheimdienst; d. Red.) in den Kontroll-Laboren in Moskau und Sotschi zugegen waren. Wir wussten aber natürlich zu der Zeit noch nicht, was die dort genau gemacht haben, was das zu bedeuten hatte. (…) In diesem staatlich gesteuerten Betrug war doch alles drin. Ein Vize-Sportminister, der persönlich durch die Liste der positiv getesteten Sportler geht und entscheidet, der hier und der da muss ‚gesichert‘ werden – und dann verschwinden diese Dopingfälle einfach. Das hat ganz perfekt funktioniert, für viele nationale Athleten, bei Trainings- und bei Wettkampfkontrollen. Es konnte aber so nicht mehr in Sotschi (bei den Winterspielen 2014; d. Red.) gemacht werden, weil dort zusätzliche Spezialisten aus aller Welt zugegen waren. Die hätten es bemerkt, wenn dieses Prinzip des Verschwindenlassens von positiven Tests einfach so fortgesetzt worden wäre. Also mussten sie etwas Neues erfinden. Und das war dann der komplette Austausch von Urin. Dass Probenfläschchen geöffnet wurde.“ – Pound auf die Frage Kistners, warum IOC-Präsident Thomas Bach wie der verlängerte Arm von Wladimir Putin wirkt: „Ich habe keine Ahnung, und ich will nicht spekulieren. Aber das ist ja das Frustrierende. Bach kam erst mit der Nulltoleranz. Nach dem McLaren-Report hat er gesagt, da brauche es ganz extreme Sanktionen. Aber jetzt sieht es so aus, als sei alles schon vor der Exekutivsitzung aufgestellt worden. Die fing Sonntagmorgen gegen 10 Uhr an und endete gegen 13 Uhr. Und wenig später wurden bereits sehr präzise, juristisch saubere 13 Seiten dazu vorgelegt.“ – Pound zum Umgang mit der Whistleblowerin Julia Stepanowa: „Ich finde das beunruhigend. Der Umgang mit Stepanowa verstärkt noch den Riesendruck. Nach dem Wada-Code darf sie starten, und der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat sie ja in Amsterdam bereits laufen lassen.“ (Alle Zitate: Kistner, Thomas, „Es sieht so aus, als sei alles vorab aufgestellt gewesen“, in SZ 3.8.2016).
– IOC: Wada ist schuld
„Wada-Präsident Craig Reedie hat die Forderungen von IOC-Chef Thomas Bach nach einer weitreichenden Neugestaltung des weltweiten Anti-Doping-Kampfes und der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) akzeptiert. Ein wichtiger Schritt dafür soll eine außerordentliche Wada-Konferenz im kommenden Jahr sein, auf der die Reformen diskutiert werden. (…) Der Wada-Vorsitzende hatte sich auf der IOC-Vollversammlung viel Kritik anhören müssen. Vor allem bemängelten die IOC-Mitglieder, dass die Agentur Hinweisen auf Staatsdoping in Russland durch das Whistleblower-Ehepaar Stepanow zu spät nachgegangen sei. Nämlich erst, als es bei der ARD auspackte. „Wir müssen den Prozess mit den Whistleblowern verbessern“, sagte Reedie. Auch dafür habe man den deutschen Chefermittler Günter Younger zum 3. Oktober eingestellt“ (Wada-Chef Reedie kündigt Verbesserungen an, in spiegelonline 3.8.2016).
4.8.2016
– Thomas Kistner über die IOC-Session in Rio:
„Es sind raue Zeiten im Olymp, der konsequent servile Umgang mit staatlich organisiertem Doping im Sportreich Wladimir Putins hat das IOC in den Brennpunkt internationaler Kritik gerückt. Zwei Ermittler-Stäbe im Auftrag der Wada hatten ein ministeriell gelenktes Betrugssystem aufgedeckt. Der jüngste Report des kanadischen Juristen Richard McLaren, vorgelegt Mitte Juli, zeichnet ‚jenseits allen Zweifels‘ nach, wie der Staat als Schaltzentrale des Betrugs fungierte. Der (beurlaubte) Vize-Sportminister Juri Nagornik pickte demnach persönlich die Sportler heraus, die es zu schützen galt; positive Proben wurden vernichtet. Insgesamt, schält sich bei den anhaltenden Ermittlungen heraus, dürften bis zu 9000 Proben zerstört worden sein. (…) Die diabolische Meisterleistung brachte nach Aktenlage Dutzende ausländischer Athleten um ihre Medaillen und zerstörte die Integrität des höchsten olympischen Gutes, des fairen Wettkampfs. Das IOC honorierte sie mit einer Geste für Putin: Russlands Helden werden nicht kollektiv ausgeladen. Nur die Leichtathleten waren nicht mehr zu retten, der Weltverband IAAF hatte sie schon im Juni komplett für Rio gesperrt – der Sportgerichtshof Cas hatte das Verdikt abgesegnet. So formierte sich zum Sessionsauftakt Bachs olympische Wagenburg. Erst wetterte der russische IOC-Mann Alexander Shukow gegen die Wada, am Ende lobte Bach ‚eine sehr gute Debatte‘ – dazwischen besang ein gemischter Chor aus Mitgliedern von Monaco bis Nordkorea die Weisheit des Präsidenten und seiner Exekutive. (…) Als Bach den Beschluss seiner Exekutive für einen Start der russischen Sportler nach einer Einzelfallprüfung absegnen ließ, die gar nicht seriös zu leisten ist, votierte nur der englische Athletenvertreter Adam Pingally dagegen. Die Bühne der IOC-Session gehörte den Russen. NOK-Chef Shukow ratterte vom Papier eine Brandrede runter, die Arme verschränkt auf den Tisch gepresst wie ein Sturkopf, der seine Suppe nicht essen will. Der Vortrag folgte streng der olympischen Null-Toleranz-Rhetorik zum Pharmabetrug: Erst hielt er fest, dass Doping etwas Entsetzliches sei und dringend bekämpft gehöre, Russland wolle voll mitziehen und Sünder ‚hart bestrafen‘. Dann der Umkehrschwung: Systemdoping? Die russische Anti-Doping-Agentur Rusada, die ihr langjähriger Leiter Grigori Rodschenko als Kronzeuge des McLaren-Reports als Schummel-Zentrale auffliegen ließ, kann es ja nicht gewesen sein, insinuierte der Russe listig. Denn: ‚Die Arbeit der Rusada wurde ständig international überwacht. Die Wada lobte sie für Sotschi sogar als beispielhaft!’“ (Kistner, Thomas, Diese Suppe ess‘ ich nicht, in SZ 4.4.2016; Hervorhebung WZ).
Daniel Gehrmann in nzz.ch: „Der Wille zu einem kompromisslosen Kampf gegen das Doping ist sehr gering. (…) Wie halbherzig der Kampf gegen Doping ist, verdeutlicht die Summe, die das IOK der Wada zur Verfügung stellt. 2014 waren es 13,3 Millionen Dollar. Das entspricht gerade einmal 0,17 Prozent der über 8 Milliarden Dollar Einnahmen, die das IOK im vergangenen Vierjahreszyklus mit den Spielen eingenommen hat“ (Gehrmann, Daniel, Thomas Bach in Erklärungsnot, in nzz.ch 4.8.2016).
5.8.2016
– Statt 389 nun 271 Russen
„Russlands Olympiamannschaft kann 271 Sportler bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro an den Start schicken. Kurz vor der Eröffnungsfeier gab das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Liste der für sauber erklärten Sportler bekannt. In einer Erklärung des IOC heißt es: ‚271 der ursprünglich 389 Athleten auf der Liste des Russischen Nationalen Olympischen Komitees werden die Mannschaft bilden.‘ Das russische IOC-Mitglied Alexander Schukow – auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees – hatte die Zahl schon zuvor publik gemacht. (…) Klar war zumindest, dass der Cas den Ausschluss von früher gedopten russischen Athleten von den Spielen als ’nicht durchsetzbar‘ ablehnt, wie es in einer Mitteilung heißt. Damit gab das Gericht der russischen Schwimm-Weltmeisterin Julia Jefimowa und den beiden Ruderern Anastasia Karabelschikowa und Iwan Podschiwalow teilweise recht. Sie hatten Einspruch gegen diese Doppelbestrafung eingelegt: Die drei Athleten waren in der Vergangenheit wegen Dopings gesperrt worden, haben diese Strafen aber bereits verbüßt. Nun dürfen sie auf eine Olympiateilnahme hoffen. Wer darüber letztlich entscheidet, blieb nach der Cas-Mitteilung aber zunächst offen“ (Russland darf mit 271 Athleten in Rio antreten, in spiegelonline 5.8.2016). Spätere Erhöhung durch den Cas auf 279 russische Teilnehmer.
– Russen rein, Stepanowa raus – oder rein
„Die Whistleblowerin Julia Stepanowa kann wieder auf einen Start bei den Olympischen Spielen hoffen. Der Internationale Sportgerichtshof Cas hat den Ausschluss von früher gedopten russischen Athleten von dem Wettbewerb in Rio als ’nicht durchsetzbar‘ abgelehnt. Das teilte der Cas mit. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte im russischen Dopingskandal nicht nur entschieden, dass die internationalen Sportfachverbände jeden nominierten Sportler aus Russland überprüfen sollen. Vielmehr hatte das IOC auch verfügt, dass ehemals gedopten Russen ein Start bei den Sommerspielen verweigert wird. Mit dieser Begründung hatte das IOC auch einen Start der russischen Doping-Kronzeugin und 800-Meter-Läuferin Stepanowa in Rio verweigert. Allerdings müsste die 30 Jahre alte Leichtathletin ebenfalls vor dem Ad-hoc-Gericht des Cas in Rio de Janeiro Klage einreichen. Stepanowa hatte ein systematisches Doping in Russland aufgedeckt. Daraufhin schloss der Weltverband IAAF die Leichtathleten Russlands komplett von den Spielen in Rio aus. Die IAAF hatte aber das IOC gebeten, Stepanowa wegen ihrer Verdienste im Kampf gegen Doping in Rio starten zu lassen. (…) Experten hatten eine entsprechende Entscheidung des Cas erwartet. Der Sportgerichtshof hatte nämlich schon die sogenannte Osaka-Regel des IOC 2011 für nicht rechtmäßig erklärt. Die Regel sah vor, dass Doping-Sünder automatisch von den nächsten Olympischen Spielen ausgeschlossen werden und damit doppelt bestraft werden“ (Whistleblowerin Stepanowa mit Olympia-Startchance, in spiegelonline 5.8.2016).
– Richard McLaren gegen IOC
„Doping-Ermittler Richard McLaren kritisierte das Vorgehen und warf dem IOC eine Verfälschung der Ergebnisse seines Berichts über organisierten Sportbetrug in Russland vor. ‚Die Leute haben missverstanden, was in dem Report war, besonders das IOC und die internationalen Verbände‘, sagte er der britischen Zeitung Guardian. Sein Bericht habe nicht zum Ziel gehabt, die Dopingvergehen einzelner Athleten nachzuweisen“ (DPA, Russland mit 271 Sportlern, in SZ 5.8.2016).
– Der Ringe-Clan klatscht
„Nun treten Russlands Athleten unter den Nationalfarben an, obwohl Drahtzieher aus dem Kreml Beamte und Geheimagenten, Wissenschaftler und Funktionäre für ein ’nie dagewesenes Ausmaß an Betrug‘ eingespannt hatten – so hat IOC-Chef Bach im ersten Schock die Beweislage kommentiert, die ein Report der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada im Juli ans Licht brachte. Aber Wladimir Putin sieht das anders, und Bach jetzt auch. Er hat sein Entsetzen über ein beispielloses Kriminalstück problemlos runtergefahren. (…) Der Kongress springt auf und tanzt, wenn die Funktionäre aus Sportfreund Putins Reich in die Hände klatschen. Wie naiv ist es da zu glauben, dass ein Staat, der mit geheimdienstlicher Akribie 2014 in Sotschi ein Olympiafest fälschte, nicht auch über die wesentlichen politischen Vorgänge in der Sportwelt informiert ist? Hier liegt wohl die Erklärung für die servile Haltung des IOC zum Russland-Doping. (…) Während die Spitzenkräfte des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), die einst ja von Bach selbst dorthin befördert wurden, besinnungslos in der Spur des Patrons laufen, gehen Athleten, Politiker, die Öffentlichkeit und sogar Teile des organisierten Sports auf Distanz. Die Deutsche Olympische Gesellschaft (DOG) wirft Bach vor, er habe die Vorbildfunktion des Sports beschädigt, die Auswirkung sei gar nicht abzusehen. In Hans-Wilhelm Gäb gab einer der renommiertesten Funktionäre des Landes den olympischen Orden zurück. Eine deutsche Initiative pro Stepanowa überschritt die Grenze von 250 000 Stimmen am Tag, bevor das Feuer brannte“ (Kistner, Thomas, Gegen den Ringe-Clan, in SZ 5.8.2016).
– Holger Gertz zur Eröffnung von Rio 2018 – mit russischer Mannschaft
„Es gibt eine Debatte um Verantwortlichkeiten und Eckpunkte im Regelwerk, die von Fachleuten mit großer Sorgfalt seziert wird. Beim oberflächlicher zuschauenden Publikum, jedenfalls im freien Teil der Welt, vollendet sich das Bild eines Leistungssports, dessen mächtigste Funktionäre endgültig auf die dunkle Seite gewechselt sind. Die großen Turniere sind getötet worden, es riecht nach Verwesung und schlechten Menschen. (…) Die Opening Ceremonies berichten vom Zustand der Welt. Wenn keiner boykottiert, ist das ein gutes Zeichen. In diesem Fall wäre das Fehlen von Russland ein starkes Zeichen gewesen, ein Symbol dafür, dass das IOC bereit gewesen wäre, es sich mit Putin zu verscherzen und für die eigenen Werte geradezustehen“ (Gertz, Holger, Die Bildermacher, in SZ 5.8.2016).
6.8.2016
– Neue Schweizer Doping-Verpackung
„Bei den Dopingkontrollen während der Olympischen Spiele in Rio kommen neue Proben-Behälter zum Einsatz. Die Flaschen eines Schweizer Herstellers sollen mit zusätzlichen Sicherheitsmerkmalen Manipulationen und Fälschungen verhindern. So soll beispielsweise das illegale Öffnen der Urin-Proben mit ‚hundertprozentiger Sicherheit‘ nachgewiesen werden können, heißt es“ (SID, Neue Dopingproben-Behälter, in SZ 6.8.2016).
– Chef des russischen Olympiakomitees: „Russische Sportler voll akzeptiert“
„Der Schaden für Russlands Sport-Armada bleibt überschaubar. Im ersten Schritt hatte das IOC ja die Zulassungsprüfung an die jeweiligen Sportverbände abgeschoben, und dass bei den vielen Federationen, die unter russischem Einfluss stehen, kurzer Prozess gemacht würde, bestätigte sich dramatisch. ‚Die Mehrheit der Verbände hat unsere Athleten voll akzeptiert‘, verkündete Alexander Schukow, Chef des russischen Olympiakomitees ROC und selbst IOC-Mitglied. Etwa im Boxen, Badminton, Turnen, Volleyball oder Judo – der letztgenannte Weltverband hat einen Ehrenpräsidenten namens Wladimir Putin. Nur Leichtathleten und Gewichtheber wurden komplett verbannt, kräftig ausgesiebt wurde bei Ruderern und Kanuten. ‚Wir halten die IOC-Entscheidung nach wie vor für das falsche Signal an einen sauberen und fairen Sport‘, brachte Lars Mortsiefer, Chef der deutschen Anti-Doping-Agentur Nada, die allgemeine Empörung auf den Punkt. Wie sich der IOC-Kurs auf das Innenleben der Spiele, auch im Olympiadorf, auswirkt, ist in den nächsten zwei Wochen zu besichtigen“ (Kistner, Thomas, Durchs Sieb geschlüpft, in SZ 6.8.2016).
– Julia Jefimowa darf starten
„Die russische Schwimmerin Julia Jefimowa kann offenbar an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teilnehmen. ‚Ich starte bei Olympia‘, jubelte die Weltmeisterin und Olympia-Dritte von 2012 bei Instagram. (…) Der Fall Jefimowa hat besondere Brisanz. Die Weltmeisterin war vom Weltverband Fina wegen eines früheren Doping-Falles ausgeschlossen worden. (…) Wie Kasikow weiter erklärte, würden insgesamt acht weitere russische Athleten eine Startgenehmigung für die Spiele erhalten. Insgesamt würde dadurch das russische Team in Rio von 271 auf 279 anwachsen. Eigentlich würde das auch die Tür für die Whistleblowerin Julia Stepanowa öffnen. Ihr wurde ja von IOC-Präsident Thomas Bach die ‚ethische Eignung‘ abgesprochen, in Rio teilzunehmen, weil sie selbst auch jahrelang Teil des russischen Staatsdoping gewesen sei. Doch Stepanowa wird in Rio nicht starten dürfen, das IOC hat unter starkem russischem Einfluss andere Gründe gefunden, warum die Geheimnis-Verräterin ausgeschlossen bleibt. Die 30-Jährige hat ihren Kampf um eine Teilnahme nun aufgegeben. (…) ‚Wir erkennen, dass das IOC das Ermessen hat, zu den Spielen einzuladen, wen es will. Die Entscheidung, Julia einen Platz im Wettbewerb zu verwehren, sendet die Botschaft, dass der Code der Welt-Anti-Doping-Agentur und die olympischen Werte nicht mehr als bloße Worte auf einem Stück Papier sind‘, schrieben die Stepanows. Statt der Heldin des Anti-Doping-Kampfs sollen nun neben Jefimowa auch Natalia Lowtsowa, Daria Ustinowa, Michail Dowganjuk und Anastasia Krapiwina Grünes Licht vom IOC erhalten haben. Auch die Radrennsportler Olga Zabelinskaja, Sergej Schilow und Ilnur Sakarin seien startberechtigt, sagte Juri Kuscherjawi, Generalsekretär des russischen Radsport-Verbandes“ (SID, Jefimowa freut sich auf Olympia-Start, in SZ 6.8.2016).
– Jefimowas Gegnerin Ruta Meilutyte
„Wer am Sonntag tatsächlich in die Vorläufe über 100 Meter Brust starten wird? Das bleibt wohl bis zum Einlauf der Schwimmerinnen ein Rätsel. Ruta Meilutyte ist ganz sicher dabei, sie ist die Olympiasiegerin von London. Damals war die Litauerin gerade 15 Jahre alt und kam aus dem Nichts auf die große Bühne, ohne je an einer EM oder WM teilgenommen zu haben. Über die Jahre hat sie eine besondere Rivalität zu einer Kontrahentin entwickelt: Die Russin Julia Jefimowa und sie werden keine Freunde mehr. 2012 erreichte Jefimowa in London Rang sieben, bei der WM in Kasan 2015 startete sie nach gerade erst abgesessener Dopingsperre, die sie mit dem Bekommen eines Knöllchens im Straßenverkehr verglich. (…) In Rio galt die Russin als gesperrt, bis der internationale Sportgerichtshof Cas das Urteil des IOC kippte“ (Das ist Chinas Bad Boy, in SZ 6.8.2016).
– Chinas Schwimmer-Doper Sun Yang
„Dass Sun Yang Anfang 2014 positiv auf das Stimulans Trimetazidin getestet wurde, vertuschte der Verband lange. Und verhängte dann rückwirkend nur drei Monate Sperre“ (Das ist Chinas Bad Boy, in SZ 6.8.2016). – Der australische Schwimmer Mack Horton gewann über 400 Meter Freistil gegen den Chinesen Sun Yang: Er nannte diesen am Tag des Wettkampfs einen „Doping-Betrüger“. „Im Mai 2014 war Sun Yang bei den chinesischen Meisterschaften mit dem verbotenen Stimulansmittel Trimetazidin erwischt worden. Dafür erhielt er vom chinesischen Schwimmverband eine Sperre von – Achtung, kein Witz! – drei Monaten. Seitdem die vorbei sind, schwimmt Sun Yang wieder mit wie ein Fisch in einem klaren Gebirgsbach. (…) Im Training in dieser Woche hatte Sun Yang, 24, die Nähe des Rivalen gesucht. Zur Begrüßung hatte er Horton freundlich nass gespritzt. Der aber ignorierte das Geplänkel. „Weil ich weder Zeit noch Respekt für Doping-Betrüger habe“ – das war der Satz, der anschließend hohe Wellen schlug. Ob er sich wünsche, dass auch andere Schwimmer in Rio ein solches Zeichen setzen, wurde Mack Horton noch gefragt, bevor er in die Nacht entschwand. Seine Antwort: ‚Ja. Heute ist ja erst der erste Tag. Hoffentlich melden sich noch einige zu Wort’“ (Hofmann, René, „Doping-Betrüger“, in SZ 8.8.2016).
– Keine russischen Sporter bei den Paralympics
Zur Vorgeschichte: „Zwischen 2012 und 2015 sind 643 positive Proben verschwunden, um russische Athleten zu schützen, darunter waren 35 Proben aus dem Paralympischen Sport. Um welche Sportarten es sich handelt, wollte das Internationale Paralympische Komitee nicht mitteilen. Das IPC übermittelte 19 weitere Proben zur Untersuchung an die Ermittler. Sie wurden bei den Paralympics 2014 entnommen, die kurz nach Olympia in Sotschi stattfanden. Und das könnte erst der Anfang sein. (…) Das Nationale Paralympische Komitee Russlands wurde erst 1995 gegründet. Dessen Präsident ist seit bald 20 Jahren Wladimir Lukin, ein Vertrauter Putins und bis 2014 Menschenrechtsbeauftragter im Kreml. Lukin, der im IPC nicht sonderlich gut vernetzt ist, sollte den Behindertensport professionalisieren. (…) Etliche Athleten hatten ihre Behinderung als Soldaten im Tschetschenien-Krieg davongetragen, andere durch Unfälle und Krankheiten. Wurden diese Sportler gegen ihr Wissen gedopt, um die Medaillendominanz der Russen möglich zu machen? Schon während der Spiele 2014 waren Gerüchte im Umlauf. Einige Verbände wunderten sich, warum die russischen Paralympier einen gesonderten Raum für die Abnahme der Dopingproben zur Verfügung hatten. Das Unbehagen verschwand, denn das dominierende Thema war die Annektierung der Krim. Überdies waren weit weniger Journalisten und Beobachter in Sotschi im Einsatz“ (Blaschke, Ronny, 35 verschwundene positive Proben, in SZ 3.8.2016).
„Nach den massiven Doping-Vorwürfen im Report des unabhängigen Wada-Ermittlers Richard McLaren hat das Internationale Paralympics Komitee (IPC) am Sonntag die Konsequenzen gezogen. Wie der britische ‚Guardian‘ schon am Samstag berichtet hatte, werden alle russischen Sportler von den Paralympischen Spielen ausgeschlossen. Die Weltspiele der Behindertensportler finden vom 7. bis 18. September in Rio statt. Die russische Nachrichtenagentur Tass zitierte Sportminister Witalij Mutko: Russland werde gegen die Entscheidung vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas vorgehen. ‚Das russische Anti-Doping-System ist kaputt und korrupt. Es entspricht nicht dem Welt-Anti-Doping-Code und nicht dem Anti-Doping-Code des Internationalen Paralympischen Komitees‘, sagte IPC-Präsident Philip Craven: ‚Es werden keine russischen Athleten bei den Paralympics in Rio starten.‘ (…) Am 22. Juli hatte das IPC das Suspendierungsverfahren gegen das russische NPC eingeleitet. Grundlage dafür ist der McLaren-Bericht. Das IPC hatte von McLaren die Namen von 35 Sportlern erhalten, die in Verbindung mit verschwundenen positiven Dopingproben aus dem Moskauer Kontrolllabor stehen sollen. ‚Der Report hat einen unvorstellbaren Umfang an institutionellem Doping im russischen Sport aufgedeckt, das auf dem höchsten Level gesteuert wurde‘, sagte Craven. ‚McLarens Erkenntnisse sind eine ernsthafte Besorgnis für alle, die sich einem sauberen und ehrlichen Sport verpflichtet fühlen'“ (Alle russischen Athleten von Paralympics ausgeschlossen, in spiegelonline 7.8.2016). – „Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), reagierte zustimmend: ‚Das ist eine klare, unmissverständliche, aber auch mutige Entscheidung. Sie findet die ausdrückliche Zustimmung des DBS. Null-Toleranz-Politik lässt keine Ausflüchte zu. Flächendeckendes Doping erlaubt keine Unschuldsvermutung.‘ (…) Am 22. Juli hatte das IPC das Suspendierungsverfahren gegen das russische NPC eingeleitet. Es hatte von McLaren die Namen von 35 Sportlern erhalten, die in Verbindung mit verschwundenen positiven Dopingproben aus dem Moskauer Kontrolllabor stehen sollen. Zudem hat der Dachverband 19 Dopingproben von den Winter-Paralympics 2014 in Sotschi zur Nachkontrolle geschickt, die im Verdacht stehen, ausgetauscht worden zu sein. ‚Der Report hat einen unvorstellbaren Umfang an institutionellem Doping im russischen Sport aufgedeckt, das auf dem höchsten Level gesteuert wurde‘, stellte IPC-Chef Craven fest“ (DPA, SID, Russland ist raus, in SZ 8.8.2016).
Der russische Sportminister Witalij Mutko: „Wir werden Klage beim Internationalen Sportgerichtshof Cas einreichen. Wir werden für unsere Athleten kämpfen“ (spiegelonline 7.8.2016).
Russische Logik: Erst werden die russischen Behindertensportler vom Staat zwangsgedopt, und dann kämpft dieser Staat für „seine“ Sportler vor Gericht gegen die Sperre, die wegen dieses Staatsdopings verhängt wurde.
Dazu aus einem Kommentar von Jens Weinreich in spiegelonline: „Einen Auftritt wie den von Sir Philip Craven hat die olympische Welt noch nicht gesehen. Der Brite, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), lieferte am Sonntag in Barra da Tijuca ein kleines Meisterstück an Transparenz und Konsequenz, das die olympische Welt erschüttert. Das IPC suspendierte das Russische Paralympische Komitee (RPC), somit können die Russen nach jetzigem Stand nicht an den Paralympischen Spielen im September in Rio de Janeiro teilnehmen. (…) Für das bestens dokumentierte russische Staatsdopingsystem und den organisierten Betrug an paralympischen Sportlern anderer Nationen empfinde er ’nichts als Ekel‘, sagte Sir Philip Craven: ‚Fairplay ist das Fundament des Sports. Wenn wir damit nachlassen, sind wir erledigt‘. Die Entscheidung des IPC-Verwaltungsrats, die am Samstag bereits durchgesickert war, da aber noch dementiert wurde, ist auch ein Schlag ins Gesicht des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach“ (Weinreich, Jens, Ein Entschluss, der die olympische Welt erschüttert, in spiegelonline 7.8.2016). Weinreich listete die unterschiedliche Beurteilung von IPC und IOC auf:
„- Das IPC suspendiert das RPC als Bestandteil des Staatsdopingsystems sofort, während Bachs IOC das russische NOK für angebliche Aufklärungsarbeit und Kooperationsbereitschaft mehrfach lobte. – Das IPC zieht Konsequenzen daraus, dass Russland schon im November 2015 als non compliant zum Welt-Antidoping-Code der Wada eingestuft wurde, während Bachs IOC daraus keine Schlussfolgerungen zieht.
– Das IPC hält sich an sein Regelwerk, während das IOC die juristisch unangreifbaren Optionen der Olympischen Charta negiert hat.
– Das IPC hat sofort mit dem Wada-Sonderermittler Richard McLaren kooperiert, sich beraten und ergänzende Auskünfte eingeholt, während Bach den MacLaren-Bericht demonstrativ nur noch als „vorläufig“ bezeichnet und davon spricht, nach weiteren Ermittlungen und nach Vorlage eines abschließenden Berichts neu entscheiden zu wollen. Er spielt auf Zeit.
– Das IPC stellt den Betrug der Russen am Rest der Welt bei den Sotschi-Paralympics in den Vordergrund – das IOC konzentrierte sich auf russische Sportler, denen man Schlupflöcher bot. (…) Bei den Paralympics organisierten die russischen Gastgeber, so muss man es bezeichnen, insgesamt 80 Medaillen (30 Gold, 28 Silber, 22 Bronze). Deutschland kam in der Nationenwertung auf Rang zwei (15 Medaillen, davon neun Gold) vor Kanada (16 Plaketten, sieben Gold). Diese Ergebnislisten werden komplett umgeschrieben. (…) Paralympische Sportler haben sich in den vergangenen Wochen mehrheitlich deutlich zu einer Sperre der Russen bekannt. Der Deutsche Behindertensportverband DBS unterstützte die IPC-Entscheidung am Sonntag auch sofort und unmissverständlich auf ganzer Linie. Dagegen hatte die Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Präsident Alfons Hörmann und der Vorstandsvorsitzende Michael Vesper, alles unternommen, um die Linie des einstigen DOSB-Primus Thomas Bach durchzusetzen. Deutsche Sportler wie Olympiasieger Robert Harting wurden verbal gemaßregelt. In Rio behauptete Vesper nun, es gelte Meinungsfreiheit im deutschen Team“ (Ebenda).
Craven kommentierte die Reaktion auf den McLaren-Bericht so: „Der Report hat einen unvorstellbaren Umfang an institutionellem Doping im russischen Sport aufgedeckt, das auf dem höchsten Level gesteuert wurde… McLarens Erkenntnisse sind eine ernsthafte Besorgnis für alle, die sich einem sauberen und ehrlichen Sport verpflichtet fühlen“ (Ebenda).
Und Boris Herrmann in der SZ: „Diese Spiele sind heute aber so groß und widersprüchlich, dass es für sie keine idealen Orte mehr gibt. Coubertins Idee eines Treffens der Jugend der Welt zum fairen sportlichen Wettkampf existiert allenfalls noch als Werbefassade. Wobei die Altherren-Clique des Internationalen Olympischen Komitees zunehmend Schwierigkeiten hat, sie aufrechtzuerhalten. Wenn der russische Sport des Staatsdopings überführt wird und trotzdem 271 Athleten nach Rio schicken darf, und wenn der Herr der Ringe, IOC-Präsident Thomas Bach, dazu erklärt, er habe ein ‚reines Gewissen‘, dann ist der Olympiageist endgültig auf der Intensivstation angelangt. (…) Ein noch viel größeres Symbol wäre es, wenn die Leichtathletin Julia Stepanowa doch noch eine Starterlaubnis für Rio bekäme. Sie hatte als Kronzeugin den russischen Dopingskandal aufgedeckt. Mit der Begründung, dass sie auch selbst gedopt war, wurde sie vom IOC gesperrt. Ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshof Cas bringt dieses weltweit kritisierte Argument auch rechtlich ins Wanken. Es wäre jetzt so einfach, diese Spiele mit einer großen Geste zu beginnen – mit der Entscheidung, dass Olympia nicht nur den Vertuschern gehört, sondern auch den Mutigen“ (Herrmann, Boris, Fünf Ringe und eine Hoffnung, in SZ 6.8.2016).
7.8.2016
– Gastgeber Brasilien nicht mehr getestet
„Kurz bevor im Maracana die Eröffnungsfeier begann, wurde auch der nächste Doping-Aufreger bekannt: Die brasilianische Anti-Doping-Agentur hatte die Medaillenkandidaten des Gastgeberlandes in jüngster Zeit einfach gar nicht mehr getestet. Womöglich auf Druck von staatlichen Stellen. Was vor nicht allzu langer Zeit noch ein veritabler Skandal mit weltweit heftigsten Schlagzeilen gewesen wäre – in der immer noch wallenden Empörung über das Staatsdoping der Russen und dem Umgang des IOC mit diesem ging er erst einmal ein wenig unter“ (Hofmann, René, Es wackelt gewaltig, in SZ 7.8.2016). – „Die Wada spricht von ‚inakzeptablen‘ Zuständen, der deutsche Doping-Experte Fritz Sörgel hält Staatsdoping wie in Russland für möglich. ‚Das ist ein Skandal. Es ist natürlich wieder mal kennzeichnend. Es zeigt, wie getrickst wird‘, sagte Sörgel: ‚Nach den schlechten Erfahrungen mit Russland muss man fragen: Gibt es in Brasilien auch Staatsdoping? Oder es war eine Chance, sich über etwas längere Zeit zu entdopen, um einen Skandal vor Olympia zu vermeiden‘. (…) Die WADA will am 1. Juli von Luis Horta, einem leitenden Angestellten der brasilianischen Anti-Doping-Agentur, davon unterrichtet worden sein, dass das Sportministerium des Landes bei einigen Top-Athleten unangemeldete Kontrollen gestoppt habe. Auch das nationale Olympische Komitee Brasiliens habe dahingehend Druck ausgeübt, berichtete Horta. Das Ministerium gab zu, dass zwischen dem 1. und 24. Juli keine Tests vorgenommen worden seien, leugnete jedoch jegliches Fehlverhalten und Einflussnahme von politischer Seite. (…) Horta sprach von einem Zeitraum von 45 Tagen vor den Spielen ohne Tests. Ziel seien so viele Medaillen wie möglich gewesen – ‚egal, ob sauber oder nicht‘. (…) Professor Horta arbeitete einst als Chef der nationalen portugiesischen Anti-Doping-Agentur. Im Vorfeld der Rio-Spiele sollte er brasilianische Dopingjäger mit finanzieller Hilfe der UNESCO in ihrem Kampf unterstützen. Er sollte dort Trainingskontrollen bei 287 Top-Athleten organisieren, gab sein Amt aufgrund der genannten Vorfälle jedoch kürzlich auf. Insgesamt schickt Brasilien 465 Sportler in seine Heimspiele. Laut Horta kam es bereits im Juni zu ersten Problemen. ‚Das Sportministerium und das Olympische Komitee setzten uns unter Druck und meinten, dass wir zu viele Kontrollen vornehmen und die Athleten so in ihrem Training stören würden‘, sagte er“ (SID, „Egal, ob sauer oder nicht“, in SZ 7.8.2016).
– IOC-Mitglied Alexander Popow droht IOC-Mitglied Sebastian Coe
Das russische IOC-Mitglied raunte in Richtung des Briten Sebastian Coe, der in seiner Funktion als Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes allen russischen Sportlern aus der Disziplin wegen des gigantischen Betrugs in dem Land geschlossen das Startrecht in Rio verwehrt hat: ‚Wir sehen es überhaupt nicht gerne, wenn Leute ihre Nasen in unsere Angelegenheiten stecken.‘ Popov, ein viermaliger Olympiasieger, weiter: ‚Ich hoffe, er wird seine Entscheidung eines Tages nicht bereuen.‘ Ein IOC-Mitglied, das dem Träger des Olympischen Ordens im Stile eines Mafia-Paten droht“ (Hofmann, René, Es wackelt gewaltig, in SZ 7.2016).
8.8.2016
Thomas Kistner über die Eröffnungsfeier Rio 2016 in der SZ:
„Es erforderte – nach den jüngsten Vorgängen – eine stabile Selbstgewissheit, einerseits die Russland-Frage auszublenden, andererseits aber das Frömmste aus dem Baukasten der Sportkonzern-Rhetorik hervorzukramen. Immerhin hat das IOC mit seiner Russlandpolitik einen neuen, unverrückbaren Standard gesetzt: Alles geht! Nach dem Staatscoup gegen die Integrität der Spiele in Sotschi 2014 dürfen bei der Folgeveranstaltung in Rio mehr als 270 Russen an den Start. Ausgenommen die Athletin, die die Verschwörung aufzudecken half: Julia Stepanowa. Das IOC sperrte die Russin wegen ethischer Defizite aus, mit der Whistleblowerin wurde das größte Gefahrenmoment für die Bewegung eliminiert: Aufklärung von innen. Auszupacken traut sich jetzt niemand mehr, und niemand kann einem Athleten guten Gewissens dazu raten. (…) In Rio haben drei Männer die Spiele eröffnet. Nuzman, ein klassischer, von Skandalen umwitterter Sportfunktionär. Temer, ein Interims-Staatschef, in dessen Umgebung Ermittlungen laufen und den das Publikum für einen Satz auspfiff. Und Bach, heute der umstrittenste Sportfunktionär der Welt, dessen Popularitätswerte mit denen von Sepp Blatter wohl nicht einmal mehr konkurrieren: Der Patron der Fifa hat seine Geschäftspolitik wenigstens nicht über die Athleten ausgetragen. Wenn drei solche Männer an die Jugend der Welt appellieren, darf man ihnen in dem Punkt recht geben: Sie schicken eine starke Botschaft in die Welt. Man muss gedopt sein, um an die Spiele zu glauben“ (Kistner, Thomas, Pfiffe wie beim siebten Tor, in SZ 8.8.2016).
– Jefimowa wird ausgebuht
„Das Publikum im Aquatics Stadium von Rio de Janeiro brauchte gar nicht zu hören, wer sich da an die Startblöcke stellte. Die Soundanlage funktionierte mal wieder nicht, die Vorstellung der Halbfinalistinnen über 100 Meter Brust ging in aller Stille über die Bühne. Doch als die für Bahn vier vorgesehene Athletin ihren Auftritt hatte, wurde es laut. Schrille Pfiffe und lautstarke Buhrufe empfingen Julija Jefimowa. (…) Der Fall Jefimowa steht für die großen Probleme im Weltschwimmverband (Fina), der wegen seiner nachlässigen Anti-Doping-Politik immer wieder in die Kritik geraten war. Ein ärztliches Attest hier, eine fragwürdige Erklärung dort – zuletzt hatten Schwimmstars, gerade solche mit Titeln und Rekorden, wenig zu befürchten, wenn sie gegen Dopingregeln verstießen. Häufig ging der Weltverband auf Tauchstation, statt um die Glaubwürdigkeit einer Sportart zu kämpfen, die ohnehin unter Dauer-Dopingverdacht steht“ (Knoll, Sabrina, Stolz, routiniert, ausgepfiffen, in spiegelonline 8.8.2016). Im Herbst 2013 wurde bei Jefimowa das Steroid Dehydroepiandrosteron getestet. Sie wurde nur 16 Monate gesperrt und konnte bei der Heim-WM in Kasan Gold über 100 Meter und Bronze über 50 Meter Brust gewinnen. Dann wurde sie mehrfach positiv auf das Herzmittel Meldonium getestet und von der Fina im März 2016 suspendiert. Da die russische Sportpolitik die angebliche Frist zum Abbauen von Meldonium anzweifelte, wurde die Sperre im Mai 2016 aufgehoben und Jefimowa im vergangenen Monat freigesprochen. „Und so wird es wohl wieder laut werden im Schwimmstadion, wenn das Finale über 100 Meter Brust aufgerufen wird, für das sich Jefimowa mit der zweitschnellsten Halbfinal-Zeit hinter der US-Amerikanerin Lilly King qualifizierte. Titelverteidigerin Ruta Meilutyte schlug als Gesamt-Viertschnellste im selben Lauf auf der Bahn neben jener Schwimmerin an, die ihr in Kasan bereits den WM-Titel verwehrte. Über das erneute Duell gegen eine bereits des Dopings überführte Konkurrentin wollte die Litauerin nicht sprechen“ (Ebenda; SID, Jefimowa ausgepfiffen, in SZ 8.8.2016).
– Jefimowa als „Siegerin“ ausgebuht
„Auf den letzten Metern kippte die Stimmung im Aquatics Centre in Rio. Ruta Meilutyte lag vorne in diesem Halbfinale über 100 Meter Brust, die 14 000 Zuschauer jubelten und schrien fast so energisch, als wäre da gerade eine Brasilianerin im Becken. Auch nach der Wende führte die Litauerin, doch Julia Jefimowa kam auf der Nebenbahn immer näher, ab der Hälfte war sie gleichauf. Aus dem Jubeln und Schreien wurde ein Pfeifen und Buhen, als die Russin tatsächlich noch als Erste anschlug. (…) Am Sonntagabend bei den Halbfinalläufen spürte Jefimowa deutlich, dass sie in der Schwimmwelt gerade nicht willkommen ist. Als ihr Name auf der Leinwand erschien, fingen die Buhrufe schon an, Jefimowa lief rein, winkte wie vorgesehen und versuchte ihr Standard-Lächeln zu zeigen. Doch das geriet unter dem Eindruck der lautstarken Abneigung ziemlich säuerlich. (…) Jefimowa verbesserte sich über die Jahre, aber mit unerlaubter Hilfe: Im Oktober 2013 wurde sie auf das anabole Steroid Dehydroepiandrosteron (DHEA) positiv getestet. Normalerweise hätte das bedeutet: Sie verpasst die WM in Kasan 2015. Statt zwei Jahren verhängte die Fina bei Jefimowa nur eine 16-Monate-Sperre, sie nahm ihr ab, dass sie aus Versehen ein unerlaubtes Nahrungsergänzungsmittel genommen hatte. Im Frühjahr 2015 kam die Athletin gleich mit einer Bestzeit zurück: Dabei hätte sie innerhalb der gesperrten Monate gar nicht professionell trainieren dürfen. Und dann in Kasan im August 2015: Jefimowa schwimmt wieder, im Finale besiegt sie Meilutyte und wird Weltmeisterin. Ruta Meilutyte sagt: ‚Ich habe sie immer respektiert, aber jetzt sehe ich sie nicht mehr als aufrichtige Konkurrentin an.‘ Es gibt etwas, das tatsächlich noch schwerer wiegt als Jefimowas Dopingvergehen. Redet sie darüber, wird es richtig hart für Sympathisanten des sauberen Sports. Bei der WM sagte sie zu ihrer Dopingsperre: ‚Ich vergleiche das immer mit dem Autofahren. Wenn Sie einen Führerschein haben, fahren Sie irgendwann auch mal zu schnell, dann bekommen Sie ein Knöllchen'“ (Aleythe, Saskia, Jefimowas Rückkehr mit Buhrufen und Pfiffen, in SZ 8.8.2016).
Dazu René Hofmann in der SZ:
„Der Sieger über 200 Meter Freistil heißt Sun Yang, ist 24 Jahre alt und kommt aus China. Die erste Frage, die ihm nach dem Erfolg gestellt wurde, lautete: ‚Spornt es Sie noch mehr an, dass Sie ein ‚Doping-Betrüger‘ genannt werden?‘ Die Siegerin über 100 Meter Brust heißt Lilly King. Einer der ersten Sätze der 19 Jahre alten Amerikanerin, nachdem sie sich aus dem Pool gezogen hatte, war: Sie hoffe, dass ihr Sieg ein Signal sende, ‚dass wir sauber antreten und trotzdem gewinnen können‘. Der Satz zielte direkt auf die Zweitplatzierte. Die Zweitplatzierte über 100 Meter Brust heißt Julia Jefimowa. Sie kommt aus Russland. Und sie darf bei diesen Spielen starten, obwohl sie im Oktober 2013 mit dem Steroid Dehydroepiandrosteron erwischt worden war, danach mit dem seit Anfang 2016 verbotenem Mittel Meldonium auffällig wurde und obwohl sie mit dem russischen Staatsdoping-Programm in Verbindung gebracht wird. (…) Bereits nach dem Halbfinale hatte es gekracht. Als Jefimowa im Ziel freudig den Zeigefinger in die Luft gereckt hatte, lief King gerade an einem TV-Monitor vorbei. Als sie die Geste ihrer Rivalin sah, reckte sie ihren Zeigefinger ebenfalls in die Luft und sagte: ‚Du hebst den Finger für die Nummer eins, dabei bist du mit Doping erwischt worden. Ich bin kein Fan von dir.‘ Viele Fans hat Jefimowa in Rio offenbar eh nicht. Bei ihren Auftritten gibt es zuverlässig Pfiffe. Aber äußerlich ficht das Jefimowa kaum an. „Ich bin glücklich, hier zu sein. Ich denke nur von Rennen zu Rennen.“ Mit dieser Einstellung zog sie ins Finale ein. Als sie das als Zweite beendet hatte und ihr Dutzende kritische Fragen gestellt wurden, kamen ihr dann doch die Tränen. Trotzdem sagte sie: ‚Ich bin einfach nur glücklich, hier zu sein. Vor einer Woche wusste ich noch nicht, ob ich antrete. Weil ich Russin bin.‘ Es klang wie eine Klage gegen eine ungerechte Diskriminierung. Eine recht eigenwillige Deutung. Lilly Kings Freude über den Sieg in