4.6.2015, aktualisiert 18.11.2018
Die folgende Materialsammlung soll das Geschehen rund um den Fifa-Kongress vom 26. bis 31. Mai 2015 in Zürich zusammenfassen. Sie ist chronologisch geordnet und wird mit den derzeit laufenden Fifa-Meldungen aktualisiert.
Gliederung:
Intro * 26.5.2015: Blatter-Dämmerung? * Die Aktivitäten der USA * Stellungnahmen der US-Behörden * US-Anklageergebnisse * Blatters Kronprinz verhaftet * Fifa-Pressekonferenz am 27.5.2015 * Die Schweiz handelt * Kommentare zu den Festnahmen der Fifa-Mitglieder * Fifa-Sponsoren nur leicht indigniert * Putin-Russland protestiert gegen USA * Fifa und Uefa * Eröffnung des Fifa-Kongresses am 28.5.2015 * 29.5.2015: Blatters fünfte Amtszeit * Das System Blatter * Lösungsvorschläge * 2.6.2015: Der Rücktritt * Fazit * Die weiteren Folgen
– Intro
„Die ‚Fußball-Kultur’ liegt im Sterben, klagt (Diego) Maradona, niedergemeuchelt von der ‚Mafia-Kultur’ einer ‚Fifa-Mafia’ unter Joseph S. Blatter. Das klingt hart. Doch die eigentliche Härte ist, dass man nicht widersprechen kann“ (Michael Wollny, Blatters Fifa verpasst schon wieder eine Chance, in Eurosport 26.5.2015).
– Mittwoch, 27.5.2015: Blatter-Dämmerung?
Nach dem Polizeieinsatz am 27.5.2015 im Luxushotel Baur au Lac in Zürich wurden sieben hohe Fifa-Funktionäre in Haft genommen, gegen 14 wird Anklage erhoben. Die Schweizer Bundesanwaltschaft wies in einer Mitteilung darauf hin, dass es sich um zwei verschiedene Verfahren handelt:
„Im von der Bundesanwaltschaft am 10. März 2015 eröffneten Schweizer Strafverfahren besteht der Verdacht, dass bei den Vergaben für die Fifa-Weltmeisterschaften 2018 sowie 2022 Unregelmäßigkeiten begangen worden sind. Entsprechende unrechtmäßige Bereicherungen, so der Verdacht, sollen zumindest teilweise in der Schweiz stattgefunden haben. Zudem befindet sich der Sitz der Geschädigten FIFA in der Schweiz. Die Bundesanwaltschaft führt eine Schweizer Strafuntersuchung über die Vergabe der Weltmeisterschaften von 2018 und von 2022 durch. Anfragen zu dieser schweizerischen Strafuntersuchung sind an die Bundesanwaltschaft zu richten.
In einem separaten Verfahren, und unabhängig vom Schweizer Strafverfahren der Bundesanwaltschaft, führt die für den Bezirk Ost von New York zuständige Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung über die Vergabe von Medien-, Vermarktungs- und Sponsoringrechten bei der Austragung von Fußballturnieren in den USA und Lateinamerika durch“ (Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesanwaltschaft stellt Dokumente bei FIFA sicher, in news.admin.ch. 27.5.2015).
– Die Aktivitäten der USA
Die Anklagepunkte der US-Behörden lauten u. a. auf Gangstertum, Verschwörung und Korruption. Sie wurden vertreten durch hochrangige US-Institutionen: „The charges were announced by Attorney General Loretta E. Lynch, Acting U.S. Attorney Kelly T. Currie of the Eastern District of New York, Director James B. Comey of the FBI, Assistant Director in Charge Diego W. Rodriguez of the FBI’s New York Field Office, Chief Richard Weber of the Internal Revenue Service-Criminal Investigation (IRS-CI) and Special Agent in Charge Erick Martinez of the IRS-CI’s Los Angeles Field Office” (Department of Justice, Office of Public Affairs, Nine FIFA Officials und Five Corporate Executives Indicted for Racketeering Conspiracy and Corruption, www.justice.gov. 27.5.2015).
Die Liste der 14 Angeklagten des US-Justizministeriums:
The Indicted Defendants. As set forth in the indictment, the defendants and their co-conspirators fall generally into three categories: soccer officials acting in a fiduciary capacity within FIFA and one or more of its constituent organizations, sports media and marketing company executives, and businessmen, bankers and other trusted intermediaries who laundered illicit payments.
Nine of the defendants were FIFA officials by operation of the FIFA statutes, as well as officials of one or more other bodies:
Jeffrey Webb: Current FIFA vice president and executive committee member, CONCACAF president, Caribbean Football Union (CFU) executive committee member and Cayman Islands Football Association (CIFA) president.
Eduardo Li: Current FIFA executive committee member-elect, CONCACAF executive committee member and Costa Rican soccer federation (FEDEFUT) president.
Julio Rocha: Current FIFA development officer. Former Central American Football Union (UNCAF) president and Nicaraguan soccer federation (FENIFUT) president.
Costas Takkas: Current attaché to the CONCACAF president. Former CIFA general secretary.
Jack Warner: Former FIFA vice president and executive committee member, CONCACAF president, CFU president and Trinidad and Tobago Football Federation (TTFF) special adviser.
Eugenio Figueredo: Current FIFA vice president and executive committee member. Former CONMEBOL president and Uruguayan soccer federation (AUF) president.
Rafael Esquivel: Current CONMEBOL executive committee member and Venezuelan soccer federation (FVF) president.
José Maria Marin: Current member of the FIFA organizing committee for the Olympic football tournaments. Former CBF president. (Sollte sich um das Olympische Fußballturnier 2016 in Rio kümmern.)
Nicolás Leoz: Former FIFA executive committee member and CONMEBOL president.
Four of the defendants were sports marketing executives:
Alejandro Burzaco: Controlling principal of Torneos y Competencias S.A., a sports marketing business based in Argentina, and its affiliates.
Aaron Davidson: President of Traffic Sports USA Inc. (Traffic USA).
Hugo and Mariano Jinkis: Controlling principals of Full Play Group S.A., a sports marketing business based in Argentina, and its affiliates. And one of the defendants was in the broadcasting business but allegedly served as an intermediary to facilitate illicit payments between sports marketing executives and soccer officials:
José Margulies: Controlling principal of Valente Corp. and Somerton Ltd.
(Department of Justice, Office of Public Affairs, Nine FIFA Officials und Five Corporate Executives Indicted for Racketeering Conspiracy and Corruption, www.justice.gov. 27.5.2015).
Es wurden also sechs Mitglieder des 24-köpfigen Fifa-Exekutivkomitees in Haft genommen, darunter zwei Vizepräsidenten – Stellvertreter Blatters. Blatter wird drei Tage später erklären, diese Personen hätten mit der Fifa nichts zu tun.
„Der Behörde zufolge sollen Vertreter von Sportmedien und Sportvermarktungsunternehmen Delegierte der Fifa und andere Funktionäre von Fifa-Unterorganisationen mit mehr als 100 Millionen Dollar bestochen haben. Als Gegenleistung sollen sie bei der Austragung von Fußballturnieren in den USA und Lateinamerika die Medien-, Vermarktungs- und Sponsoringrechte erhalten haben. Die Zahlungen seien über US-Banken abgewickelt worden. (…) Fifa-Boss Joseph Blatter, 79, soll ersten Meldungen zufolge nicht zu den Beschuldigten gehören. ‚Er hat damit überhaupt nichts zu tun’, sagte Fifa-Sprecher Walter de Gregorio“ (Schweizer Polizei nimmt Fifa-Funktionäre fest, in spiegelonline 27.5.2015). – “Die Staatsanwaltschaft des Eastern District of New York wirft den Fußballfunktionären vor, über einen Zeitraum von 24 Jahren Schmiergeldzahlungen und Kickback-Geschäfte von mehr als 150 Millionen Dollar angenommen zu haben” (Eberle, Lukas u. a., Spielverderber, in Der Spiegel 23/30.5.2015).
– New York Times: “Mr. Blatter und die Fifa haben Korruptionsstreitigkeiten in der Vergangenheit überstanden, aber keine von diesen wurde als Anklage von einem US-Bundesgericht vertreten. Die Gesetze der USA gibt dem Justizministerium große Befugnisse, den Fall auch gegen Ausländer im Ausland zu erheben… Diese Fälle können von der geringsten Verbindung zu den USA abhängen, wie der Benutzung einer amerikanischen Bank oder einem Internet-Provider“ (Apuzzo, Matt, Schmidt, Michael S., Rashbaum, William K., Borden, Sam, Fifa Officials Arrested on Corruption Charges: Blatter Isn’t Among Them, in nytimes.com 26.5.2015).
Laut Folco Galli, Sprecher des Schweizer Bundesamtes für Justiz, „sollen die Funktionäre im Gegenzug bei mehreren internationalen Fußballturnieren in den USA und Lateinamerika Medienvermarktungs- und Sponsoringrechte vergeben haben. Die Zahlungen seien über amerikanische Banken abgewickelt worden. Delegierte des Weltfußballverbandes Fifa und andere Funktionäre von Fifa-Unterorganisationen sollen in Schmiergeldzahlungen in Höhe von über 100 Millionen Dollar verwickelt gewesen sein. Die Straftaten seien in den USA vorbereitet und abgesprochen worden, schrieb das Bundesamt unter Berufung auf das Verhaftungsersuchen“ (Sechs Fifa-Funktionäre in Zürich verhaftet, in nzz.ch 27.5.2015).
„Die Schweizer Staatsanwaltschaft hat rund um die Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar ein Strafverfahren eröffnet. In dem Zusammenhang seien im Hauptquartier des Weltfußballverbands Fifa in Zürich elektronische Daten und Dokumente sichergestellt worden, teilte die Behörde mit. Es bestehe der Verdacht der Geldwäscherei und Schmiergeldzahlungen. Die Ermittlungen würden nicht gegen konkrete Personen laufen, hieß es. Bereits zuvor seien Schweizer Finanzinstitute angewiesen worden, die Bankunterlagen zu erheben. ‚Die heute sichergestellten elektronischen Daten und Akten sowie die erhobenen Bankunterlagen dienen sowohl dem Schweizer Strafverfahren als auch ausländischen Strafverfahren‘, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Auch die amerikanische Justiz geht derzeit gegen die Fifa vor. Die US-Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen neun Fifa-Funktionäre erhoben. Ihnen wird Korruption und Verschwörung vorgeworfen. Es geht um Summen von mehr als 100 Millionen Dollar aus den vergangenen 20 Jahren“ (Strafverfahren wegen WM-Vergabe – Staatsanwaltschaft durchsucht Fifa-Zentrale, in sueddeutsche.de 27.5.2015).
Das US-Haftersuchen erreichte das Schweizer Bundesamt für Justiz (BJ) am 22. Mai: „’Das Ersuchen ist auf den 21. Mai 2015 datiert, wir erhielten es einen Tag später’, sagt die BJ-Sprecherin Ingrid Ryser SPIEGEL ONLINE. Daraufhin habe das Bundesamt die Kantonspolizei Zürich mit den Verhaftungen beauftragt. (…) Absender des Ersuchens ist laut Ryser das Office of International Affairs des US-Justizministeriums. Es berief sich dabei auf einen Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und den USA von 1997, der vorsieht, dass die Schweiz an die US-Behörden Personen ausliefert, wenn gegen diese ein Strafverfahren nach US-Recht läuft“ (Schweiz wusste seit Tagen von US-Ermittlungen, in spiegelonline 27.5.2015).
Am 26.5.2015 wurde auch die Zentrale des Nord- und Mittelamerikanischen Fußballverbandes Concacaf in Miami durchsucht. Webbs Vorgänger als Fifa-Vizepräsident, Jack Warner, stellte sich am 28.5.2015 der Polizei in Trinidad & Tobago. „Am Mittwoch wurde bekannt, dass Warners Söhne Daryan und Daryll die gegen sie erhobenen Vorwürfe 2013 eingeräumt hätten. Offenbar kooperieren sie seither mit der US-Justiz. Dabei soll es unter anderem um Stimmenkäufe bei der Vergabe der WM 2010 an Südafrika gehen“ (Ex-Fifa-Vize Warner stellt sich der Polizei, in spiegelonline 28.5.2015). – „Die Ermittler werfen Warner vor, 2008 insgesamt zehn Millionen Dollar von einem ranghohen Fifa-Offiziellen erhalten zu haben. Das Geld soll auf einem US-Konto eingegangen sein, das Warner kontrollierte. Die Summe soll, so der Vorwurf, die Gegenleistung dafür gewesen sein, dass Warner mit seiner Stimme dazu beitrug, die WM 2010 nach Südafrika zu vergeben. Der Sportminister des Landes bestreitet ein Fehlverhalten der Regierung“ (Früherer Vizepräsident Warner verlässt Gefängnis, in spiegelonline 29.5.2015). Gegen 2,5 Millionen Dollar Kaution konnte Warner nach einer Nacht das Gefängnis in Trinidad wieder verlassen (Joseph Blatter tritt als Fifa-Boss zurück, in sueddeutsche.de 2.6.2015). Warner fragte: „Warum gibt es kein Ermittlungsverfahren gegen Blatter?“ (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Zittern vor den Verstoßenen, in SZ 2.6.2015).
– Stellungnahmen der US-Behörden
Loretta Lynch war US-Staatsanwältin für den Bezirk East New York. Die Ermittlungen von Lynch führten dazu, dass die City-Bank ein Bußgeld von sieben Milliarden Dollar und die HSBC-Bank zwei Milliarden Dollar bezahlten (Richter, Nicolas, Eiserne Ministerin, in SZ 30.5.2015; Hervorhebung WZ). Lynch und ihr Team sind seit 2010 auch mit der Fifa befasst. Im April 2015 wurde Lynch Obamas neue Justizministerin (Pitzke, Marc, Die Mafiajäger aus Washington, in spiegelonline 29.5.2015). „Die US-Behörden werfen den sieben festgenommenen Fifa-Funktionären Korruption in einem Zeitraum von mindestens 24 Jahren vor. ‚Sie haben das weltweite Fußballgeschäft korrumpiert, um sich selbst zu bereichern’, sagte US-Justizministerin Loretta Lynch bei einer Pressekonferenz in New York. ‚Sie haben es immer und immer wieder gemacht. Jahr um Jahr, Turnier um Turnier.’
Lynch kündigte an, die Korruption im Weltfußball rigoros bekämpfen zu wollen. Die am Mittwochmorgen in Zürich festgenommenen Funktionäre hätten dem Fußball großen Schaden zugefügt. Ihnen drohen laut Lynch bis zu 20 Jahre Haft. (…) Der Oberstaatsanwalt von New York, Kelly Currie, kündigte an, dass die Festnahmen nicht das Ende, sondern der Anfang der Ermittlungen seien.
‚Diese Art der Korruption und der Bestechung im internationalen Fußball läuft seit zwei Jahrzehnten’, sagte Currie. Alle Verdächtigten hätten das US-Finanzsystem für ihre Zwecke missbraucht und amerikanische Gesetze gebrochen. ‚Was sie gemein hatten, war die Gier.’ (…) Auch der Chef der US-Steuerfahndung übte harsche Kritik am Weltverband. Die Fifa handle aus Eigennutz und Profitgier, sagte Richard Weber. ‚Dies ist die Weltmeisterschaft des Betrugs, und heute zeigen wir der Fifa die Rote Karte‘, betonte er und sprach von einem ‚guten Tag für Fußballfans und einem großartigen Tag für den globalen Kampf gegen Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung'“ („Sie haben es immer und immer wieder gemacht“, in spiegelonline 27.5.2015).
Auch weitere Personen und Einrichtungen in vielen Ländern würden noch überprüft, dazu gebe es 25 namentlich nicht genannte Mitverschwörer (Ebenda). – „Lynch zufolge sind allein im Zusammenhang mit der Vergabe der Copa America 2016 in den USA rund 110 Millionen Dollar (101 Millionen Euro) an Bestechungsgeldern geflossen. Das Turnier findet im kommenden Jahr erstmals außerhalb von Südamerika statt. Es wird anlässlich des 100. Geburtstages des südamerikanischen Verbandes als Gemeinschafts-Event Copa America Centenario in den USA ausgetragen“ (Russland verurteilt USA wegen Fifa-Festnahmen, in spiegelonline 27.5.2015).
„So einen Aufmarsch an Prominenz amerikanischer Bundesbehörden hat die Welt selten gesehen. Seit vier Jahren befassen sich die US-Fahnder mit Schmutzgeschäften im Umfeld der Fifa. Justizministerin Loretta Lynch, FBI-Direktor James Comey, der New Yorker Staatsanwalt Kelly Currie und hochrangige Vertreter der Steuerbehörde IRS beschrieben die Fifa einmal mehr als mafiöses System. Gegen 14 Funktionäre und Sportrechtehändler, darunter die sieben in Zürich Festgenommenen und insgesamt sechs aktuelle oder ehemalige Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees wurde Anklage erhoben. Einige andere wie der US-Amerikaner Chuck Blazer, langjähriger Fifa-Vorstand und Generalsekretär der nordamerikanischen Konföderation Concacaf, haben Delikte der Unterschlagung, des Betruges, der Geldwäsche, der Steuerhinterziehung und Verschwörung längst gestanden und kooperieren seit Jahren mit FBI und IRS, um das Strafmaß zu mindern“ (Weinreich, Jens, Es wird eng für Blatter, in spiegelonline 28.5.2015). Blazer war 21 Jahre Generalsekretär der Concacaf und wurde vom FBI und der US-Steuerfahndung 2011 vor die Wahl gestellt: „Wir können Sie in Handschellen abführen – oder Sie können kooperieren“ (Pitzke, Marc, Die Mafiajäger aus Washington, in spiegelonline 29.5.2015).
– Mittwoch, 27.5.2015: US-Anklageergebnisse
Loretta Lynch übergab am 27.5.2015 einem New Yorker Gericht eine 161 Seiten starke Anklageschrift. Einige Punkte aus dem SZ-Artikel „Was in der Anklage steht“ vom 28.5.2015:
Copa América: 1986 erwirbt Traffic Brazil die weltweiten Vermarktungsrechte der Südamerika-Meisterschaft. 1991 fordert der Präsident des südamerikanischen Fußballverbandes Conmeboil, Nicolas Leoz, eine sechsstellige Schmiergeldsumme für die Vertragsverlängerung: „Für die weltweiten Vermarktungsrechte der vier Copa Américas von 2015 an werden bereits Schmiergelder in Höhe von 110 Millionen an elf Conmebol-Offizielle vereinbart.“ Leoz (*1928, Paraguay) hatte bereits Schmiergeldzahlungen der ISL zwischen 1997 und 2000 angenommen (Wikipedia).
Gold Cup: Ab 1996 erwirbt Traffic USA die Vermarktungsrechte der Nord- und mittelamerikanischen Meisterschaft. Jack Warner erhält bis 2003 Hunderttausende Dollar an Schmiergeld. „Warners Nachfolger Jeffrey Webb erhält 1,1 Millionen für seine Zusage der Rechte am Gold Cup und Concacaf Champions League 2012 an Traffic USA. Für die Turniere im folgenden Jahr sind es bereits zwei Millionen“ (SZ 28.5.2015).
Copa Libertadores: Nicolas Leoz erhält Schmiergeld- und Kickback-Zahlungen für die Werberechte an der südamerikanischen Fußball-Königsklasse. Allein 2006 erhielt er mehr als zwei Millionen Dollar auf persönliche Konten (Ebenda).
Brasilianische Nationalmannschaft: Ein US-Sportausrüster bezahlt für die Ausrichterrechte 1996 bis 2006 160 Millionen US-Dollar – plus 40 Millionen Dollar an eine Tochter von Traffic Brasil. Davon fließt die Hälfte als Schmiergeld an Fußballfunktionäre (Ebenda).
WM-Vergabe 2010: Warner erhielt vom südafrikanischen Bieter-Komitee zehn Millionen Dollar, die über ein Fifa-Konto in der Schweiz auf ein US-Konto von Concacaf und CFU (Caribbean Football Union) und Warners Privatkonten fließen.
Fifa-Präsidentenwahl 2011: Ein hoher Fifa-Funktionär, Mit-Verschwörer Nr. 7 (Mohamad Bin Hamman) erklärte die Kandidatur zum Präsidentenamt. 363.537,98 Dollar flossen auf das Konto des CFU. Warner teilte im Mai 2011 den CFU-Funktionären mit, dass sie ein „Geschenk“ – 40.000 Dollar im Umschlag – erhalten würden. Mit-Verschwörer #7 veranlasste nach seinem Rücktritt eine Zahlung von über 1,2 Millionen Dollar auf ein Warner-Konto.
Anklage-Erheber Kelly Currie: „Lassen Sie es mich deutlich sagen: Diese Anklage ist nicht das letzte Kapitel unserer Untersuchung“ (Hofmann, René, „Ungezügelte und systemische Korruption“, in SZ 28.5.2015).
– Blatters Kronprinz verhaftet
Jeffrey Webb von den Cayman Islands ist Vizepräsident der Fifa und des Concacaf. Sein Vorgänger war Jack Warner, der der Korruption überführt wurde: Beide Söhne von Warner sitzen wie erwähnt in Miami in Haft und kooperieren mit den US-Behörden. „Als Gegenleistung für seine Wahlhilfen erhielt Warner seit den Neunzigerjahren unter anderem regelmäßig die WM-Fernsehrechte der Fifa für die Karibik zugeschanzt, für einen Spottpreis, der anfänglich bei einem ‚symbolischen’ Dollar lag“ (Das böse Erwachen des Blatter-Kronprinzen, in spiegelonline 27.5.2015). – „ Im Falle der WM 2010 in Südafrika hingegen glauben die US-Ermittler, Schmiergeldzahlungen nachweisen zu können. Zehn Millionen sollen über Mittelsmänner auf die Konten der Karibischen Fußball-Union CFU und dem Uefa-Pendant in Nord- und Mittelamerika Concacaf geflossen sein, die der ehemalige Fifa-Vize und enge Blatter-Vertraute Jack Warner kontrollierte. (…) Auch bei anderen Gelegenheiten nutzte Warner seine Macht aus, um sich zu bereichern. So hatte die Fifa ihm für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 die Fernsehrechte in der Karibik für jeweils lediglich einen Dollar verkauft. Über seine Firma JD International erzielte er anschließend allein für die WM 2002 einen Erlös von 4,25 Millionen Dollar“ (Kröger, Michael, Der Selbstbedienungsladen, in spiegelonline 28.5.2015).
„Noch am Dienstag hatte einer von Blatters engsten Vertrauten den Kontinental-Verband von Nord- und Mittelamerika (Concacaf) auf Linie gebracht. Man werde wie üblich die knapp 40 Voten im Block für den Schweizer abgeben, hatte Jeffrey Webb erklärt“ (Kistner, Thomas, Der Tag, an dem der Präsident nicht tanzt, in sueddeutsche.de 28.5.2015). – „Am Dienstag war er noch bester Laune gewesen: Bei einem Treffen seines Kontinentalverbandes in Zürich scherzte Jeffrey Webb, der bevorstehende Fifa-Kongress drohe etwas langweilig zu werden. Nur einen Tag später steht die Karriere des Fußballfunktionärs vor dem Zusammenbruch. In Zivil gekleidete Schweizer Ermittler erschienen am frühen Morgen unangemeldet im Fünf-Sterne-Hotel, in dem Webb übernachtete. Sie ließen sich den Zimmerschlüssel des 50-Jährigen geben und nahmen ihn fest – zusammen mit sechs weiteren Funktionären. Laut Schweizer Behörden geht es um Bestechung mit einer Gesamtsumme von etwa 120 Millionen Dollar seit den Neunzigerjahren. Das Geld sollen die Funktionäre von Sportmedien- und Sportvermarktern erhalten haben. (…) Nachfolger Webb versuchte, sich als Saubermann zu inszenieren. Das war aber spätestens dann nicht mehr glaubhaft, als Canover Watson, sein Vizepräsident bei der Concacaf, im vergangenen September auf den Cayman Islands wegen Geldwäsche verhaftet wurde. Ironischerweise hatte er bei der Fifa ein Amt als Finanzprüfer inne“ (Das böse Erwachen des Blatter-Kronprinzen, in spiegelonline 27.5.2015).
– Mittwoch, 27.5.2015: Fifa-Pressekonferenz
Fifa-Kommunikationschef Walter de Gregorio saß allein bei der Pressekonferenz: „’Das Timing ist nicht das beste: Die Eröffnung des Strafverfahrens gleichzeitig mit dem Fifa-Kongress.’ Die jährliche Tagung beginnt am Donnerstag und soll am Freitag mit der Wahl des Fifa-Präsidenten fortgesetzt werden. De Gregorio sagte, die Fifa selbst habe den Generalstaatsanwalt im vergangenen November gebeten, das Verfahren zu eröffnen. ‘Das ist gut für die Fifa. Es ist nicht gut für das Image, wegen des Rufs. Im Sinne der Transparenz, dass es bereinigt wird, ist es gut’, sagte de Gregorio. ‘In diesem Kontext ist die Fifa die beschädigte Partei.’ (…) Zu Blatters Gemütszustand sagte der Sprecher: ‚Er tanzt natürlich nicht in seinem Büro.’ Und weiter: ‚Er ist recht entspannt. Er weiß, dass er nicht involviert ist’“ („Blatter tanzt natürlich nicht“, in spiegelonline 27.5.2015).
„Die Fifa hat diesen Prozess am 18. November 2014 selbst initiiert. Das hatte mit der Vergabe der Weltmeisterschaft 2018 und 2022 zu tun“ („Wir sind die geschädigte Partei“, in sueddeutsche.de 27.5.2015).
Da biegt sich de Gregorio die Geschichte hin, wie er sie braucht und stellt die Fifa noch als Wahrheitssuchende dar. Dabei wurden ja gerade die Fifa-Büros durchsucht, weil der Verdacht naheliegt, dass auch bei der Vergabe der WM 2018 und 2022 bestochen wurde.
„Ich möchte ausdrücklich betonen. Ausdrücklich, dass die Fifa in diesem Fall die geschädigte Partei ist. Das bedeutet, dass keine Durchsuchungen in Fifa-Büros durchgeführt wurden“ (Ebenda).
Das ist völlig falsch: “Wie die Schweizer Bundesanwaltschaft mitteilte, haben Ermittler in der Zentrale des Weltverbands Dokumente und Datenträger beschlagnahmt“ (Russland verurteilt USA wegen Fifa-Festnahmen, in spiegelonline 27.5.2015). – „Sie rückte am Morgen ins mondäne Hauptquartier auf dem Zürichberg ein, um ‚elektronische Daten und Dokumente sicherzustellen‘. Unterlagen zu den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022, die seit ihrer Verkündung am 2. Dezember 2010 unter Korruptionsverdacht stehen“ (Kistner, Thomas, Der Tag, an dem der Präsident nicht tanzt, in sueddeutsche.de 28.5.2015). – Nach Angaben der NZZ wurden bei der Fifa-Razzia zwei Terrabyte gesichert (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Zehn Millionen für die Karibik, in SZ 1.6.2015).
Natürlich wurden Fifa-Büros durchsucht.
„Der Präsident tanzt nicht in seinem Büro. Aber er ist entspannt, weil es eine Bestätigung ist, dass er nicht beschuldigt ist“ (Ebenda).
Blatter war von 1981 bis 1998 Fifa-Generalsekretär und ist seit 1998 Fifa-Präsident. Wer, wenn nicht er, soll für das seit Jahrzehnten bestehende Fifa-Bestechungssystem sonst verantwortlich sein?
„Wie können Sie fordern, dass er zurücktreten soll. Er ist der Präsident, in zwei Tagen sind Wahlen. Wenn ihn die Mehrheit der 209 Mitglieder wählt, wird er für weitere vier Jahre der Präsident sein“ (Hummel, Thomas, Sepp Blatter ist nicht zu fassen, in sueddeutsche.de 27.5.2015).
– Die Schweiz handelt
„Die Schweiz garantierte den Sportverbänden bislang stets die nötige Verschwiegenheit und eine gewisse Ruhe vor Strafverfolgung. Das scheint nun anders, die Ereignisse vom Mittwoch sind deshalb historisch zu nennen. Bisher hatten internationale Verbände, von denen mehr als 60 in der Schweiz residieren, gern damit gedroht, das Land zu verlassen und sich anderswo anzusiedeln, sollten die Gesetze gegen Korruption und Geldwäsche verschärft werden. Nun haben die Schweizer Behörden auf Ersuchen ihrer amerikanischen Kollegen einfach mal gehandelt. (…) Das alles hat eine neue Qualität und zeigt den einzig wirkungsvollen Weg, wie dem flächendeckenden Korruptions- und Selbstbedienungssystem im Reich des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter beizukommen ist: Mit der Härte des Gesetzes. Klingt einfach, ist in dieser Branche, die mit Emotionen handelt und ein Kulturgut der Menschheit vermarktet, allerdings nicht so einfach“ (Weinreich, Jens, Es wird eng für Blatter, in spiegelonline 28.5.2015).
– Kommentare zu den Festnahmen der Fifa-Mitglieder
Der englische Ex-Fußball-Nationalspieler Gary Lineker: „Das ist außergewöhnlich! Die Fifa zerbricht. Das Beste, das diesem schönen Spiel möglicherweise passieren kann“ („Die Fifa zerbricht“, in spiegelonline 27.5.2015).
Thomas Hummel in der SZ: „Der einst würdevolle Vertreter des schönen Fußballspiels ist offensichtlich zu einem Hort aus Betrügern geworden. Das Raunen darüber existiert schon seit Jahrzehnten, Korruptionsfälle und -vorwürfe auch. Die Fifa und ihr Chef sind in weiten Teilen der Welt so unbeliebt wie ein Heuschreckenschwarm. (…) Dass die Amerikaner von mindestens zwei Generationen von Funktionären sprechen, die sich bereichert haben sollen, ignoriert die Fifa. Blatter war ab 1981 Generalsekretär und ist seit 1998 Chef. Seit 34 Jahren sitzt er in der Schaltzentrale des Verbands, in den weit mehr als 150 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern geflossen sein sollen. Von Medien- und Sportmarketingunternehmen an die Fußballfunktionäre. Ohne das Wissen Blatters?“ (Hummel, Thomas, Sepp Blatter ist nicht zu fassen, in sueddeutsche.de 27.5.2015).
Michael Ashelm in der FAZ: „Doch unter diesen Umständen wirkt es absurd, dass sich der ewige Fifa-Herrscher Joseph Blatter am Freitag beim Fifa-Kongress als Präsident zum vierten Mal in Folge bestätigen lassen will. Zwei seiner Vizepräsidenten sind verhaftet worden, zudem weitere wichtige Funktionäre. Zu denen, die jetzt wegen des Vorwurfs der Bestechung in Auslieferungshaft (an die Vereinigten Staaten) sitzen, gehört der einflussreiche Präsident des brasilianischen Fußballverbandes, José Maria Marin. Er war sozusagen einer der Mitgastgeber der WM im vergangenen Jahr, die der Fifa einen neuen Rekordgewinn bescherte. (…) Jahrzehnte wirkte er in entscheidenden Positionen des Weltverbandes und arbeitete dabei mit vielen dubiosen und inzwischen sogar abgeurteilten Funktionären eng zusammen“ (Ashelm, Michael, Blatter muss abtreten! In faz.net 27.5.2015).
Der ehemalige brasilianische Fußball-Nationalspieler, Weltmeister 1994 und heutige Abgeordnete Romário attackierte vor allem Brasiliens Ex-Fußballboss José Maria Marin – dieser sei eine der „Ratten“, die er schon oft beschuldigt habe. „Das ist die Person, die mit (Brasiliens) Präsidentin Dilma (Rousseff) während der Fußball-WM Staatschefs empfangen hat… Diebe müssen ins Gefängnis. … Glückwunsch ans FBI und die Schweizer Polizei“ (Ex-Vize Warner stellt sich der Polizei, in spiegelonline 28.5.2015).
The Guardian: „Bestechung folgt Bestechung folgt Bestechung. Der Gestank der Korruption liegt über der gesamten Fifa“ ( „Das Spiel ist aus“, in spiegelonline 28.5.2015).
Wall Street Journal: „Der größte Skandal des modernen Sports. Die Fifa ist seit Jahrzehnten eine perverse Mischung aus verhätschelter Oligarchie und der Schurkerei von James-Bond-Bösewichten“ (Ebenda).
Libération: „Fifa nostra. Die USA und die Schweiz greifen an“ (Ebenda).
Tagesanzeiger, Schweiz: „In keiner anderen Geschäftswelt wäre Blatter noch tragbar. Bei der Fifa aber darf er jetzt den Erneuerer spielen“ (Ebenda).
Sport, Spanien: „Ein ganz harter Schlag für die Glaubwürdigkeit der Fifa, die von Skandal in Skandal tappt. Eine Bande von Lebemännern, die sich für unangreifbar halten“ (Ebenda).
St. Galler Tagblatt: „Wie kann Blatter als langjähriger Präsident der Fifa sagen, er habe mit all diesen Vorgängen, die nun endlich an die Öffentlichkeit kommen, nichts zu tun?“ (Zeitungskommentare nehmen Blatter in die Verantwortung, in suedostschweiz.ch 28.5.2015).
Basler Zeitung: „Wenn es ihm tatsächlich nur um den Geist des Fußballs gehen würde, hätte er den Weg längst freimachen müssen. Aber ihm geht es um die Macht“ (Ebenda).
Neue Luzerner Zeitung: „Zwar hatte man schließlich, auf enorm großen Druck hin, eine Ethikkommission auf die Beine gestellt. Doch von voller Transparenz wollte Blatter weiterhin nichts wissen“ (Ebenda).
Dazu Holger Gertz in einem Porträt über Sepp Blatter: „Der Begriff ‚Fifa-Ethikkommission’ wurde 2010 in der Schweiz, dem Sitz der Fifa, zum Unwort des Jahres gewählt. Begründung: ‚Aufgrund der wiederholten Korruptionsbeschuldigungen rund um die FIFA und ihrer Funktionäre beabsichtigt der Weltfußballverband nun mit einer hausgemachten Kommission seine hausgemachten Probleme zu lösen. In diesem Zusammenhang den Begriff der Ethikkommission zu strapazieren, ist nach Ansicht der Jury ein glatter Widerspruch – ohne Wenn und Aber’“ (Gertz, Holger, Jesus lebt, in SZ 27.5.2015).
Jens Weinreich im Interview im Bündner Tagblatt: „Ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Und ich hätte nie damit gerechnet, ausgerechnet in Zürich Zeuge solcher Vorgänge zu werden. (…) Der heutige Tag aber verändert vieles. Er hat bei der Fifa, aber auch beim Olympischen Komitee und vielen anderen hier ansässigen internationalen Sportverbänden Schockwellen und Angst ausgelöst. (…) Blatter ist ein moralisch korrupter, charakterloser Gesell, man kann das nicht anders ausdrücken. Und er ist der größte Nutznießer dieses Systems. (…) Die Uefa ist genauso korruptionsverseucht wie die Fifa, deren Mitglied sie ist“ (Bühler, Denis, Tibolla, Rinaldo, „Das System ist todkrank – und wird es mit Blatter bleiben“, in Bündner Tagblatt 28.5.2015).
Anno Hecker in der FAZ: „Mit dem Finger zeigt Präsident Joseph Blatter auf Kollegen aus seiner Fußball-Weltregierung und distanziert sich indirekt von denen, die eben noch seine guten Freunde, Tischnachbarn und Stimmengaranten waren. Der Chef wäscht seine Hände nach der Verhaftungswelle in Zürich wieder einmal in Unschuld“ (Hecker, Anno, Die Fifa vergiftet den Sport, in faz.net 28.5.2015).
Holger Gertz und Thomas Kistner in der SZ: „Alles, was Fachleute in den vergangenen Jahren geschrieben und gesagt haben, oft genug gegen die tauben Ohren der fußballbegeisterten Öffentlichkeit und der Boulevardtrommler, verdichtet sich mehr und mehr zur Realität: der mächtige Weltfußballverband Fifa ist ein Verein von Schiebern, Betrügern, Verbrechern“ (Gertz, Holger, Kistner, Thomas, Sumpf ist Trumpf, in SZ 30.5.2015).
– Fifa-Sponsoren zunächst nur leicht indigniert
Visa teilte mit, dass man nach dem jüngsten Skandal „sein Engagement überdenken“ werde und „enttäuscht“ sei. Coca-Cola sieht „die Mission und die Ideale der Fifa-Weltmeisterschaft befleckt“. McDonald’s nimmt die Vorgänge „sehr ernst“ (Sponsoren gehen auf Distanz zur Fifa, in spiegelonline 28.5.2015). AnheuserBuschInBev fordert auf die Einhaltung „ethischer Standards“. Nur Adidas will unbeirrt das Fifa-Engagement fortsetzen (Eichfelder, Christopher, Sponsoren machen der Fifa Druck, in sueddeutsche.de 28.5.2015).
Sony und Emirates können froh sein, dass sie seit 2014 keine Fifa-Sponsoren mehr sind.
Tim Clark, Chef von Emirates, äußerte dann auch: „Ich bin sehr froh, dass unser Name in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr spielt. (…) Doch Konzerne wie Adidas, Coca-Cola, McDonald’s, Hyundai oder Gazprom fallen bisher vor allem durch zaghafte Zurückhaltung auf. Nur der amerikanische Kreditkartenanbieter Visa hat bereits offen mit Rücktritt gedroht“ (Busse, Caspar, Mehr Mut, in SZ 11.6.2015).
– Adidas unrühmlich. „Eine unrühmliche Rolle spielt dabei der Sportartikelkonzern Adidas. Die Franken sind seit Jahrzehnten Partner der Fifa, sie haben das heutige Sponsoren-System quasi mit erfunden. Heute stellt Adidas zum Beispiel den Spielball bei Weltmeisterschaften, rüstet die Offiziellen aus und ist auch sonst bei großen Ereignissen wie jetzt bei der Frauenfußball-WM überall präsent. Der Vertrag läuft noch bis 2030. Die „fortwährenden negativen Schlagzeilen“ seien weder gut für den Fußball, noch für die Fifa oder ihre Sponsoren, teilte Adidas nun mit. Öffentliche und deutliche Kritik von Konzernchef Herbert Hainer? Fehlanzeige“ (Ebenda). Adidas-Chef Herbert Hainer bejahte ausdrücklich das Fifa-Sponsoring seines Konzerns: „Ja, denn ich habe Vertrauen in die Arbeit der Reform- und Ethikkommission“ (Fifa-Funktionär Chung beklagt Kaltstellung, in spiegelonline 6.10.2015).
– Sportsender ARD und ZDF schweigen. „Noch mehr als mit Sponsoring und Werbung nimmt der Weltverband ein durch den Verkauf der Fernsehrechte, vor allem an den Weltmeisterschaften. In Deutschland sind seit Langem ARD und ZDF die Geschäftspartner, sie haben sehr viele Millionen Euro ausgegeben. Doch auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten schweigen zum Skandal – auch das ist ein Unding“ (Ebenda).
– Putin-Russland protestiert gegen USA
„Am Mittwochabend forderte Russland, WM-Ausrichter 2018, die USA auf, den ‚illegalen, exterritorialen Gebrauch der US-Rechtsprechung‘ zu unterlassen. Washington solle ‚die Versuche stoppen, seine Gesetze weit außerhalb der eigenen Grenzen anzuwenden‘, teilte das russische Außenministerium in einer Stellungnahme mit“ (Russland verurteilt USA wegen Fifa-Festnahmen, in spiegelonline 27.5.2015).
Nach der Wahl Blatters am 29.5.2015 stellte sich Putin dann umgehend an dessen Seite. „Der russische Präsident Wladimir Putin gratulierte Blatter offiziell zur Wiederwahl. Putin sei zuversichtlich, dass ‚die Erfahrungen, der Professionalismus und das hohe Ansehen Blatter helfen werden, zur weiteren Verbreitung und weiteren Beliebtheit des Spiels in der ganzen Welt beizutragen’, teilte der Kremlchef in Moskau mit“ (Frankreich brüskiert Uefa, in sueddeutsche.de 30.5.2015).
Russlands Sportminister Witali Mutko ist Mitglied im Exekutivkomitee der Fifa und der Uefa – und nicht nur er: Insgesamt sitzen acht Uefa-Exekutivmitglieder auch in der Fifa-Exekutive. Mutko verteidigte Blatter sofort nach seiner Ankunft in der Schweiz. Die Fifa sei „’die offenste, die transparenteste Organisation überhaupt’, sagte Mutko. Westliche Journalisten hätte schon dieses Statement womöglich zu Nachfragen animiert, Mutko diktierte es aber widerspruchslos ausgewählten russischen Kamerateams in die Mikros. Zu Blatter gebe es überhaupt keine ernsthafte Alternative, deshalb sei es an der Zeit ‚für die Fifa, sich umzudrehen und sich zu verteidigen'“ (Bidder, Benjamin, Am Ende ist immer alles ein Komplott des Westens, in spiegelonline 28.5.20915). Auch Präsident Wladimir Putin ging für Blatter in die Offensive. „Gegen wen man sich da zur Wehr setzen müsse? Gegen ein Komplott, das Amerika ins Werk gesetzt habe, um Russland die WM 2018 abzujagen. Man wisse um den Druck, der auf Blatter ausgeübt wurde mit dem Ziel, Russland das Turnier wegzunehmen’, so der Kreml-Chef. (…) Unabhängige Beobachter hat die Heftigkeit allerdings überrascht, mit der das offizielle Moskau auf die Ermittlungen reagiert. Dafür gebe es eigentlich nur eine Erklärung, konstatiert die Tageszeitung ‚Nesawissimaja Gaseta’: ‚Die Attacke auf die Fifa macht Russland nervös’“ (Ebenda).
Günter Jauchs TV-Runde am 31.5.2015 befasste sich mit dem Fifa-Skandal – ohne dem Fifa-Stellvertreter von Walter de Gregorio, Alexander Koch, Paroli bieten zu können. „Und ohne die nächste, in 1103 Tagen beginnende Weltmeisterschaft zu diskutieren, die, nur zur Erinnerung, nicht nur in jenem Land stattfindet, das die Gastgeberrolle der jüngsten olympischen und paralympischen Spiele mit der Annexion eines wesentlichen Teils des Nachbarlands beschlossen hat und in diesem Nachbarland, der Ukraine, bis jetzt Krieg führt und führen lässt. Sondern auch von Wladimir Putin regiert wird, dem Mann, der Joseph Blatter in dieser Woche als einer der ersten zur Seite gesprungen ist. (…) Die Ermittlungen des FBI? Duften nach Rache für die verlorene WM-Bewerbung der Amerikaner, wusste Blatter nach seiner Wiederwahl. Die klassische Verschwörungstheorie à la Russe – von Putin lernen, heißt siegen lernen. Aber: Kein Wort zu Russland, wo nun diskutiert wird, ob denn nicht Strafgefangene beim Stadionbau eingesetzt werden könnten“ (Becker, Christoph, 432 Millionen Euro für das System Fifa, in faz.net 1.6.2015).
– Fifa und Uefa
Die Uefa forderte am 27.5.2015 die Verschiebung der Fifa-Präsidentenwahl. Der Präsident des englischen Fußballverbandes, Greg Dyke, forderte den Rücktritt von Sepp Blatter (Ex-Fifa-Vize Warner stellt sich der Polizei, in spiegelonline 28.5.2015).
Nach dem Treffen der sechs Kontinentalverbände der Fifa am 28.5.2015 bat Uefa-Präsident Michel Platini unter vier Augen Blatter um Rücktritt: „Ich habe Sepp in die Augen geschaut und gesagt: Tritt zurück! Hör auf!“ Doch Blatter, 79, habe abgelehnt mit den Worten: „Es tut mir leid, ich kann nicht. Nicht jetzt, zu Beginn dieses Kongresses. Es ist zu spät“ (Platini bat Blatter unter Tränen um Rücktritt, in spiegelonline 28.5.2015). Die Uefa wollte daraufhin mehrheitlich Prinz Ali unterstützen und erwog den Rückzug der europäischen Mannschaften aus allen Fifa-Wettbewerben. Dazu könnte ein kollektiver Austritt der Europäer aus dem Fifa-Exekutivkomitee erfolgen (Ebenda).
Christian Teevs schrieb in spiegelonline, dass ein Boykott der Präsidentenwahl durch die Uefa Wirkung gezeigt hätte: „Denn zum einen ist unklar, ob der Fifa-Chef wirklich so dreist wäre, eine Kür ohne Vertreter des europäischen Fußballs abzuhalten. Und zum anderen wäre ein Boykott ein starkes Signal gewesen, dass die Uefa nicht länger bereit ist, das System Blatter mitzutragen. Eigentlich – das zeigen die vergangenen beiden Tage – müssten die europäischen Funktionäre viel weitergehen, um einen Wandel bei der Fifa zu erreichen: Die großen Fußballnationen Deutschland, Spanien, England und Italien müssten ernst machen und die Weltmeisterschaften in Russland und Katar boykottieren. Oder am besten gleich aus dem Weltverband austreten“ (Teevs, Christian, Die Einknicker, in spiegelonline 28.5.2015).
Aus einem Kommentar von Ralf Wiegand in der SZ: „Zuerst aber sollten jene Funktionäre, die im Baur au Lac unbehelligt zu Ende frühstücken durften, aufstehen. Blatters Wahl würde das System in die Unendlichkeit verlängern – sie darf jetzt nicht stattfinden, zu Beginn solcher Ermittlungen. Es liegt an den großen Verbänden, mindestens eine Verschiebung zu beantragen. Der größte ist der Deutsche Fußball-Bund mit Wolfgang Niersbach an der Spitze. Das wäre zwar nur ein Signal – aber eines, auf das Fußballfreunde warten“ (Die Macht der Fans, in SZ 28.5.2015).
Nichts von allem erfolgte: Weder wurde der Fifa-Kongress boykottiert noch Blatters Wahl zum Präsidenten. Lediglich der Engländer David Gill trat seinen Posten in Blatters Exekutivkomitee – zu dessen Ärger – wie angekündigt nicht an.
– Donnerstag, 28.5.2015: Eröffnung des Fifa-Kongresses
Blatter in seiner Eröffnungsrede: „Die Schuldigen sind Einzelpersonen, das ist nicht die ganze Fifa“ (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Noch eine Kommission, in SZ 30.5.2015). – „Wir können nicht zulassen, dass der Ruf des Fußballs, der Fifa in den Dreck gezogen wird“ (Kistner, Thomas, Gertz, Holger, Film ab, in SZ 30.5.2015).
„Fifa-Präsident Joseph Blatter hat bei seiner Rede zur Eröffnung des Weltverbandkongresses in Zürich Korruption im Fußball den Kampf angesagt. (…) Die Verantwortung für den neuerlichen Skandal im Fußball-Weltverband wies der Fifa-Präsident von sich: ‚Ich weiß, viele halten mich für ultimativ verantwortlich für die Handlungen unserer globalen Fußball-Familie – egal, ob es um die WM-Gastgeber geht oder um Korruptionsskandale’, sagte der 79-Jährige. ‚Aber wir können nicht jeden überwachen. Wenn jemand etwas falsch machen will, kann er dabei unentdeckt bleiben. (…) Wir müssen einen Weg finden, Dinge richtig zu machen. Ich werde nicht erlauben, dass die Würde von denen, die so hart für den Fußball arbeiten, zerstört wird. Die Korrupten sind in der Minderheit, aber sie müssen verantwortlich gemacht werden. Für die kann es keinen Platz geben’“ („Wir können nicht jeden überwachen“, in spiegelonline 28.5.2015).
Interessant ist, dass Blatter keinerlei Versuch machte, die Schuld seiner hohen Fifa-Funktionäre – immerhin ein Viertel des Fifa-Exekutivkomitees, zwei seiner Stellvertreter – auch nur im geringsten anzuzweifeln: Die Vorwürfe hat er akzeptiert. Er weiß ja, worum es geht: Blatter hat ja das System erschaffen, in dem die Korruption blüht.
– Freitag, 29.5.2015: Blatters fünfte Amtszeit
Wie erwartet wurde der ewige Blatter (79) am 29.5.2015 von seiner korrupten Fußball-Familie ein fünftes Mal mit 133 Stimmen gewählt: Sein Gegenkandidat Prinz Ali (73 Stimmen) zog die Kandidatur zurück. (Die Stimmenverteilung der sechs Kontinentalverbände: Concacaf/Nord- und Mittelamerika 35, Conmebol/Südamerika 10, Caf/Afrika 54, Uefa/Europa 53, Afc/Asien 46, Ofc/Ozeanien 11.)
Blatter spottete: „Prinz Ali war ein würdiger Herausforderer“ und drohte der Uefa mit einer Reduzierung der WM-Plätze (Blatter bleibt, in spiegelonline 29.5.2015). Eine weitere Niederlage für Uefa-Präsident Michel Platini: Selbst sein französischer Verbandschef Noël Le Graët stimmte für Blatter: „Zwischen ihm und Prinz Ali war es für mich die bessere Wahl“ (Frankreich brüskiert Uefa, in sueddeutsche.de 30.5.2015). Franz Beckenbauer lobte Blatter: „Blatter ist ohne Zweifel eine starke Persönlichkeit, die ein gewaltiges Standing in der Welt besitzt“ (Ebenda).
Und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, ein ehemaliger Sportjournalist, gab zu Protokoll: „Er glaube und vertraue Blatter“ (Weinreich, Jens, Ganz der Alte, in spiegelonline 30.5.2015). Einen Boykott einer WM schloss Niersbach nach Blatters Wiederwahl aus (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Zehn Millionen für die Karibik, in SZ 1.6.2015). Niersbach: „Wir streben keinen Boykott einer Weltmeisterschaft an. Damit erreichen wir nichts“ (DFB-Präsident Niersbach lehnt WM-Boykott ab, in spiegelonline 2.6.2015). – „DFB-Chef Wolfgang Niersbach hat sich mit seiner Schaukelpolitik zwischen den Rivalen Michel Platini (Uefa) und Joseph Blatter (Fifa) keinen großen Gefallen getan. Niersbach schloss sich zwar den Forderungen der Uefa nach der Ablösung Blatters an. Nach dessen Wiederwahl war er jedoch einer der Ersten, der auf den Schweizer zuging. Auch in der Frage eines möglichen WM-Boykotts gehört er ohnehin zu den Ablehnern“ (Ahrens, Peter, Blatter geht, Katar bleibt, in spiegelonline 3.6.2015). Erst am 3.6.2015 bezeichnete Niersbach Blatters Rücktritt als „völlig richtig“ (Ebenda).
Der internationale und nationale Sport verweigert die Boykott-Debatte: Beschert sie doch Einnahme-Ausfälle.
Auf der Pressekonferenz am 30.5.2015 zeigte sich Blatter wieder von seiner besten Seite. „Zu den Festnahmen von sieben hochrangigen Funktionären am Mittwoch sagte Blatter: ‚Ihre Taten waren vielleicht strafrechtlich relevant, aber ich weiß nicht, wie die Fifa darin involviert sein soll.’ Der 79-jährige Schweizer sprach nur sehr kurz über die Korruptionsvorwürfe. Wie beim Kongress am Freitag nannte er die Ermittlungen ‚einen Sturm, der über der Fifa losgebrochen ist. Wir müssen alles tun, um zu vermeiden, dass uns solche Ereignisse noch einmal überrumpeln‘. Konkrete Reformideen nannte Blatter nicht. (…) Uefa-Chef Michel Platini, der seinen Rücktritt gefordert hatte, drohte Blatter, er sagte: ‚Ich vergebe jedem, aber ich vergesse nicht’“ („Ich weiß nicht, wie die Fifa involviert sein soll“, in spiegelonline 30.5.2015). Blatter zitiert sich hier selbst – aus dem missratenen Film über die Fifa “United Passions”. Im Film sagt der fiktive Blatter den Satz: “Ich vergebe alles, aber ich vergesse nichts” (Buschmann, Rafael u. a., Dirty Dancer, in Der Spiegel 24/6.6.2015). Bei seiner Pressekonferenz am 30.5.2015 sagte Blatter: “Ich vergebe jedem, aber ich vergesse nicht.”
Dazu stellte Blatter für die Fußball-WM 2026 eine Erweiterung von 32 auf 40 Mannschaften vor (Aumüller, Johannes, Blatter watet durch den Sumpf, in SZ 30.5.2015).
– Stimmen zur Wiederwahl Blatters
Jens Weinreich „Das ist die FIFA, das ist die Fußballfamilie, das erlebe ich seit mehr als 20 Jahren auf ungezählten Kongressen, ob das nun IOC-Kongresse sind oder solche der FIFA, das überrascht mich nicht. Ich bin nur immer wieder ein bisschen schockiert über die Inhaltsleere der Reden. Das Abstimmungsverhältnis ist das völlig Normale, das Völkchen schart sich um den Schäfer. Und dann ist da die Feigheit der sogenannten Gegner. Keine Diskussion, kein Gegenwort. Deshalb ist das alles unehrlich und gelogen, Opportunismus, Feigheit. All die, die vorher ein großes Maul hatten, UEFA-Präsident Michel Platini, der deutsche Präsident Wolfgang Niersbach, keiner hat nicht ein Wort auch nur zu Protokoll gegeben. Ich sage, es zählen keine Worte. Es zählt nur der Aufstand, in dem Moment, wo es drauf ankommt. Das ist eine Schande“ (Gigler, Hubert, Fifa-Wahl: Das ist alles unehrlich und gelogen, Opportunismus, Feigheit, in kleinezeitung.at 31.5.2015; Hervorhebung WZ).
Christian Teevs: „Blatter sagte zwar immer wieder, dass er die Verantwortung trage für den Verband und damit auch für die zahlreichen Korruptionsskandale. Doch im nächsten Satz spielte er seine Macht herunter: ‚Ich bin nicht perfekt, aber das ist niemand‘, sagte Blatter: Er könne nicht garantieren, dass sich alle 1,3 Milliarden Menschen, die auf der Welt Fußball spielen, ehrenwert verhalten. Was für eine Argumentation! Als ob es bei den Skandalen um einzelne Kriminelle gehe, die sich von den Milliardenumsätzen der Fifa etwas abzweigen. Blatter hat das System erschaffen, in dem die Korruption blüht, in dem Funktionäre sich auf Kosten der Fans und der Sponsoren bereichern können. Blatter ist nicht nur ein Symbol für alles, was schiefläuft im Geschäft mit dem Fußball, er ist ganz konkret der Schuldige“ (Teevs, Christian, Blatter 1, Fußball 0, in spiegelonline 29.5.2015; Hervorhebung WZ).
Michael Hanfeld in der FAZ: „Zwischen 2010 und 2014 hat die Fifa einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar gemacht. Ein Großteil davon stammt aus der Vermarktung der Fußball-Weltmeisterschaften. Diese beruht zum überwiegenden Teil auf dem Verkauf von Fernsehrechten, vor allem in Europa. Und dort wiederum wird mit öffentlichem Geld bezahlt, in Deutschland mit dem Rundfunkbeitrag. 2,5 Milliarden Dollar soll die WM im vergangenen Jahr der Fifa beschert haben. Mit 210 Millionen Euro haben die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF dazu beigetragen. Für die WM 2018 in Russland werden 218 Millionen Euro ausgegeben, für die WM 2022 in Qatar 214 Millionen Euro“ (Hanfeld, Michael, Die Mauer wartet auf den Freistoß, in faz.net 29.5.2015; Hervorhebung WZ).
Le Figaro: „Jetzt, wo der Skandal zutage gebracht wurde, kann es nicht mehr so weitergehen. Doch muss man naiv sein, um zu glauben, dass die Fifa von heute auf morgen ihre Unschuld wiederfindet. Das System ist da, fest verankert mit seinen Lügen und seiner Geldgier“ („Bla Bla Blatter“, in spiegelonline 30.5.2015).
The Times: „Der Fußballwelt war in Zürich das Versprechen eines ‚anbrechenden neuen Tages‘ angeboten worden. Stattdessen entschied sie sich dazu, in der Dunkelheit der Herrschaft Sepp Blatters zu bleiben“ (Ebenda).
The Guardian: „Blatter hat es überstanden, weil so viele Interessen, nicht nur seine eigenen, an das System gebunden sind, dem er vorsteht. Diese Interessen gehen weit hinaus über Provisionen und Korruption von Einzelnen, so wichtig das auch ist. Zu ihnen gehören nationale Zuschüsse für den Fußball in den Entwicklungsländern, die Blatters Herrschaft sichern“ (Ebenda).
– Das System Blatter
1) Warum Blatter sich nicht bestechen lassen muss. Fifa-Präsident Sepp Blatter ist bei den Untersuchungen der Schweiz und der USA kein Angeklagter. Warum auch? „Denn der 79-jährige Walliser war bis dato clever genug, sich nicht schmieren zu lassen und hat deshalb von der Justiz nichts zu befürchten. Andererseits hat er in der Fifa ein System errichtet, das auf Abhängigkeiten beruht“ (Schmid-Bechtel, Francois, Joseph Blatter – der überirdische Mann von Welt, in Bündner Tagblatt 28.5.2015). Mag Blatter persönlich nicht unbedingt korrupt sein (nur er weiß dies), so hat er um sich herum ein Klima der Korruption – und Erpressbarkeit – geschaffen.
Dazu kommt: Seit 1998 ist sein Gehalt als Fifa-Präsident (plus Boni, Tantiemen oder wer weiß was) nicht bekannt und nach wie vor geheim. Ob er sich zwei, 20 oder 50 Millionen überweist, weiß niemand. Oder wie die Anti-Korruptionsexpertin Alexandra Wrage, die für die Fifa Korruption untersuchen sollte, bemerkte: „Als sie jede Transparenz um die Gehälter ablehnten, merkte ich, dass sie es mit wirklichen Veränderungen nicht ernst nehmen und nur auf Reputation aus waren“ (Ebenda). Dazu hat Blatter ja kaum Ausgaben. Wenn er im Jahr vielfach um die Welt fliegt, benutzt er einen von der Fifa bezahlten Privatjet. Die Fünf-Sterne-Hotels zahlt die Fifa, genauso wie die zahlreichen Galadiners. Seine blauen Anzüge wird er vermutlich als Arbeitskleidung in Rechnung stellen. Und seine geliebten Sudokas kosten auch nicht viel.
2) Blatter besticht nicht: Er lässt ausschütten. Die Fifa machte in der Periode 2011 bis 2014 einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar. Rechtzeitig vor der Präsidentenwahl hat sie eine Sonderausschüttung angekündigt: „Jeder Verband erhalte zusätzlich knapp über eine Million Dollar. Dass diese frohe Botschaft kurz vor der Präsidentenwahl publik wurde, für die Blatter als Amtsinhaber offiziell keinen Wahlkampf betreibt, war natürlich Zufall“ (Grill, Bartholomäus, Wulzinger, Michael, Blatters Brüder, in Der Spiegel 22/23.5.2015).
3) Blatter kauft ein. Jahrzehntelanger Aufbau einer willfährigen Fußball-Funktionärsclique, die um ihre Fünf-Sterne-Hotels und ihre Pfründe und finanziellen Zuwendungen fürchtet. (siehe Kuverts mit 8.000 Dollar in Rio 2014 für die Fifa-Familie). Was für erbärmliche Charaktere – und was für ein erbärmliches Blatter-Wahlvolk.
4) Korruption verbindet. Wenn jeder Dreck am Stecken hat, fürchtet jeder Aufklärung und Reformen. Und Wissen ist Macht: Wann immer Blatter wusste, wer von wem geschmiert wurde, hatte er ihn in der Hand.
5) Ein Land, eine Stimme – für Blatter. Die Fifa-Pseudodemokratie sicherte Blatter über Jahrzehnte billige Stimmen aus Klein- und Kleinststaaten. „Nicht die reichen Verbände diktieren, wer die Fifa regiert, sondern die armen. Die Abhängigen. Sepp Blatter (…) paktiert mit den Kleinen. Sie sind in der Mehrheit“ (Grill, Bartholomäus, Wulzinger, Michael, Blatters Brüder, in Der Spiegel 22/23.5.2015).
6) Die Konkurrenz ist nicht besser. Michel Platini („Blattini“) ist mit Katar verbandelt. Die Vorgänge in der Uefa sind ähnlich korrupt wie bei der Fifa. Die neuen Uefa-Prachtbauten in Nyon zeugen von Größenwahn. Und im Fifa-Präsidenten-Wahlkampf vom Mai 2015 haben alle mit den Geldschatullen gewedelt.
7) Das System Brot und Spiele – und damit die allgemeine Verdummung – funktioniert. Die Stadien sind zweifellos immer einigermaßen voll. Die Fans auch. In den meisten Restaurants und Bars im europäischen Süden – und zunehmend auch hier – werden immer mehr Fußballspiele gezeigt. Und die öffentlichen Fernsehsender zahlen vorbehaltlos – aus unseren Zwangs-Rundfunkgebühren – dieses Desaster mit.
Die Wiederwahl Blatters hat auch ihr Gutes: Zeigt sie doch gerade nach den Verhaftungen seiner Getreuen vom 27.5.2015, wie das System Fifa bzw. das System Blatter funktioniert: korruptionsverseucht und verkommen. Vor Blatter war Joao Havelange an der Fifa-Macht, kein Deut besser. Vier Tage nach seiner Wahl wird Blatter zurücktreten, aber bis zur Neuwahl Präsident bleiben und die nötigen Säuberungsarbeiten durchführen. Und sein Nachfolger (er selbst?) wird nicht viel anders agieren.
– Lösungsvorschläge
Ralf Wiegand in der SZ: „Was nun? Es bliebe ein Weg, den Verbraucher schon oft gegangen sind. Es ist der Weg des Verzichts. Kein Verband ist Zwangsmitglied der Fifa. Kein TV-Sender muss die Rechte kaufen. Und kein Zuschauer ist gezwungen, eine Fifa-Veranstaltung zu besuchen. BSE in der Kuh, Weichmacher im Spielzeug, Wahnsinn in der Fifa: Der Verbraucher hat die Macht, das zu ändern. Tut halt weh, der Verzicht auf Steak und Stollenschuhe“ (Die Macht der Fans, in SZ 28.5.2015).
Jens Weinreich in schweizamsonntag.ch: „Über Fifa-Reformen wurde schon zu lange debattiert. Es ist alles gesagt. Es gibt keine neuen Argumente. Diese Fifa braucht juristische Daumenschrauben. Nur knallharte Ermittlungen und Strafandrohungen hinterlassen Wirkung. Das sollten auch all jene Schweizer Politiker endlich begreifen, die sich von Lobbyisten beeinflussen lassen, selbst für die Fifa lobbyieren und Gesetzesverschärfungen verhindern. Da muss mehr geschehen. Auch sollten dem Weltverband (und anderen in der Schweiz domizilierten Sportorganisationen) Steuer- und andere Privilegien entzogen werden. Dies aber kratzt offenbar am Selbstverständnis der Schweizer. Auch deshalb hilft letztlich nur eins: eine Revolution. Die völlige Zerschlagung der Fifa und ihrer sechs Kontinentalverbände. Mit komplett neuem Führungspersonal muss man von vorn beginnen“ (Weinreich, Jens, Hilft jetzt nur noch die Zerschlagung? In schweizamsonntag.ch 30.5.2015). Im Beitrag „So muss die Fifa reformiert werden“ (in spiegelonline 30.5.2015) schlägt Weinreich u. a. vor, dass die komplette Fifa-Führungsmannschaft zurücktreten müsste, die Offenlegung der Gehälter, die Öffnung der Archive und Offenlegung der Buchhaltung, juristische Aufklärung, Aufklärung der WM-Vergabe 2018 und 2022 und ein neues Fifa-Wahlsystem – weg von „One-country-one-vote“.
Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, forderte einen Konkurrenzverband zur Fifa: „Ob die WM ‚Fifa World Cup‘ oder ‚WFA Global Championship‘ oder anders heißt, ist unwichtig. Entscheidend ist: Die Fans wollen den weltbesten Fußball sehen, der von einem Weltverband seriös und skandalfrei verwaltet wird“ (Politik bringt Konkurrenzverband zur Fifa ins Spiel, in spiegelonline 31.5.2015).
Solange die Summen für TV-Verträge, Sponsorengelder, Ticketeinnahmen etc. so horrend hoch sind, würde sich dann ganz schnell eine neue Generation von ähnlich korrupten Fußballfunktionären zusammen finden.
– Die englische FA-Direktorin Heather Rabbatts hat ihre Arbeit in der Anti-Diskriminierungs-Kommission der Fifa niedergelegt: Sie will nicht mehr mit Blatter zusammenarbeiten (England verstärkt Protest gegen Blatter, in spiegelonline 1.6.2015). Englands Verbandspräsident Greg Dyke rief Deutschland und andere Fußball-Nationen zu einem WM-Boykott auf. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wiederholte reflexhaft seine Ablehnung gegen Boykott und nahm dazu von IOC-Präsident Thomas Bach Anleihen: „Boykott ist eine schlechte Waffe. Wir haben uns so oft gegen Boykott ausgesprochen, und das sollte auch die Grundhaltung sein“ (England fordert Deutschland zum WM-Boykott auf, in spiegelonline 1.6.2015).
Vor allem ist Boykott schlecht für die globalen Sportkonzerne Fifa und IOC.
– Dienstag, 2.6.2015: Der Rücktritt
Ewiger Blatter doch endlich? Am 29.5.2015 ließ sich Sepp Blatter zur fünften Amtsperiode als Fifa-Präsident wählen. Am 2.6.2015 trat er bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz zurück. Er sagte u. a.: „Obwohl ich ein Mandat von den Fifa-Mitgliedern habe, glaube ich nicht, dass ich ein Mandat von der gesamten Fußballwelt habe – den Fans, den Spielern, den Vereinen, den Menschen, die den Fußball genauso leben, liebe