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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Sep 072013
 
Zuletzt geändert am 26.11.2016 @ 16:59

7.9.2013, aktualisiert 8.9.2013
Kurzpräsentation der gerade mal drei Kandidaten:

Madrid 2020: Spanien ist wirtschaftlich erledigt: „Europäische Finanzkrise, Rekord-Arbeitslosigkeit und die Bankenrettung durch die Europäische Union haben den Ruf Madrids ebenso beschädigt wie die Doping-Skandale im internationalen Sport“ (Frayer, Lauren, Koch, Martin, Madrid hofft auf die Spiele, in dw.de 4.9.2013).
Madrid selbst ist derzeit mit sieben Milliarden Euro verschuldet. Als Folge wird ein – völlig unrealistisches – Investitionsbudget von weniger als 2,3 Milliarden Euro angegeben. Angeblich sollen 80 Prozent der Infrastruktur vorhanden sein. „Es fehlten nur noch ein paar kleinere Sportanlagen sowie das Olympische Dorf. Weniger als 100 Kilometer Zugangsstraßen und einige U-Bahn-Stationen müssten noch gebaut werden“ (Wandler, Reiner, Madrid will sportlich durch die Krise, in taz.de 5.9.213). Für die Sicherheit werden gerade einmal 150 Millionen Euro veranschlagt (Ebenda; zum Vergleich: Die Sicherheitskosten bei London 2012 lagen im Juli 2012 bei 1,2 Milliarden Euro (Thibaut, Michael, Nervosität kurz vor Olympia, in tagesspiegel.de 6.7.2012).
Dazu kommen die üblichen falschen Versprechungen vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK). Dessen Chef Alejandro Blanco: „Keine Investition ist für eine Stadt profitabler als Olympische Spiele… Ein großer Teil des Gewinns wird finanziell sein, aber von unschätzbarem Wert ist die Verbesserung unseres Ansehens“ (Frayer, Koch 4.9.2013).
Die Realität für den Breitensport Madrids sieht anders aus: „’Eine Stadt, die nicht garantiert, dass die Bewohner bei optimalen Bedingungen ihrem Sport nachgehen können, verdient Olympische Spiele nicht’, sagt der Sprecher der Vereinigten Linken (IU) im Stadtrat, Angél Pérez. Sporthallen verfallen, Schwimmbäder wurden geschlossen oder gar abgerissen. Nutzungsgebühren steigen. Die spanische Regierung gibt 2013 nur noch so viel für Breitensport aus wie im Jahr 1985“ (Wandler 5.9.2013).
Der Manager Paul Saez erwartet höchstens eine kurzfristige Belebung des Arbeitsmarktes und sieht in der Bewerbung ein Ablenkungsmanöver von dem Korruptionsskandal, in den die spanische Regierung verwickelt ist. „Die Mieten werden steigen, und große Konzerne werden versuchen, mit uns Geld zu machen – und unsere Regierung wird währenddessen ihre Ausgaben für Gesundheit und Bildung immer weiter zurückfahren“ (Ebenda).

Istanbul 2020: Die 13-Millionen-Metropole hat sich seit 2000 viermal – erfolglos – um Olympische Spiele beworben. Das harte Durchgreifen der Staatsgewalt und die Demonstrationen gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan, ihr Gigantismus und die damit verbundenen Umweltzerstörungen ließen die Bewerbung auf den letzten Platz rutschen (Simeoni, Evi. Gespannt auf den Tag P, in faz.net 4.9.2013). Für die türkische Regierung ist heute schon klar: „Falls das IOC am Samstag Istanbul nicht den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2020 gibt, ist die Demokratiebewegung schuld“ (Gottschlich, Jürgen, Klotzen am Bosporus, in taz.de 4.9.2013).
„Laut ‚Bidbook’ sollen rund drei Milliarden US-Dollar in die Sportstätten investiert werden. Die Investitionen in die Infrastruktur sind mit zirka 20 Milliarden US-Dollar beziffert“ (Sokollu, Senada, Istanbul will Olympia 2020, in dw.de 3.9.2013). Städteplaner kritisieren bereits das unkontrollierte Wachstum Istanbuls, wo noch dazu eine große Erdbebengefahr besteht. Im Gefolge der Bewerbung tauchten noch eine dritte Brücke über den Bosporus und ein dritter Flughafen auf (Ebenda). Das unkontrollierte Wachstum bedroht auch die Wälder im Norden der Stadt, die Lunge Istanbuls: Hier ist im Gefolge der Bewerbung 2020 die sogenannte „Forest Zone“ vorgesehen: mit Radsportstadion und Kanuslalom – nur eben ohne Forest! (Ebenda).
Eine wachsende Anti-Olympia-Bewegung bildete sich aus NGO-Aktivisten, Architekten und Wissenschaftlern. Ein renommierter Städteplaner äußerte zur Bewerbung: „Keiner in der Türkei hat diese Pläne gemacht, keiner weiß, wer sie gemacht hat. Sie machen historische Stätten kaputt, zerstören großflächig den Wald nördlich von Istanbul und von den wichtigen Infrastrukturprojekten wird keines umgesetzt. Keiner hat hier irgendwen gefragt, ob das ein sinnvolles Konzept ist. Das ist es ja. Und wenn man diskutieren will, ist man gleich ein Verräter“ (Maaßen, Hendrik, Die verspielte Bewerbung? In dradio.de 31.8.2013).
Der Ökonom Mustafa Sönmez kritisierte: „Außerdem sind olympische Investitionen nie produktiv. Sobald das Event vorbei ist, werden die Sportstätten nicht mehr benutzt. Die Türkei braucht andere Investitionen, unter anderem in das Gesundheitssystem und Bildungssystem“ (Ebenda). Der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar: „Die Spiele wären der letzte Sargnagel in einer überbevölkerten, überdimensionierten, ungastlichen Metropole“ (Schlötzer, Christiane, Vor dem großen Sprung, in SZ 7.9.2013). Und unter dem Stichwort „Erdbebensicherung“ läuft folgender Prozess ab: „Aus ihren schlichten Innenstadtquartieren werden die ärmeren Istanbuler vertrieben, um Platz für ein kaufkräftgeres Publikum zu machen. 15 Milliarden Euro will der Staat für die Spiele ausgeben“ (Ebenda).
Gewinner aller Olympischen Spiele ist die Immobilienwirtschaft: Und Mieten und Immobilienpreise steigen weiter.
„Mücella Yapici, Vorsitzende der Istanbuler Architektenkammer und eine der Sprecherinnen der Gezi-Bewegung, glaubt, dass die AKP-Regierung Istanbul zu einer Global City machen will, einem Finanzzentrum und Mekka für Investoren, in dem die Bevölkerung kaum noch zählt: ‚Olympia wäre ein weiterer Schritt in diese Richtung’“ (Gottschlich 4.9.2013).

Tokio 2020: Die Dreifachkatastrophe von Fukushima (Tsunami, Erdbeben, Atom-Gau), 200 Kilometer von Tokio entfernt, hat das Land tief getroffen. Anfang August 2013 demonstrierten mehrere Dutzend Demonstranten in der japanischen Hauptstadt unter dem Motto: „Wir brauchen keine Olympischen Spiele in Tokio“ (Fritz, Martin, Tokio greift nach den Olympischen Ringen, in dw.de 30.8.2013).
Die unverfrorene Aussage des NOK-Chef Tsunekazu Takeda im Zusammenhang mit Fukushima: „Japan tut viel für den Wiederaufbau, Olympia würde helfen“ (Ebenda). Und der Gouverneur von Tokio, Naoki Inose: „Die Strahlung in Tokio ist genauso niedrig wie in Paris oder New York (Ebenda).
Die Staatsverschuldung wächst rasant. „Allein das neue Olympiastadion werde umgerechnet 1,2 Milliarden Euro kosten. Das müssten die Stadtbürger über höhere Steuern finanzieren. (…) 200 Millionen Dollar hat bereits der erste Bewerbungsversuch (für 2016; WZ) gekostet“ (Fritz 30.8.2013). Und Japan hat territoriale Konflikte mit China, Taiwan, Südkorea: Ob deren IOC-Mitglieder für Tokio stimmen, ist zweifelhaft (Lill, Felix, Japan will sich profilieren, in taz.de 3.9.2013). Hinter der Bewerbung steht die „Creme de la Creme“ der japanischen Wirtschaft – Toyota, der Mobilfunkanbieter NTT Docomo etc. (Fritz 30.8.2013).
Nur mit der Politik hapert es – sie zieht nach rechts. Der frühere Bürgermeister von Tokio, Shintaro Ishihara, war Rechtspopulist, der neue Bürgermeister Naoki Inose äußerte im Frühjahr 2013, Muslime seien nicht in der Lage, Olympische Spiele zu organisieren. Und der derzeitige Finanzminister Taro Aso empfahl Japan, „das Land solle sich  für die Änderung seiner Verfassung die Nazis zum Vorbild nehmen“ (Neidhart, Christoph, Wo bleibt das Herz? in SZ  79.2013).

Anpassungsleistung als Demütigung: „Alle drei Anwärter werden von den Ministerpräsidenten ihrer Länder begleitet: Shinze Abo aus Japan, Mariano Rajoy aus Spanien und Recep Tayyip Erdogan aus der Türkei“ (Simeoni 4.9.2013).
So etwas schätzt das IOC: höchste und demütige Bittsteller.

Persönlicher Tipp im Olympischen Kaffesatzlesen am 7.9.2013 um 18 Uhr: Angesichts der Unruhen beim Confed-Cup der Fifa in Brasilien im Juni 2013, der angespannten Situation in Sotschi 2014 und der Situation Rio de Janeiro 2016 werden beim IOC die Nerven blank liegen. Da wirkt Tokio trotz Fukushima sicher. Und da dem japanischen Ministerpräsidenten Shinze Abo trotz der schwindelerregenden Staatsverschuldung Japans die Milliarden sehr locker sitzen, wäre Tokio doch der geeignetste Kanditat. Denn es geht doch um Geld. Nur um Geld. Und natürlich würde die Wahl mit der olympischen Hilfe zur Überwindung der Fukushima-Katastrophe begründet.
Wenn nur niemand an Nagano 1998 denkt!

Das Ergebnis am 7.9.2013: Tokio „gewinnt“ mit 60 zu 36 Stimmen gegen Istanbul. „Riesenjubel in Tokio“ (Olympische Sommerspiele gehen nach Tokio, in spiegelonline 7.9.203). Wie es im IOC so geht: „50 der 98 IOC-Vertreter hätten ihre Stimme Madrid versprochen, meldete die spanische Zeitung El Mundo (Burghardt, Peter, Der Abschied des Seglers, in SZ 6.9.2013). Auch  Jens Weinreich, derzeit Buenos Aires, hatte auf Madrid getippt (Weinreich, Jens, Madrid hat die besten Chancen auf Olympia 2020, in spiegelonline 7.9.2013). Madrid und Istanbul hatten hinter Tokio die selbe Stimmenzahl: Die „Stichwahl“ gewann Istanbul mit 49 zu 45 Stimmen. Ein „Vorteil“ Tokios: „Nachhaltige, mit Olympia verbundene Proteste, Demonstrationen und andere Unannehmlichkeiten drohen in Tokio ebenfalls nicht“ (Weinreich, Jens, Tokio siegt mit Geld und Charme, in spiegelonline 8.9.2013).
Die armen Japaner! Dieser „Erfolg“ wird sie teuer zu stehen kommen – dabei sind sie mit Fukushima schon furchtbar abgestraft.

 

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