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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Mrz 152013
 
Zuletzt geändert am 15.03.2013 @ 11:37

15.3.2013

Die Stadtspitze will es wissen
Vom 7. bis 9. März 2013 wurde in Wien eine Volksbefragung zu vier Themen durchgeführt. Frage 2 lautete: “Soll sich die Stadt um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2028 bemühen” (www.wien.gv.at).

Die Kosten allein der Bewerbung lägen laut SPÖ-Klubchef Rudolf Schicker bei 80 bis 100 Millionen Euro (Krause 12.2.2013). Schicker lieferte die übliche Begründung: Olympische Spiele wären eine Chance zur Modernisierung von Wien, die sowieso durchgeführt werden müsse. Und es könnte alles auf einen Schlag erfolgen, nicht nur Stück für Stück (Stuhlpfarrer 12.2.2013).
Die Modernisierung von Wien OHNE Olympische Spiele käme viel billiger – und wäre wesentlich städte- und menschenfreundlicher zu planen.

SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl hielt eine Bewerbung Wiens für eine gute Sache und machte in Zweckoptimismus: „Wenn wir uns bewerben, werden wir gewinnen“ (sport.orf.at 7.3.2013; Häupl wäre bei der Eröffnung der Spiele 79 Jahre alt).
Es ist immer wieder ebenso unverständlich wie unverantwortlich, dass ein Bürgermeister nach all den bekannten Tatsachen über IOC & Co. heute noch seinen Finger für eine olympische Bewerbung hebt, die seine Stadt finanziell und ökonomisch in größte Schwierigkeiten bringt..
Der Politologe Thomas Hofer vermutete: “Die Intention hinter dieser Frage war vielleicht, den Schladming-Schwung mitzunehmen” (Gebhard 11.2.2013).
Der “Schladming-Schwung” sieht allerdings eher nach einem Unfall als nach einem Schwung aus.
À propos Schladming: Der Präsident des Österreichischen Skiverbandes, der unvermeidliche Peter Schröcksnadel, machte aus naheliegenden Gründen einen Gegenvorschlag: sich doch mit Wien um Olympische Winterspiele zu bewerben. „Und wo sollten in Wien eigentlich die alpinen Skiwettbewerbe durchgeführt werden? Auch hier hat Schröcksnadel eine Lösung parat: in Lackenhof am Ötscher… Die Liftgesellschaft dort gehört übrigens zufällig – erraten – Peter Schröcksnadel“ (team1012.at 4.3.2013).

Wiener Grüne Vizebürgermeisterin begeistert
Maria Vassilakou schwärmte Mitte Februar 2013 von Barcelona 1992 und Athen 2004 (ausgerechnet!) – und von Wien 2028. “Ich sehe Olympia als Chance für die Stadt… Olympia wäre ein solches Datum, an dem man etwas vorlegen muss” (Neumann, Fritz, Vassilakou: “Olympische Spiele per se sind nicht das Problem”, in derstandard.at 20.2.2013). Wien könnte sich präsentieren als “Welthauptstadt in ökologischen Fragen oder in Klimaschutzfragen.” Auf den Hinweis, dass der wirtschaftliche Niedergang Griechenlands Kritikern zufolge durch Athen 2004 beschleunigt wurde, sagte Vassilakou: “Ich war absolut dafür, dass Athen die Spiele veranstaltet. Und ich ziehe immer noch eine positive Bilanz” (Ebenda).
Welche „positive Bilanz“ soll das sein? Wie es in Athen heute wirklich aussieht: siehe unten.

Kleine Zwischenbilanz zu Athen 2004
Zum Olympiastadion: “Während die Athener die Anlage zwecks Freizeitgestaltung zu nutzen versuchen, verschaffen sich die Gäste aus dem Ausland einen Überblick über den Ist-Zustand der Sportstätten. Es ist ein Blick des Grauens. Schlimmer, als sich das erahnen liess. Mit «Olympische Ruinen» («Handelsblatt»), «Olympiaschrott» («Frankfurter Allgemeine») und «Geisterkulissen» («Die Welt») haben Medienschaffende die Olympiastätten in den letzten Jahren beschrieben. Treffender geht es nicht. Im Zentrum der Olympischen Sommerspiele standen das Olympiastadion und der riesige, ihn umgebende Olympiapark. Vom Glanz von damals ist nichts geblieben. An der Stahlkonstruktion des spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava nagt der Rost. Elemente des Glasdachs fehlen. Überall lagern Berge von Müll. Es ist Chaos pur. Viele Schalensitze sind aus der Verankerung gerissen, andere schmutzig. Auf dem Rasen, auf welchem Konzerte und Fussballspiele geplant waren, aber kaum stattfanden, wirbelt der Wind Abfall, Zeitungen und sogar Kartonschachteln herum” (Weber 17.2.2013).
Zum Sprungbecken: “Vor neun Jahren war diese Anlage noch der Stolz der Olympiamacher. Heute ist es nicht mehr als eine Ruine. Das 50-Meter-Becken wurde von einem lokalen Athener Schwimmklub vor zwei Jahren zwar wieder in Betrieb genommen und dient Trainingszwecken, einladend ist es aber nicht. Überall ums Becken klaffen riesige Löcher in den Betonplatten, liegen Glasscherben herum. Das angrenzende Sprungbecken, in welches an den Sommerspielen die Turmspringer sprangen, ist nur mit einigen Zentimetern einer nicht zu definierenden braunen Brühe gefüllt. Diese gleicht nicht nur optisch einer Fäkaliengrube, sie riecht auch entsprechend” (Ebenda).
Zum Beachvolleyball: “Die Wasserspiele in Faliron, wo die olympischen Beachvolleyball-Medaillen ausgespielt wurden, sind versiegt. Bäume und Pflanzen, die für die Spiele gepflanzt wurden, sind längst verdorrt. Dafür wächst überall Unkraut. Verantwortlich, dieses zu entfernen, fühlt sich aber niemand. Auch die Kassahäuschen sind verschlossen, viele sind demoliert. Die Toiletten ebenfalls” (Ebenda).
Zu den Finanzen: “Die Olympischen Spiele 2004 – sie waren nicht nur ein Sportereignis, sie waren auch ein gewaltiges Infrastrukturprojekt. Geblieben sind Griechenland Milliardenschulden und Ruinen. Zwei Drittel aller Sportanlagen sind nicht mehr in Betrieb” (Ebenda).

Die Kritik an Wien 2028
Im Vorfeld gab es reichlich Kritik in der österreichischen Presse – mit Verweisen auf die immens gestiegenen Sicherheitskosten, die fehlende Sportinfrastruktur etc.
„Über Auswirkung und Kosten einer Bewerbung geschweige denn des Events wurde die Bevölkerung weitgehend im Unklaren gelassen. Die Wiener wurden, was mögliche Olympische Sommerspiele 2028 betrifft, nicht mit zuviel Information verwirrt… „Die Hauptstadt bietet derzeit kaum einer der 41 olympischen Sportarten eine adäquate Infrastruktur“ (Neumann 6.3.2013). SP-Klubobmann Schicker sprach von 80 bis 100 Millionen Euro (!) Bewerbungskosten, Sportstadtrat Christian Oxonitsch dagegen von 20 bis 25 Millionen Euro. „Die Differenz blieb unerklärt“ (Ebenda).
„Bleibt die Frage, ob sich eine Stadt, die es nicht schafft, ihr Stadthallenbad zu sanieren, um Olympische Spiele bewerben soll“ (Wien will’s wissen – oder doch nicht? in nzz.ch 8.3.2013).
„Neben der Frage, ob Olympische Sommerspiele künftig noch an kleine Millionenstädte wie Wien vergeben werden, stellt sich auch jene der Nachhaltigkeit. Da die meisten der Sportstätten im Zuschauerbereich in die zigtausend gehen würden, wären sie in ihrer Größe für die österreichische Sportlandschaft nicht verwendbar. Intelligente Rückbaukonzepte und eine nur temporäre Verwendbarkeit wären da gefragt. All das verursacht Kosten, wobei sich die Bewerbungskosten allein in überschaubarem Rahmen bewegen würden. Doch die Summe bei einer Ausrichtung liegt längst in den Milliarden. London 2012 kostete rund 11,5 Milliarden Euro, wobei die Sicherheitskosten seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York explodiert sind. Bis 2028 ist mit einer Fortsetzung des fortschreitenden Kostenfaktors zu rechnen“ (sport.orf.at 7.3.2013).
„Die Selbstbezeichnung der Kommune als „Sportstadt“ ist unfreiwillige Selbstironie. Wiens einziges 50-Meter-Schwimmbecken ist leck. Die Schwimmer üben in einem Dauerprovisorium, einer zugigen, aufblasbaren Plastikhalle. Die Millionenstadt hat kein Ballsportzentrum, kein Leichtathletikstadion, das Radstadion war asbestverseucht und ist altersschwach… Dazu kommt, dass sich Häupl (63) seit seinem Amtsantritt 1994 als unfähig erwiesen hat, die sportliche Infrastruktur der Stadt auszubauen oder auch nur aufrechtzuerhalten.  “ (Skocek 12.3.2013).
„Olympia in Wien! Das klingt wie Fussball auf Grönland oder die Ausrichtung einer Ski-WM in der Sahara. Die Sportstätten in Wien taugen nicht einmal dazu, um in allen olympischen Sportarten österreichische Meisterschaften durchzuführen“ (be24.at 8.3.2013).
„Olympische Sommerspiele haben eine derart gigantische Dimension angenommen, dass Wien dafür einfach zu klein ist. Das Geld, das in eine Bewerbung fließen würde, könnte man im Sport viel sinnvoller einsetzen“ (Team1012.at4.3.2013; hier findet sich auch eine gute Zusammenfassung der meisten Gründe, die gegen Wien 2028 sprechen).

Die Abstimmung
Nach Auszählung der Stimmen war Schluss mit Wien 2028. Die offizielle Wahlbeteiligung betrug 29,46 Prozent, der Anteil der Nein-Stimmen 71,94 Prozent (212.672) mit Ja stimmten 28,06 Prozent (82.940) (wien.gv.at 12.3.2013).

Bürgermeister Häupl: „Ich finde das Ergebnis schade, weil es der Stadt viel gebracht hätte“ (wienerzeitung 12.3.2013).

Auch österreichweit fiel Wien 2028 durch. Eine OGM-Umfrage für die Zeitschrift Kurier erbrachte 53 Prozent Ablehnung. Die Ablehnung lag nach Auskunft von Karin Cvrtila vom OGM-Institut niedriger als in Wien, da die anderen Bundesländer weniger betroffen wären (Trummer 12.3.2013).
Vorsicht – die vom IOC geforderte unbegrenzte Defizitgarantie frisst am gesamten öffentlichen Haushalt eines ganzen Landes.

„Auffällig ist: Vor allem höher Gebildete und Menschen über 50 lehnen die Bewerbung ab“ (Ebenda).

Presse-Kommentare
„Das olympische Feuer wird 2028 in Wien nicht entzündet – nicht von Häupl, aber auch von niemand anderem sonst“ (kurier.at 10.3.2013).

Wolfgang Winheim im Kurier: „Die Wiener haben mit deutlicher Mehrheit gegen eine Olympia-Kandidatur für die Sommerspiele 2028 gestimmt. War es ein Volksentscheid gegen Hochstapelei, verdient er Applaus“ (Winheim 11.3.2013).

Johann Skocek titelte in der taz: „Einsames Stadtoberhäupl“  und schrieb dazu: „Die Wiener lassen sich nicht einmal mehr von ihrem eigenen Bürgerneister für dumm verkaufen… Denn die gesamte Aktion war eine Verhöhnung der direkten Demokratie: die Wiener Stadtbürokratie hielt es vor der Volksbefragung nicht einmal der Mühe wert, die Stimmbürger über die Kosten einer Olympiabewerbung zu informieren. Spekulationen schwankten zwischen zehn und 100 Millionen. Die Kosten der Spiele selbst betrugen in London 2012 angeblich mindestens 13 Milliarden Euro. Das ist rund ein Fünftel der österreichischen Staatsausgaben 2012“ (Skocek 3.2013).

Reinhard Göweil in der Wiener Zeitung: „Eine positive Interpretation auf das Ergebnis der Befragung lautet daher: Die Skandale der Vergangenheit haben die Wiener misstrauisch gemacht (das fällt ihnen eh leicht). Da der prototypische Wiener natürlich davon ausgegangen wäre, dass die Bewerbung erfolgreich sein würde, wären die veranschlagten Kosten für die Großprojekte locker verdoppelt worden – siehe Flughafen“ (Göweil 12.3.2013).

Oliver Fritsch schrieb dazu in der Zeit: „Stellen Sie sich vor, Sie geben eine Party. Eine richtig teure. Eine, die sie sich verdient haben. Doch es gibt ein Problem: Die Party steht und fällt mit diesem einen Gast, seinetwegen kommen alle. Er verlangt nur das Beste, ein großes Festzelt etwa, das sie danach nie wieder brauchen werden, und für das Sie sogar ein paar Ihrer Gartenbäumchen fällen müssen. Die Party wird teuer, wie teuer, das werden Sie erst am Ende wissen. Und Ihr Gast feierte schon anderswo, mit Leuten, mit denen Sie sich nie blicken lassen würden. Würden Sie sich darauf einlassen?

Die Bürger Wiens und die des Schweizer Kantons Graubünden haben diese Frage mit Nein beantwortet. Sie haben keine Lust auf das große Fest namens Olympische Spiele“ (Fritsch 13.3.2013).

Fazit
Graubünden 2022 und Wien 2028 stimmten mit Nein danke. Schaun wir mal, was Oslo 2022 und München 2022 so anstellen…

Quellen:
Fernsebner, Bettina, Bei Volksbefragung zeichnet sich Nein zu Olympia ab, in derstandard.at 10.3.2013
Fritsch, Oliver, Olympische Spiele, bloß nicht! in zeit.de 13.3.2013
„Für mich ist die Olympia-Frage erledigt, in wienerzeitung.at 12.3.2013
Gebhard, Josef, Krause, Gerhard, Salkewski, Irina, Will es Wien wirklich wissen? in kurier.at 11.2.2013
Göweil, Reinhard, Wiener Charme, in wienerzeitung.at 12.3.2013
Große Chance – viele Fragezeichen, in sport.orf 7.3.2013
Kein Interesse an Sommerspielen, in sport.orf.at 12.3.2013
Klares Nein zu Olympia zeichnet sich ab, in lkurier.at 10.3.2013
Krause, Gerhard, Segen für Wien oder Geldverbrennung? in kurier.at 12.2.2013
Stuhlpfarrer, Martin, Volksbefragung zu Olympia 20928: Wien soll zweimal abstimmen, in diepresse.com 12.2.2013
Neumann, Fritz, Wenn Wien die Weichen stellt, weitet sich Olympia-Frage aus, in derstandard.at. 6.3.2013
Skocek, Johann, Einsames Stadtoberhäupl, in taz.de 12.3.2013
Sportlicher Ehrgeiz oder Utopie, in be24.at 8.3.2013
Team1012.at, Olympische Spiele in Wien? 4.3.2013
Trummer, Paul, Olympia fällt auch österreichweit durch, in kurier.at 12.3.2013
Vorläufiges Ergebnis der Wiener Volksbefragung, wien.gv.at 12.3.2013
Weber, René, Schmutz und Bauruinen als Zeitzeugen der Olympischen Spiele 2004, in suedostschweiz.ch 17.2.20
Wien will’s wissen – oder doch nicht? in nzz.ch 8.3.2013
Wiener Bürger lehnen Olympia-Bewerbung ab, in spiegelonline 12.3.2013
Winheim, Wolfgang, Olympia nein, Bewegung ja, in kurier.at 11.3.2013

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