26.12.2012, aktualisiert 31.1.2013
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Der Deutsche Leichtathletikverband hatte bei der DOSB-Mitgliederversammlung am 8.12.2012 in Stuttgart den Antrag auf einen strengen Dopingbann auch für geringe Mengen gestellt.
Vergleiche: Die Reihen fast geschlossen
Am 6.12.2012, nur zwei Tage vor der Mitgliederversammlung, präsentierte das DOSB-Präsidium einen eigenen Antrag mit sieben Kernpunkten. Unter Punkt 1 stand die Standard-Forderung: „Die Einführung zusätzlicher Tathandlungen in das Arzneimittelgesetz, nämlich des ‚Erwerbs, Verbringens und Handeltreibens von Dopingmitteln in nicht geringer Menge’“ (DOSB PM 6.12.2012). Hier wurde auch auf den von Matthias Jahn mitverantworteten Evaluierungsbericht der Bundesregierung hingewiesen.
Diese „nicht geringe Menge“ ist ein zentraler Punkt des Bach-Vesper-DOSB.
Das DOSB-Präsidium präsentierte also in kürzester Zeit diesen eigenen Antrag. Es hat offenbar für jeden Notfall (und davon gibt viele) einen irgendwo sitzenden Experten, der Brandbekämpfer bzw. Feuerwehrmann spielt. Beim Erfurter UV-Blutdoping-Skandal war das zum Beispiel ein Anwalt der Großkanzlei GleissLutz, der den Persilschein ausschrieb und im Sinn des DOSB-Präsidium die Angelegenheit aus der Welt schaffte (vergleiche: GleissLutz).
Auch im Fall des Anti-Doping-Kampfes bzw. seiner Behinderung half ein Jurist: Matthias Jahn von der Universität Erlangen.
Der Doping-Experte
Jahn ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Er war bereits Mitglied der „Rechtskommission des Sports gegen Doping“, die sich am 22.3.2004 auf Initiative des Deutschen Sportbunds (DSB), des Vorläufers des DOSB, konstituierte und am 15.6.2012 ihren Abschlussbericht „zu möglichen gesetzlichen Initiativen für eine konsequentere Verhinderung, Verfolgung und Ahndung des Dopings im Sport“ abgab. Es bestanden Zweifel „an der möglicher Einführung einer Strafbarkeit des Besitzes anaboler Substanzen“ (Abschlussbericht S. 39). Zu den „geringen Mengen“ wurde in diesem Bericht festgestellt: „Der Eigenkonsum gefährlicher Substanzen (selbst Heroin und Kokain) ist unstreitig straffrei“ (Ebenda). Daraus folgerte die Rechtskommission, deswegen müsse „der Besitz kleinerer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigengebrauch (…) ebenso straffrei bleiben“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
Das ist eine kühne Konstruktion, die von entsprechenden Interessen getragen wird. Ein Alkohol oder Drogen mißbrauchender Konsument schädigt seinen Körper, steht aber mit niemandem im Wettbewerb. Ein sich dopender Sportler dagegen schädigt auch seinen Körper, steigert illegal seine körperliche Leistung, benachteiligt Wettbewerber, verzerrt die Ergebnisse, betrügt die Öffentlichkeit und die Sport-Institutionen – und wird oft genug Frühinvalide.
Außerdem will Baden-Württemberg Doping als kriminelle Straftat bewertet haben. Deshalb sprach sich die Münchner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Doping auch für Strafbarkeit bei geringen Mengen aus – siehe unten.
Jahn hat auch beim „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“ (DBVG, „Anti-Doping-Gesetz“) von 1.11.2007 mitgewirkt. Schon darin stand Jahns Satz mit der „geringen Menge“: nämlich dass nur der „Besitz von Dopingmitteln im Sport in nicht geringer Menge“ unter Strafe gestellt wird (PM FAU 22.9.2012; Hervorhebung WZ).
Jahn bewarb sich im März 2011 um den Auftrag der Überprüfung der aktuellen Gesetzeslage zur Dopingbekämpfung auf ihre Wirksamkeit. Die Ausschreibung wurde „nicht, wie sonst üblich, breiter kommuniziert. Innerhalb der vierwöchigen Frist gingen auch nur drei Angebote ein“ (Hartmann 22.9.2011).
Wer hat da wohl „nicht breiter kommuniziert“ – und mit welchen Absichten?
Natürlich lobte die Dreieinigkeit von DOSB, vom Bundesministerium des Innern (BMI) und von der Mehrheit des Bundessportausschusses Jahn in höchsten Tönen. Das BMI pries seine „hohe persönliche Fachkompetenz“ und „vielfältige Sportbezüge“ (Ebenda).
Was immer das sein mag!
Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages beauftragte Jahn Mitte September 2011 erwartungsgemäß mit der Überprüfung der aktuellen Gesetzeslage zur Dopingbekämpfung auf ihre Wirksamkeit. Damit wurde Jahn bestellt als „wissenschaftlicher Sachverständiger für die Evaluierung des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“ (FAU PM 22.9.2011)
Jahn ist damit „im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellter Sachverständiger“ (BMI 29.10.2012) bzw. „wissenschaftlicher Sachverständiger der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages für den Evaluationsbericht des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“ (FAU 2.11.2012).
Kritik an Jahn
Grit Hartmann schrieb bereits 2011 dazu: „Die Personalie ist durchaus brisant.“ (Hartmann 22.9.2011). Jahn „gehörte bis 2005 der Rechtskommission des Sports gegen Doping an… Jahn hat sich vielfach zur Frage geäußert, welche gesetzlichen Regelungen es für eine effektive Dopingbekämpfung braucht – oder besser gesagt: nicht braucht. Der Strafrechtler darf nämlich als einer der Anreger der halbgaren Lösung von 2007 gelten. Vor dem Sportausschuss positionierte er sich damals klar gegen einen Strafbestand Sportbetrug. Als einer der ersten sprach er sich dafür aus, nur den Besitz ‚nicht geringer Mengen’ von Dopingmitteln unter Strafe zu stellen“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
Jahn hat also quasi das Urheberrecht an den straffreien „geringen Mengen“.
Grit Hartmann stellte fest, dass „nun ein wissenschaftlicher Sachverständiger die Wirksamkeit jener Vorschriften bewertet, die er selbst mit entwickelt hat“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
„Jahn indes outete sich auch in neueren Aufsätzen als Gegner von Rechtsverschärfungen – 2010 etwa erteilte er dem Vorstoß der bayerischen Justizministerin Beate Merk für ein Sportbetrugsgesetz eine Absage“ (Ebenda).
Bei der DOSB-Mitgliederversammlung am 8.12.2012 notierte der SZ-Journalist Thomas Hahn: Jahn „lässt weiterhin zu, dass laut Arzneimittelgesetz nur der Besitz von Dopingmitteln in ‚nicht geringen Mengen’ strafbar ist. Im Klartext: Der DOSB will, dass der Staat erst Verdacht schöpft, wenn ein Athlet mehr Doping-Arzneimittel mit sich führt, als ein Patient aus medizinischen Gründen in einem ganzen Monat braucht“ (Hahn 10.12.2012a).
Merk: Geringste Mengen sollen strafbar werden
Die bayerische Justizministerin und die Münchner Staatsanwaltschaft, Schwerpunkt Doping, treten für die Strafbarkeit bei geringsten Mengen Dopingmittel ein.
Die bayerische Justizministerin Beate Merk kämpft seit Jahren für eine strengere Regelung. Sie stellte fest: „Wir tun uns immer noch sehr schwer damit, auch im Wettkampf oder gar Spitzensport Ermittlungserfolge zu erzielen… Den Ermittlern muss die Möglichkeit gegeben werden, auch gegen Sportler, die in gedoptem Zustand an Wettkämpfen teilnehmen oder Dopingmittel gleich welcher Art besitzen, vorzugehen“ (PM 2.2.2011). – „Wir müssen, so sehe ich das, vom ersten Milligramm des Besitzes an, eine Strafbarkeit haben“ (Hamberger 28.11.2012; Hervorhebung WZ).
Auch die Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Dopingdelikte sprach sich für Strafbarkeit auch bei geringen Mengen aus: „Die StA München I regt – in Übereinstimmung mit dem bayerischen Diskussionsentwurf vom 25.06.2012 – die Abkopplung der Strafbarkeit des Besitzes von Dopingmitteln unbeschadet der Menge entsprechend der Regelungen im BtMG an“ (S. 49; BtMG: Betäubungsmittelgesetz).
Jahns Evaluierungsbericht verharmlost
Jahn stellte dann bei der Vorstellung des Evaluierungsberichtes fest, „dass die Maßnahmen des Gesetzgebers im Bereich der Doping-Bekämpfung grundsätzlich gegriffen haben, die Zahlen belegen aber auch, dass es noch einen gewissen Bedarf für Nachsteuerung und damit auch Aktivitäten des Gesetzgebers aus unserer Sicht gibt“ (Hamberger 28.11.2012).
Oder in einer Pressemitteilung von Jahns Universität: „Eines geht aus dem Report klar hervor: Die mit dem DBVG eingeführten Neuregelungen haben sich grundsätzlich bewährt“ (PM FAU 2.11.2012). – „Der Evaluierungsbericht zeigt deutlich, was die bereits normierten Anti-Doping-Regelungen in Deutschland zu leisten im Stande sind“ (Ebenda).
Wen wundert es, dass Jahn sein eigenes Werk positiv bewertet. Der Status quo wird also als ausreichend hingestellt.
Im Bericht selbst steht zum Beispiel: „In den Fällen, in denen der (einfache) Besitz mehrerer der Dopingmittel-Mengen-Verordnung unterfallender Wirkstoffe im Raum steht, wird nach Angaben der StA München I von Verteidigern die Rechtsauffassung vertreten, dass sich die in der DmMV (Dopingmittel-Mengenverordnung; WZ) festgelegte nicht geringe Menge nur auf die jeweils einzelnen Wirkstoffe beziehe. Danach bliebe ein Beschuldigter, der beispielsweise zehn verschiedene Dopingwirkstoffe in Besitz hat, die jeweils nur das 0,9-fache der nicht geringen Menge darstellen, straflos. Richtigerweise seien die Mengenüberschreitungen jedoch zusammenzuzählen“ (Bericht der Bundesregierung September 2012, S. 28f; Hervorhebung WZ)
Dessen ungeachtet kämpft das DOSB-Präsidium – und ihr Rechtsgutachter Jahn – um die „nicht geringe Menge“ und damit für die Straffreiheit der kleinen Menge an Dopingmittel.
Staatsanwältin Mühlbauer von der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Dopingdelikte äußerte bei der DOSB-Tagung am 8.12.2012, sie wünsche sich, dass auch bei geringen Mengen ermittelt werden darf. DOSB-Generaldirektor Vesper verwies im Interview wiederum auf Jahn: „Andere raten sehr nachhaltig davon ab, zum Beispiel Professor Matthias Jahn, der selber viele Jahre lang als Staatsanwalt gearbeitet hat und deshalb die Praxis sehr genau kennt“ (Drepper 18.12.2012).
Interessant ist, dass Vesper dieses Detail über Jahn (wie viele andere) kennt und erwähnt. Im universitären Lebenslauf von Jahn ist für die Tätigkeit als Staatsanwalt der Zeitraum 2002 bis 2004 angegeben, den Schwerpunkt der Tätigkeit gibt er mit „Dezernent für Strafsachen nach besonderer Zuweisung und Leiter praktischer Studienzeiten in der Abteilung XIII (Organisierte Kriminalität)“ an (vergleiche hier)
In diesem Lebenslauf ist das Thema Doping nicht aufgeführt. Jahn war am Entstehen des Dopinggesetzes von 2007 beteiligt. Es steht zu vermuten, dass er als Staatsanwalt im Zeitraum 2002 bis 2004 mit Doping nicht explizit zu tun hatte.
Im Unterschied zu oben steht die Anmerkung im Bericht: „Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Regelung im BtMG an die grundsätzliche Gefährlichkeit der Stoffe anknüpft, während das Besitzverbot von Dopingmitteln dazu dient, den Handel mit diesen Mitteln zu verhindern. Von einem Handeltreiben ist allerdings erst ab einer gewissen Menge des Dopingmittels auszugehen. Dies spricht vom Gesetzeszweck her gegen ein vollständig mengenunabhängiges Besitzverbot. Darüber hinaus liegt den Dopingmitteln – anders als den Betäubungsmitteln – kein wissenschaftlich nachgewiesenes Suchtpotenzial zugrunde, so dass eine andere Gefährdungslage gegeben ist“ (S. 49; Hervorhebung WZ).
Das sieht eher nach einem Ablenkungsmanöver aus. Wie schon erwähnt gibt es im Sport einen Wettbewerb, der durch Dopingmittel unfair verzerrt wird. Und der Doper schädigt sich körperlich sich, seine Gegner und die Öffentlichkeit.
„Eine Vielzahl der zum Doping geeigneten Arzneimittel sind auch therapeutisch häufig eingesetzte Arzneimittel. Eine mengenunabhängige Pönalisierung des Besitzes dieser Arzneimittel würde somit sehr viel mehr betroffene Patientinnen und Patienten in die Situation versetzen, ihr legales Verhalten beweisen zu müssen“ (S. 50; Hervorhebung WZ).
Das ist eine reine Schutzbehauptung und lenkt völlig vom eigentlichen Problem des Dopings ab. Betroffene Patienten sind in der Regel keine Spitzensportler und Spitzensportler keine entsprechenden Patienten.
Jahn verteidigte seinen Kurs im Vorfeld der DOSB-Treffens Ende November 2012 mit den bekannten Argumenten: „Daneben wurde eine so genannte Besitzstrafbarkeit für den Umgang mit besonders gefährlichen Dopingmitteln in nicht geringer Menge eingeführt“ (Lorenz 28.11.2012).
Schon wieder die „nicht geringe Menge“.
Jahn: „Der Evaluierungsbericht zeigt jedenfalls deutlich, was die bereits normierten Anti-Doping-Regelungen in Deutschland zu leisten im Stande sind“ (Ebenda).
Eine wirklich effektive Dopinggesetzgebung wird verhindert.
Denn die Realität beschreibt Anno Hecker: „Vor sechs Jahren entschied sich der DOSB schon einmal gegen die Besitzstrafbarkeit. Seither weiß man zu genau, dass schlaue Doper Kontrollsystemen gut entkommen. Von den rund 7800 Trainingskontrollen 2011 waren vier positiv“ (Hecker 8.12.2012; Hervorhebung WZ).
Und Grit Hartmann notierte: “Vesper hat Gründe, die Wirklichkeit ein wenig zu verbiegen, damit nicht allzu viele Fragen aufkommen zur Gesetzeslage hierzulande… 2011 wurden fast 1600 Dopingverfahren eingeleitet… Ermittelt wird in der Bodybuilder-Szene. Nicht eines der Verfahren führte zu Elite-Athleten” (Hartmann 27.11.2012; Hervorhebung WZ).
Die Praxis: Ein Dopingfall bei den Amateuren
Frederik Zierke, einer der besten deutschen Amateur-Mountainbiker, starb nach der Einnahme von Epo. Der 44-jährige hatte sich am 10.9.2012 Neorecormon gespritzt, ein Epo-Präparat. “In seiner Leutkicher Wohnung beschlagnahmte die Kriminalpolizei Ravensburg neben dem Epo-Präparat (…) das Anabolikum Winstrol, Testosteronampullen, das Herzmittel Corotrop sowie Caniphedrin, ein Präparat aus der Tiermedizin” (spiegelonline 16.12.2012).
Das weitere Interesse an der Aufklärung der Hintergründe war äußerst mäßig. Den Computer und das Mobiltelefon Zierkes mit möglichen Hinweisen auf Hintermänner beschlagnahmten die Polizisten nicht. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg konstatierte „Verdacht auf Medikamentenmissbrauch” und stellte das Verfahren am nächsten Tag ein. Die Freiburger Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping wurde nicht verständigt. Der Leitende Oberstaatsanwalt: “Ich will gar nicht erst nach einer Ausrede suchen, das ist ein klares Versäumnis meinerseits” (Ebenda). – “Überhaupt stellt sich die Frage, wie viele verdächtige Medikamente einem Leitenden Oberstaatsanwalt noch in die Hände fallen müssen, ehe er seine Ermittlungen auf ein Dopingdelikt ausweitet” (Hacke u. a. 17.12.2012).
Für die Vorsitzende des Sportausschusses, Dagmar Freitag (SPD), stehen die laxen Ermittlungen „stellvertretend für das Desinteresse deutscher Staatsanwaltschaften an der Aufklärung von Dopingdelikten„; deshalb sei ein eigenständiges Anti-Doping-Gesetz nötig, sodass jeder Dopingfall ein Offizialdelikt wird und die Staatsanwälte ermitteln müssten (Spiegel 52/22.12.2012; Hervorhebung WZ).
Dem Sportwissenschaftler Mischa Kläber zufolge ist “die Vehemenz der Mißbrauchspraktiken im Breitensport durchaus vergleichbar mit der im Hochleistungssport” (Hacke u. a. 17.12.2012).
Hier dient der Spitzensport dem Breitensport als Vorbild: „Eigenbedarf“ steht nicht unter Strafe. Also dopen auch die Amateure, und wie beim Sp(r)itzensport wird auch bei den Amateuren nichts dagegen unternommen, selbst bei einem Todesfall.
Exkurs: Null-Doping oder völlige Freigabe
In München veranstaltete der Leichtathletik-Klub der Stadtwerke München Mitte Dezember 2012 eine Podiumsdiskussion. Teilnehmer waren der Heidelberger Molekularbiologe und Dopingexperte Prof. Werner Franke und der Literaturwissenschaftler der Stanford University, Hans Ulrich Gumbrecht.
Franke führte aus, „wie perfide, menschenfeindlich, sogar humorlos die Idee einer Dopingfreigabe ist… er benennt Doping als Gefahr für Leib und Leben des Athleten“ (Hahn 20.12.2012). Gumbrecht hingegen „findet, dass jeder Mensch mit seinem Körper machen können soll, was er will… Er findet es einen bedenkenswerten Vorschlag, Meisterschaften für Gedopte und Ungedopte anzubieten, Weltmeisterschaften für Sportpharmazeuten zu inszenieren und eine kontrollierte Freigabe“ (Ebenda).
In der Konsequenz würde eine völlige Freigabe bedeuten, dass alle Rennradfahrer, die eine Chance wahren wollen, dopen müssen wie Lance Armstrong! Und für die Dopingkranken müssen alle bezahlen: Krankenkassenmitglieder, Staat und Steuerzahler, Sozialversicherung etc.
Doping und Jahn persönlich
Originalton Jahn: „Das Grundgesetz verbietet es, dass man allein deshalb jemand dafür bestraft, weil er seinen Körper schlecht behandelt. Es gibt ein Recht auf riskante Lebensführung, dazu gehört das Rauchen, Alkoholtrinken und ich darf mich in meiner Freizeit grundsätzlich auch dopen“ (Schirmer 7.12.2012; Hervorhebung WZ).
Es spricht der „wissenschaftliche Sachverständige für die Evaluierung des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“.
Matthias Jahn wurde vom Bach-Vesper-DOSB systematisch aufgebaut: Er soll die Deutungshoheit über den Begriff Doping haben. Jahn ist 1968 geboren. Er kann also noch lange wirken.
Fazit
– Der Bach-Vesper-DOSB tritt seit Jahren vehement gegen die Strafbarkeit geringer Mengen von Dopingmittel ein.
– Damit wird der Besitz von geringen Mengen Dopingmittel quasi legalisiert.
– Dies schließt die Möglichkeit ein, dass Sportler Dopingmittel nehmen, aber nur über jeweils geringe Mengen verfügen. Größere Mengen können gegebenenfalls woanders gelagert werden.
Nachtrag 1
Der Richter am Bundesgerichtshof, Dieter Maihold, legte für die Sitzung des Bundessportausschusses am 30.1.2013 eine 22-seitige Expertise vor, die diametral entgegengesetzt zur Linie von DOSB und Jahn ist. „Maihold plädiert für eine Reihe von Gesetzesänderungen, wie sie Bundesregierung und DOSB eben erst vom Tisch fegten“ (Hartmann 29.1.2013). Maihold fordert eine Kronzeugenregelung und die Strafbarkeit auch geringer Mengen an Dopingmitteln: „Er sieht sogar eine ’systemwidrige Strafbarkeitslücke‘ darin, dass nach dem Arzneimittel-Gesetz (AMG) nur der Besitz ’nicht geringer Mengen‘ strafbar ist – was in der Regel Dealer betrifft, aber nicht dopende Sportler“ (Ebenda).
Der DOSB hatte auch oft die Warnung ausgesprochen, dass sportrechtlich als Doper überführte Athleten, die in staatlichen Ermittlungen freigesprochen würden, Nada oder Verbände mit Schadenersatzansprüchen überziehen könnten. Dagegen Maihold: „Beide Verfahren werden … mit einer nur für den jeweiligen Bereich maßgeblichen Entscheidung abgeschlossen. Ein spezielles Haftungsproblem entsteht daraus im Grundsatz nicht“ (Ebenda). Auch könnten Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft grundsätzlich von der Nada verwendet werden.
Noch bei der DOSB-Mitgliederversammlung am 8.12.2012 hatte Bach seine Allzweck-Waffe Jahn eingesetzt, der den Besitz von „geringen Mengen an Dopingmitteln“ für gerechtfertigt hielt. Und nun wurde Jahn – vermutlich von Bach protegiert – auch zur Sitzung des Sportausschusses am 30.1.2013 eingeladen. „Die rechtstheoretische Belehrung von einem Bundesrichter blamiert die Bundesregierung und den Juristen Bach bis auf die Knochen. Deshalb wohl sorgte die Koalition noch kurzfristig für die Einladung des Mannes, den der Sportausschuss gerade erst gehört hat – Matthias Jahn von der Uni Erlangen-Nürnberg. Der Rechtsprofessor evaluierte das AMG in seinem Bericht als „ausreichend“. Ein Attribut, das sich jedenfalls im Licht der Expertise von BGH-Richter Dieter Maihold nun ganz und gar verbietet“ (Ebenda).
Nachtrag 2: Bayern ausnahmsweise vorn
Der bayerische Justizminister Winfried Bausback stellte am 17.3.2014 den bayerischen Gesetzentwurf für ein Sportschutzgesetz vor. Herausragende Punkte: – ein Straftatbestand des Dopingbetrugs, – die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit von Dopingmitteln und Dopingwirkstoffen, – umfassende Strafvorschriften gegen den Dopinghandel, ein erhöhter Strafrahmen von bis zu fünf Jahren für Dopingvergehen (PM Bayerns Justizminister stellt bayerischen Gesetzentwurf für ein Sportschutzgesetz vor, Bayerisches Staatsministerium der Justiz 17.3.2014). Bausback hob die vom DOSB abgelehnte Strafbarkeit des Besitzes von geringen Mitteln an Dopingmitteln hervor: “Die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit ist unverzichtbar, um Doping im Spitzensport strafrechtlich zu erreichen” (Bayern plant Strafverfolgung von Sportbetrügern, in sueddeutsche.de 17.3.2014).
Das wird die Herren Michael Vesper und Matthias Jahn aber nicht freuen!
Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Doping, Lance Armstrong, Verbruggen und McQuaid/UCI
Quellen:
Abschlussbericht der Rechtskommission des Sports gegen Doping, Frankfurt 15.6.2005
Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Anti-Doping-Sachverständiger des Bundes besucht Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft/Merk: „Bayerische Staatsanwälte bundesweit Vorreiter bei der Dopingbekämpfung“, PM 2.2.2012
Bundesministerium des Innern
– Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Dopingbekämpfung im Sport, PM 29.10.2012
– Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bergner stellt Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Dopingbekämpfung im Sport (DBVG) im Sportausschuss vor, PM 28.11.2012
Bundesministerium des Innern, Bundesministerium für Gesundheit, Bericht der Bundesregierung zur Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport (DBVG), Berlin, September 2012
– Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Dopingbekämpfung im Sport – Gemeinsame Presseerklärung des BMI und BMG, PM 29.10.2012
DOSB-Präsidium mit eigenem Antrag zum Anti-Dopingkampf, PM 6.12.2012
Drepper, Daniel, Interview mit Michael Vesper: „Zielvereinbarungen werden öffentlich“, in derwesten-recherche.org 18.12.2012
Erlanger Professor begutachtet „Anti-Doping-Gesetz“, Friedrich-Alexander-Universität (FAU), PM 22.9.2011
FAU-Expertenkommentar: Was kann der Gesetzgeber tun, um Dopingfälle zukünftig zu verhindern? PM 2.11.2012
Hacke, Detlef, Ludwig, Udo, Pfeiffer, Frieder, Wulzinger, Michael, Der Tote von Leutkirch, in Der Spiegel 51/17.12.2012
Hahn, Thomas
– Gegen die falsche Romantik, in SZ 20.12.2012
– 25 von 459, in SZ 10.12.2012a
– Der Staat muss draußen bleiben, in SZ 10.12.2012
Hamberger, Katharina, Kein Fortschritt, in dradio.de 28.11.2012
Hartmann, Grit
– Wenn der Prüfer seine eigenen Regeln prüft, in dradio.de 22.9.2011
– Römisches Recht, in fr-online.de 27.11.2012
– Ohrfeige für Sportbund und Regierung, in berliner-zeitung 29.1.2013
Hecker, Anno, Ein stumpfes Schwert, in faz.net 8.12.2012
Lorenz, Pia, „Schon lange kein totes Recht mehr“, Interview mit Matthias Jahn, in lto.de/recht 22.12.2012
Schirmer, Andreas, Experte über Doping: „Mehr Strafrecht keine Lösung“, in nwzonline.de 7.12.2012
Tödliche Dopingspritze, in spiegelonline 16.12.2012
Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Doping