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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Mrz 142012
 
Zuletzt geändert am 01.01.2013 @ 17:51

14.3.2012

Bei einem nationalen Vorausscheid am 11. August 2011 setzten sich Davos und St. Moritz mit 8:4 gegen die Bewerbung von Genf durch.

St. Moritz war bereits 1928 und  1948 Ausrichter von Olympischen Winterspielen. Im Dezember 2011 wurde entschieden, dass die Bewerbung 2022 nicht mehr unter dem Namen Davos/St. Moritz laufen wird, sondern nur noch im Namen von St. Moritz (Wikipedia). Hinter der Bewerbung steht eine kleine Gruppe um Swiss Olympic.

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung hatte den Untertitel: “Die Einheimischen fühlen sich vom Protz-Publikum immer mehr an den Rand gedrängt” (Koydl, Wolfgang, Darben im Champagnerklima, in SZ 26.1.2012). Der Ort wurde zum Synonym einer Zwei-Klassengesellschaft.

Die zweite Klasse:
“Zweieinhalbtausend Franken Miete für eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung – das ist Züricher oder Genfer Niveau” (Ebenda). Bauplätze gibt es fast keine mehr – und wenn, dann zu unerschwinglichen Preisen. Der Mietwohnungsbau geht gegen Null: Für Einheimische bleibt kaum Wohnraum. “In der Nachbargemeinde Madulain gibt es schon mehr Zweitwohnungen als Einheimische” (Ebenda). Zum Einkaufen gibt es einen einzigen Coop-Supermarkt und Einzelhändler fast nicht mehr.
Viele Beschäftigte können sich hier schon lange keine Wohnung mehr leisten: Sie kommen ab morgens 4.44 mit der ersten Bahn aus Zernez oder Scuol im Unterengadin. Oder täglich sogar bis aus Italien: über den Grenzübergang Castasegna durch das ganze Bergell zum Malojapass nach St. Moritz und zurück.

Die erste Klasse:
Die Via Suvretta in St. Moritz ist die sechst-teuerste Wohnstraße der Welt. Hier liegen die Villen der Superreichen: u. a. der Dynastien Agnelli, Onassis, Niarchos, der IKEA-Eigner Ingvar Kamprad, der Stahlmagnat Lakshmi Mittal, der Chef des Rohstoffkonzerns Glencore, Ivan Glasenberg. Die Nobelboutiquen haben die Einzelhändler verdrängt. Sie liegen dicht an dicht.

Olympische Winterspiele 2022 in St. Moritz würden dieses ganze Dilemma noch einmal verschärfen: Denn an allen Austragungsorten steigen üblicherweise Immobilienpreise und Mieten.

Volksinitiative «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen»

Der Zweitwohnungsanteil in St. Moritz beträgt bereits über 50 Prozent. Eine gerade erst abgestimmte Volksinitiative «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen» wurde in der Schweiz positiv abgestimmt und verlangt, dass der Anteil Zweitwohnungen pro Gemeinde maximal 20 Prozent betragen darf.

In Gemeinden, in denen die 20-Prozent-Grenze bereits überschritten ist, wird die Bestimmung wahrscheinlich einen Baustopp für Zweitwohnungen bedeuten. Die Initianten hatten jene Nebenwohnsitze im Visier, die nur wenige Wochen pro Jahr von ihren Besitzern genutzt werden und ansonsten leer stehen („Zweitwohnungs-Initiative: Weber ist stolz auf die Schweiz» in tagesanzeiger.de, 11.3.2012)

 

Zweitwohnungsbau im Oberengadin, Sommer 2011

«Das Ja ist eine gute Sache. Es gibt kein grünes Stückchen Land mehr im Dorf.» Die Einheimische in St. Moritz hofft nun, dass die Initiative wie angekündigt umgesetzt werde. Ausnahmen dürfe es nicht oder zumindest nicht zu viele geben. «Sonst bekommen die Gegner doch wieder, was sie wollen.» Eine andere Einheimische erzählt, wie sie nur «durch Zufall und Vitamin B» zu einer neuen Wohnung gekommen sei – nach monatelanger Suche. «Ich habe nichts Bezahlbares gefunden. Währenddessen steht mehr als die Hälfte der Wohnungen leer.» Besonders schlimm sei es in der Zwischensaison, dann sei das Dorf «regelrecht tot» (Simone Rau: „Ratlosigkeit in St. Moritz“, in tagesanzeiger.de, 13.3.2012).

Im Abstimmungskampf engagierte sich auch die Bündner SP-Nationalrätin Silva Semadeni, die als Vertreterin ihres Kantons und Präsidentin von Pro Natura sowohl für die Interessen des Tourismus als auch für jene der Initianten kämpft. Für Semadeni kein Widerspruch. Denn: «Gerade ein so schöner Kanton wie Graubünden braucht eine qualitative touristische Entwicklung, nicht Investitionen in den Zweitwohnungsbau.»

Die Beschränkung des Zweitwohnungsbaus nutze dem Tourismus. Denn sie zwinge die Regionen, mit ihrem Grundkapital, «der Natur, der Ortsbilder», sorgfältig umzugehen. «Wir müssen zur Landschaft Sorge tragen und Authentizität pflegen. Wir müssen uns selber bleiben.» Dass die Gemeindepräsidenten der betroffenen Gebiete gegen die Initiative gekämpft haben, kann Semadeni nachvollziehen. «Sie sind unter starkem Druck der Baulobby, der Immobilienfirmen, der Bodenbesitzer. Es ist nicht einfach, einer solchen Gemeinde vorzustehen» (Claudia Blumer: „Mit 20 Prozent Zweitwohnungsbau kann eine Tourismusregion nicht leben“, in tagesanzeiger.de, 11.3.2012).

St. Moritz 2022: fix und temporär

Die Olympia-Macher arbeiten eifrig an der Bewerbung St. Moritz 2022. Ein Logo gibt es bereits, allerdings keine Zahlen über die Kosten, wie Gian Gilli, der “operative Leiter des Vereins Olympische Winterspiele Graubünden” einräumte.
Gilli mahnte auch angesichts der Volksabstimmung in Graubünden “andere Denkmuster” an: “Das ist ein Generationenprojekt mit großem Entwicklungspotenzial für unseren Lebensraum im Berggebiet und unsere Kultur” (Gian Gilli: “Es braucht wieder die Denkweise der Pioniere”, in suedostschweiz.ch 23.2.2012).
Da in Graubünden wenig Bedarf an den Olympischen Wettkampfstätten besteht, wird ein Teil als fixe Anlagen geplant, ein zweiter Teil als “kombinierte” fixe und temporäre Anlagen und ein dritter als rein temporärer Teil.
So soll die Eissporthalle in Samedan während der Spiele 10.000 Plätze und danach 2.500 Plätze haben; die 120-Meter-Schanze in St. Moritz würde “nur für die Spiele zur Verfügung stehen” und dann ebenfalls des Rückbaus harren (Ebenda).
“Olympia in der Schweiz ist nur denkbar, wenn das IOC bereit ist, die Beschränkungen des Alpenraums zu akzeptieren. Dennoch wäre der Aufwand gewaltig und eine Portion Wahnsinn nötig, um diesen zu leisten” (Geisser, Remo, Eine Portion Wahnsinn nötig, in nzz.ch 12.2.2012).

Mitte März kündigte der „Verein Olympische Winterspiele Graubünden 2022“ eine Machbarkeitsstudie an. Wie bei allen olympischen Bewerbungen der letzten Jahre war in dieser Medieninformation viel von Nachhaltigkeit, Respekt vor der Natur und ähnlichem die Rede (Medieninformation Graubünden 2022, 14.3.2012).
Bei der konkreten Durchführung der Spiele sieht es dann für gewöhnlich ganz anders aus.

Der Architekt Rainer Quenzer erläuterte zum Sportstättenkonzept: „Nach den Spielen werden nur Sportstätten, Gebäude und Infrastrukturen stehenbleiben, für die ein eigentlicher Bedarf besteht und die dann sinnvoll und zu vernünftigen Kosten weiterbetrieben werden können. Alle anderen Bauten konzipieren wir schon heute so, dass sie nach den Spielen abgebaut und möglichst an einem anderen Ort wieder zum Einsatz kommen können“ (Ebenda).
Das bedeutet im Klartext, dass wohl die meisten olympischen Bauten 2022 wieder abgerissen bzw.  eingelagert würden. Mit der viel beschworenen Nachhaltigkeit hat dies nichts zu tun.

Ursprünglich auf den 25.11.2012, inzwischen auf 3.3.2013 verlegt, soll die Volksabstimmung für das Bündner Stimmvolk und die Bevölkerung von St. Moritz stattfinden. Bis dahin warten die von Gian Gilli als „begeistert“ angekündigten Sponsoren ab. Damit steht bis zur Volksabstimmung überhaupt nicht fest, ob die angekündigte Finanzierung der Kandidatur zustande kommt: Je ein Drittel sollen Bund, Kantone und Privatwirtschaft aufbringen (Hofmann, Fadrina, Gian Gilli stellt sein Olympia-2022-Team vor, in Südostschweiz 15.3.2012).

Widerstand gegen Olympia-Pläne
Das Komitee Olympiakritisches Graubünden wird sich gegen Pläne einer bündnerischen Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2022 und folgende zur Wehr setzen. siehe dazu:  

www.umwelt-graubuenden.ch

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