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Mrz 262012
 
Zuletzt geändert am 09.11.2012 @ 16:02

Stand: 26.3.2012, ergänzt am 9.11.2012

– “Lichttherapie” am Olympiastützpunkt

Ende Januar 2012 wurde bekannt, dass der Arzt Andreas Franke, der von 2005 bis 2011 am Olympiastützpunkt Erfurt tätig war, seit 2005 30 Athleten mit Bluttransfusionen “behandelte”. Das entnommene Athletenblut hatte er einer unzulässigen UV-Behandlung (“Lichttherapie”) unterzogen hat. Dies wurde bereits bei einer Polizeirazzia im Frühjahr 2011 festgestellt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada hatte seit 2003 jede Art von Bluttransfusionen verboten. Im Punkt M 1.1. der Wada prohibited list steht explizit: “Dabei gilt jede Entnahme von Blut und eine Wiedereinbringung in die menschliche Blutbahn als Doping, wenn sie rote Blutzellen enthalten” (Burkert 9.2.2012).

Die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada wusste ebenfalls seit der Polizeirazzia von den Vorwürfen, die erst jetzt zum öffentlichen Thema wurden (wdr.de 30.1.2012; Burkert 30.1.2012; ders., Plötzlich ist Schweigen, in SZ 31.1.2012).

“Acht Monate, nachdem eine Razzia der Ermittler in seiner Praxis und im Olympiastützpunkt Thüringen eine brisante Patientenliste zutage förderte, … fordert nun DOSB-Präsident Thomas Bach, ‘so schnell wie möglich reinen Tisch zu machen’. Bach urteilte beim Neujahrsempfang des Deutschen Olympischen Sportbundes, man habe ‘in diesen Tagen die Nachricht erhalten, dass ein Arzt offensichtlich oder möglicherweise verbotene Dopingpraktiken an Sportlern angewendet hat’” (SZ 1.2.2012). Bach äußerte zuvor im MDR zur umstrittenen UV-Blutbehandlungsmethode: “Für das IOC gilt der Wada-Code, der sagt in aller Klarheit, dass derartige Methoden seit dem 1. Januar 2011 verboten sind” (SZ 1.2.2012; Hervorhebung WZ)
Bach informiert hier offensichtlich falsch: Das Wada-Verbot besteht explizit bereits seit 2003, wie der Rechtsanwalt Georg Engelbrecht in einer schriftlichen Stellungnahme für den Sportausschuss des deutschen Bundestages im März 2012 mitteilte (Weinreich 19.3.2012).
Die SZ schrieb dazu: “Nicht nur Athleten, Ärzte, Trainer und Stützpunktchefs haben sich – bestenfalls – in der Causa Erfurt als unkundig erwiesen” und verwies auf den Präsidenten der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, der ebenfalls den 1.1.2011 nannte (SZ 1.2.2012).
Bekannt wurden als “Kunden” von Andreas Franke u.a. Nils Schumann, der frühere 800-Meter-Olympiasieger von Sydney 2000, James Beckford (Jamaika), der WM-Zweite von 2005 im Weitsprung, Bahnrad-Nationalfahrer Jakob Steigmiller, Straßenrad-Sprinter Marcel Kittel, Radprofi Patrick Gretsch, die Eissprinterin Judith Hesse und die Eisschnelläuferin Claudia Pechstein (Burkert 9.2.2012). Pechstein veröffentlichte angeblich entlastende Emails der Nada und forderte den Rücktritt von Nada-Vorstand Lars Mortsiefer. Dieser hatte wiederholt, dass die Methode schon vor dem 1.1.2011 verboten war (SZ 8.2.2012). Der Generaldirektor der Wada, David Howman, verwies im Zusammenhang mit Pechstein darauf, dass ein Athlet nach einem zweiten Vergehen mit einer verbotenen Substanz oder Methode von einer lebenslangen Sperre bedroht ist (Burkert 9.2.2012).

Viola von Cramon (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Bundes-Sportausschusses und andere fragten beim Bundesministerium des Innern (BMI) an, ob der Bund Steuermittel für Doping einsetze. Das BMI nannte die Frage “definitiv unzulässig ja ungehörig”, musste dann aber Anfang Februar 2012 zugeben, dass die Blutmanipulationen der 30 Top-Athleten tatsächlich aus Steuermitteln finanziert wurden: “Der Arzt arbeitete auf Honorarbasis für den Olympiastützpunkt Thüringen. Nach Auskunft des OSP wurden die Behandlungen im Rahmen des bestehenden Honorarvertrages über den OSP abgerechnet” (Hartmann 3.2.2012). Die Behandlungsmethode wurde übrigens bereits im DDR-Sport eingesetzt.
Der aus Hamm in Nordrhein-Westfalen stammende Heinz-Jochen Spilker, Frankes Rechtsanwalt “war bis Ende 1990 Bundestrainer in der Leichtathletik, dann trat er zurück. Der SPIEGEL hatte aufgedeckt, dass er Sprinterinnen seines Vereins Eintracht Hamm mit Dopingmitteln versorgte…” (Hacke u. a. Der Spiegel 6.2.2012). Spilker hat es inzwischen zum Vizepräsidenten des Thüringer Landessportbundes geschafft.
Fazit: “Am Ende werden – womöglich – ein Arzt angeklagt und mehrere Sportler gesperrt. Die betrübliche Nachricht ist, dass der restliche Sportbetrieb den Eindruck erweckt, als sei es damit getan… Im Bundesinnenministerium, dem Hauptfinanzier der Olympiastützpunkte, war man schon sehr zufrieden damit, wie rasch der betreffende Vertragsarzt suspendiert wurde – weiteren Überweisungen nach Erfurt steht damit nichts mehr im Weg” (Catuogno 31.1.2012).

– Der Bundes-Sport-Innenminister spricht

Hans-Peter Friedrich gab der SZ Anfang Februar 2012 ein Interview (Catuogno, Herrmann 2.2.2012). Darin äußerte er u. a., “dass wir mit dem Leistungssport einen wichtigen Impuls nach innen geben, in den Breitensport, in die Gesellschaft hinein.”
So kann man es wörtlich auch vom DOSB hören. Wir haben auf dieser Webseite mehrfach nachgewiesen, dass die Spitzensportförderungen fast immer zu finanziellen Lasten des Breitensportes gehen.
Auf die Frage der SZ, warum die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada fast ein Jahr gebraucht hat, um die ersten beiden Fälle aus dem Erfurter UV-Blut-Fall vor das Sportschiedsgericht zu bringen, antwortete Friedrich, dass “ordnungsgemäße Verfahren eben eine gewisse Zeit” erforderten.

– SPD im Bundestag fragt nach Blutdoping

Die Nada ermittelte im Februar 2012 gegen die 30 Sportler. Die SPD-Bundestagsfraktion wollte Anfang März 2012 wissen, “ob direkt oder indirekt Steuergelder zur Unterstützung von Doping eingesetzt wurden bzw. werden”. Außerdem sollen alle Olympiastützpunkte, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkte im Hinblick auf Blutmanipulation überprüft werden (SPD-Fraktion 8.3.2012; SZ 9.3.2012. Zum UV-Blutdoping vergleiche auch den Blog-Beitrag von Jens Weinreich und in spiegelonline)

Die Aussage von DOSB-Präsident Bach von Ende Januar 2012 beim Neujahrsempfang des DOSB, dass die UV-Blutbehandlung “seit dem 1. Januar 2011 verboten sind”, ist falsch, siehe oben. Dies wurde bei der Anhörung im Sportausschuss des Deutschen Bundestages am 21.3.2012 noch einmal klar. Der Dopingexperte Fritz Sörgel erklärte, dass die UV-Bestrahlung von Eigenblut gemäß eines Urteils des Cas seit 2003 verboten ist. Da “jede medizinische Maßnahme” bei der Nada meldepflichtig ist, wird es spannend, was in den Nada-Fragebögen darüber zu finden sein wird (Kistner 22.3.2012).

Das Bundesinnenministerium erklärte dagegen noch dem Sportausschuss am 19.3.2012, dass es die Manipulationsvorwürfe in Zusammenhang mit dem OSP Erfurt weiterhin für ungeklärt hält (Herrmann 22.3.2012).

Vergleiche auch dazu die Stellungnahme Bundesministerium des Inneren bei Grit Hartmann und Jens Weinreich.
Das Bundesinnenministerium hat nachweislich die verbotene Dopingpraxis finanziell gefördert.

– Neues vom Sportausschuss des Deutschen Bundestages

Am 21.3.2012 traf sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages in wieder nichtöffentlicher Sitzung zum Thema Blutdoping in Erfurt mit den Dopingexperten Georg Engelbrecht und Fritz Sörgel. Sörgel schrieb in seiner Kurzstellungnahme vom 19.3.2012: „In dem vorliegenden Fall liegt ein klares Dopingvergehen des Sportarztes und der Sportler vor…“ (Blog Hartmann, Weinreich 19.3.2012).

Der CDU-Abgeordneten Klaus Riegert hatte augenscheinlich keinen Informationsbedarf und beschrieb die UV-Blutdopingaffäre in Erfurt als “Verkettung unglücklicher Umstände”. Er äußerte weiter: „Wir wehren uns gegen Vorverurteilungen“ (spiegelonline 21.3.2012).
Das Erfurter UV-Blutdoping wurde nur zu bewusst durchgeführt und war mitnichten eine „Verkettung unglücklicher Umstände“. Außerdem sollte dem Kriminalhauptkommissar a. D. Riegert bewusst sein, dass im Humansport Doping ein kriminelles Delikt ist.

Riegert beschimpfte Prof. Sörgel in der Sitzung als “Apotheker” und “selbsternannten Experten” (Herrmann 23.3.2012).

Fritz Sörgel ist seit 1994 Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Essen, u. a. seit 1987 Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg, seit 2002 Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift “Chemotherapy” und war Richter am Internationalen Sportgerichtshof Cas. Er äußerte, der traurigste Aspekt seiner Reise nach Berlin zum Sportausschuss sei die Erkenntnis gewesen: “Die wollen keine Meinung hören, die ihnen nicht passt” (Ebenda).
Der Molekularbiologe und Dopingexperte Prof. Perikles Simon berichtete im letzten Jahr ähnliches aus der deutschen Sportpolitik. Er war im September 2011 von einer Gruppe deutscher Sportpolitiker eingeladen worden, denen er die Notwendigkeiten für einen effektiven Anti-Doping-Kampf erläuterte: Er wurde von den Sportpolitikern ausgelacht und zog den Schluss: “Glauben Sie, da gehe ich noch einmal hin?” (Mebus 15.9.2011). Zum jetzigen Eklat im Sportausschuss äußerte Simon: “Man hat das Gefühl, dass alle Experten, die nicht ins Weltbild passen, verunglimpft werden” (Herrmann 23.3.2012).
Es ist also kein Einzelfall, dass die MdB Klaus Riegert (CDU), Frank Steffel (CDU) und Eberhard Gienger (CDU) in der Sitzung am 21.3.2012 die Experten beleidigt und die Rolle der Sport-Prolos gegeben haben: Das ist DOSB-Kalkül. Der Vorgang in Erfurt hat juristische Konsequenzen, die den DOSB teuer zu stehen kommen könnten. Denn Blutdoping ist, siehe oben, seit 2003 verboten. Das Bundesinnenministerium hat genau dieses UV-Blutdoping mit Bundesmitteln an den DOSB bzw. den Olympiastützpunkt Erfurt unterstützt.
Das ist vermutlich die Strategie und Regie des DOSB: Im Sportausschuss werden die Experten dumm angemacht, um das heikle Thema vom Tisch zu bekommen. Wie erwähnt nannte Riegert das verharmlosend eine “Verkettung unglücklicher Umstände”.
Die Nada will die betreffenden 30 Sportler zur Rechenschaft ziehen; allerdings würde sich durch die dadurch entstehenden Kosten das Defizit der Nada auf 2,6 Millionen Euro verdoppeln (SZ 24.3.2012).

Wer das Sportausschuss-Protokoll vom November 2011 liest (Dank an Jens Weinreich!), der erschrickt doch über die hemdsärmliche Vorherrschaft des DOSB im Sportausschuss: Dessen Präsident Bach ließ es sich nicht nehmen, höchstpersönlich dort das Sportabzeichen an die teilnehmenden Ausschussmitglieder zu verteilen. Auch hier sind die Ausführungen des Abgeordneten Klaus Riegert (CDU/CSU) zur nichtöffentlichen Tagung des Ausschusses bemerkenswert, ebenso die Monologe von Bach vor dem Ausschuss zur gescheiterten Bewerbung München 2018: sie sei ein Opfer der eigenen Stärke geworden… “Alle seien genauso überrascht wie er auch”… Überhöhung der Grundstücksfragen in Garmisch-Partenkirchen… Die Mischfinanzierung sei zu 80 Prozent aus Mitteln der Wirtschaft gekommen… Die Bewerbung sei sehr sparsam finanziert gewesen (offiziell 33 Millionen Euro!) …, Bewerbung habe “trotz ihrer Erfolglosigkeit viel Gutes bewirkt”.
Mit der CDU/CSU/FDP-Mehrheit endgültig zum Handlanger des DOSB mutiert. Man könnte auch sagen: zum  Spott-Ausschuss.

Vergleiche auch unter „Aktuelles“: Erfurter Blutdoping und Gleiss Lutz

Quellen:
Burkert, Andreas
– “Diese Methode war schon immer verboten”, in SZ 9.2.2012
– Auch Pechstein Kunde in Erfurt? in SZ 30.1.2012
– Plötzlich ist Schweigen, in SZ 31.1.2012
Catuogno, Claudio, Scharlatane im System, in SZ 31.1.2012
Catuogno, Claudio, Herrmann, Boris, “Wir werden Tacheles reden”, in SZ 2.2.2012
Eggers, Erik, Experten streiten über Blutdoping, in ftd 31.1.2012
Fall Erfurt: Sportausschuss kommt nicht weiter, in focus.de 21.3.2012
Hacke, Detlef, Ludwig, Udo, Bestrahltes Blut, in Der Spiegel 6/6.2.2012
Hartmann, Grit, Doping aus Steuermitteln finanziert, in Frankfurter Rundschau 3.2.2012
Hartmann, Grit, Weinreich, Jens BLOG
Herrmann, Boris
– Steuergeld für Doper, in SZ 22.3.2012
– Boris, Unliebsame Wahrheiten, in SZ 23.3.2012
Kistner, Thomas, Deutsche Nadel-Mentalität, in SZ 22.3.2012
Mebus, Jörg (sid), Doping-Jäger plagen Zweifel, in n-tv 15.9.2011
Nada rudert zurück, in SZ 24.3.2012
Probleme mit dem Kleingedruckten, in SZ 1.2.2012
SPD-Fraktion fordert Aufklärung zu “Vorgängen am Olympiastützpunkt Thüringen”, bundestag.de 8.3.2012
SPD fordert Aufklärung, in SZ 9.3.2012
Turbulente Tagung des Sportausschusses, in spiegelonline 21.3.2012
“Verbotene Lichttherapie”, in “sport inside”, wdr.de 30.1.2012
“War uns bekannt”, in SZ 8.2.2012
Weinreich, Jens
– Blutbestrahlung im Olympiastützpunkt, in spiegelonline 19.3.2012
– Blog: 2012/03/18/steuermittel-fur-eigenblutdoping, 18.3.2012
Weinreich, Jens, Hartmann, Grit, Blog: pflichtlekture-zum-sportausschuss-das-bmi-zur-causa-erfurt, 19.3.2012

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