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Dez 232010
 
Zuletzt geändert am 27.12.2010 @ 8:42

Bauern und Grundbesitzer fordern Rückzug der Bewerbung München 2018

Dr. Wolfgang Zängl 23.12.2010
Die Grundeigentümer in Garmisch-Partenkirchen waren für die Bewerbungsgesellschaft und die Staatsregierung lange nicht existent. Im August 2010 hatte Ignaz Streitel im Fernsehen gefordert, dass endlich mit ihnen gesprochen würde. Am 6.10.2010, dem Tag, an dem der Gemeinderat dem Eckdatenpapier zustimmten sollte, schrieben die Grundeigentümer an ihn einen Brief und wiesen vor der Abstimmung erneut daraufhin, dass ihre Grundstücke nicht zur Verfügung stünden. Der Brief blieb folgenlos, und der Gemeinderat stimmte zu und verfügte damit über fremdes Eigentum.
Rechtsanwalt Ludwig Seitz war vorher in Verbindung mit den Grundstückseigentümern getreten. „59 willigten ein, sich von ihm vertreten zu lassen. Erst jetzt wurde aus den Einzelkämpfern eine Gruppe, und bis zum Ultimatum sollten Monate vergehen, in denen man in der Staatskanzlei vor allem eines tat: sich taub stellen. Als erstes forderte Anwalt Seitz von der Staatskanzlei die Pläne für Olympia an. Keine Antwort. Seitz verfasste wieder ein Schreiben. Wieder keine Antwort. Anfang November erhielt er ein Fax, kaum lesbar, es waren die Pläne. Seitz schrieb erneut. Schließlich kamen die Pläne, per Post. Erst jetzt erfuhren die Bauern, wo was gebaut werden sollte“ (Frenzel, Veronica, Die Olympia-Gegenspieler, in Tagesspiegel 21.12.2010).
Wieder einmal ein Beweis für die Intransparenz von München 2018!

Von Minister Schneider und der Bewerbungsgesellschaft wurde immer wieder fälschlicherweise der Eindruck erweckt, die für die Bewerbung nötigen Grundstücke stünden zur Verfügung. Ungeachtet der eindeutigen Eigentumsverhältnisse wurde ungeniert am 6.10.2010 im Münchner Stadtrat, im Garmisch-Partenkirchner Gemeinderat und in Berchtesgaden für München 2018 abgestimmt, und noch am 14.12.2010 hatte man das Olympiagesetz im Bayerischen Landtag durchgewunken.

Das war also die Strategie von Staatsregierung und DOSB: Grundeigentümer ignorieren, Rechtsanwaltsschreiben nicht beantworten, Probleme aussitzen, Fakten schaffen, Rechtsgrundlagen beschließen.

Am 13.12.2010 schrieb Anwalt Seitz dem Staatskanzlei-Minister Siegfried Schneider einen Brief, in dem er diesem mitteilte, dass er 59 Garmisch-Partenkirchner Grundeigentümer vertrete. Deren Grundstücke sind für die Sportstätten „Kandahar“, „Hausberg“ und „Ski-Stadion Gudiberg“ unverzichtbar: Schneider selbst hatte dieses Wort bei einer Versammlung am 26.11.2010 vor den Mandanten verwendet und den Abschluss der Gestattungsverträge als zwingend erforderlich bezeichnet. Der Staatskanzlei-Chef hätte außerdem mit Nachdruck betont, dass eine Enteignung zu Gunsten „eines höchst temporären Ereignisses“ wie Olympische Winterspiele oder eine Ski-WM definitiv auszuschließen seien, da die Enteignung .für ein solch höchst temporäres Ereignis in unserem Rechtsstaat undenkbar sei. Schneider hatte bei dieser Versammlung auch darauf hingewiesen, dass die Stellung des Bayerischen Ministerpräsidenten – gerade mit Blick auf sein bundespolitisches Gewicht – durch einen Rückzug der Bewerbung empfindlich geschwächt werde.

Seitz verwies auf weitere fehlende Grundstücke an den Sportstätten, für die es keine Vertragsentwürfe gebe. „Die im Gasthof Zum Lamm versammelten Grundeigentümer hatten Ihnen auf Nachfrage einstimmig erklärt, dass deren Grundbesitz für die Bewerbung um die Olympischen Winterspiele definitiv nicht zur Verfügung steht. Dies gilt insbesondere und gerade auch für die sämtlichen Flächen, unserer Mandantschaften, die im Kernbereich der drei Sportstätten liegen und die conditio sine qua non für die Olympia-Bewerbung darstellen.

Namens und im Auftrag der sämtlich von uns vertretenen Grundeigentümer bitten wir, uns umgehend zu bestätigen, dass – gemäß Ihrer Ankündigung – die Bewerbung offiziell zurückgezogen wird. Sollte uns diese Bestätigung nicht bis Mittwoch, 22. Dezember 2010 vorliegen, so erlauben wir uns, das Internationale Olympische Komitee direkt zu verständigen.“

gez. Ludwig O. Seitz

Seitz übermittelte dieses Schreiben auch an die Bewerbungsgesellschaft München 2018 und dem Markt Garmisch-Partenkirchen. Er betonte die Notwendigkeit dieses Briefes für seine Mandanten: „Ansonsten hätte ihnen der Vorwurf gemacht werden können, sehenden Auges die Abgabe der Bewerbungsunterlagen hingenommen zu haben.“

Die bisherigen „Erfolgsmeldungen” von Minister Schneider entsprachen also nicht den Tatsachen, und die Grundstücke standen nie zur Verfügung. Minister Schneider hatte mit einer „Initiativgruppe“ in Garmisch-Partenkirchen über die Grundstücke verhandelt, die der falsche Ansprechpartner war. Denn diese Initiativgruppe hatte für die meisten Grundstücke kein Mandat.

Trotz mehrfacher Klarstellungen und eines Briefes, der im Namen von 167 Grundeigentümern am Tag der Entscheidung über das „Bid-Book“ an den Gemeinderat gerichtet wurde, wurde von Minister Schneider und der Bewerbungsgesellschaft immer wieder fälschlicherweise der Eindruck erweckt, die für die Bewerbung nötigen Grundstücke stünden zur Verfügung. In den vergangenen Monaten waren wiederholte Aufforderung, den Grundeigentümer endlich die genauen Pläne vorzulegen, unbeantwortet geblieben.
Eine Umplanung ist kaum möglich, da auch bei einer Planungsänderung ebenfalls nicht zur Verfügung stehende Grundstücke betroffen wären. Bei einer bereits angesprochenen Verlegung der Kandaharabfahrt ist aber wegen weiterer massiver Eingriffe in den Bergwald mit schärfstem Widerstand der Umweltverbände zu rechnen.

Der Vorsitzende der BN-Kreisgruppe Garmisch-Partenkirchen, Axel Doering, rechnete nicht mit einem „Plan B“, denn die dann benötigten Grundstücke „gehören dann wahrscheinlich auch Leuten aus dem Kreis der 59.“ Doering urteilte über die Bewerbung: „Es war eine Katastrophenplanung von Anfang an. Die haben die Einwände nicht ernst genommen. Ich habe schon im Herbst, als die Jubelmeldung kam, Olympia sei gerettet und die Grundstücksfrage so gut wie geklärt, gesagt: ‚Es hat sich doch gar nichts geändert’. Und jetzt holt das die Bewerbung eben ein.“ Doering sagte noch voraus: „Diese Bewerbung wird bald enden. Und dann kommt der Untersuchungsausschuss“ (Hettfleisch 15.12.2010). Wohl auch deshalb kam Wolfgang Hettfleisch zu dem Schluss: „Denn sportliche Großereignisse werden nicht nur bei Wladimir Putin von oben verordnet“ (Hettfleisch, Wolfgang, Garmisch 21, in fr-online 15.12.2010)

Die Forderung von Nolympia, die Pannenbewerbung München 2018 endlich einzustellen, erhält durch das Ultimatum der Grundbesitzer weiteren Rückhalt.

MdL Ludwig Hartmann kritisierte den Leiter der Staatskanzlei: „Schneider hat die Lage schöngeredet, um in den Gremien die Beschlüsse herbeizuführen“ (Hutter, D., Effern, H., Sebald, C., Szymanski, M., Bauern setzen Regierung Ultimatum, in SZ 14.12.2010).

Die Landtagsgrünen warnten die Staatsregierung davor, sich über den Willen der Bevölkerung hinwegzusetzen: „Wir hoffen nicht, dass Staatskanzleichef Schneider zu ‚entsprechenden Ersatzlösungen’ auch Enteignungen zählt“ (Olympia: Wo bleibt die Transparenz, Pressemitteilung Fraktion Bündsnis 90/Die Grünen, 14.12.2010).  Schneider hatte dies vor Journalisten explizit ausgeschlossen.

Bereits am 8.12.2010 hatte merkur-online gemeldet, dass die „förmliche Enteignung“ des Grundbesitzers an der Kandahar für die Ski-WM im Februar 2011 in der Sitzung des Marktgemeinderates am 14.12.2010 beschlossen werden soll (Grundstücksstreit vor der Ski-WM: Lösung noch vor Weihnachten? in merkur-online 8.12.2010). Die Rede war auch von „temporärer Enteignung“ (Drohung lässt Bewerberteam kalt, in br-online 14.12.2010). In einem späteren Bericht im Merkur stand, dass der Garmisch-Partenkirchner Bürgermeister Schmid (ohne den Marktgemeinderat darüber abstimmen zu lassen!) ein Enteignungsverfahren gegen den Eigentümer eines 5000 Quadratmeter großen Grundstücks im Zielbereich der Kandahar-Abfahrt eingeleitet hat: „Und zwar nicht nur, wie offiziell behauptet wird, für die Zeit rund um die Ski-WM im Februar 2011, sondern auch für ‚ähnliche Veranstaltungen’ – und zwar in den nächsten 30 Jahren!“ (de Ponte, Wolfgang, Olympia: Der Brandbrief ans IOC, in merkur-online 22.12.2010).

Anwalt Seitz sieht im Fall eines Zuschlags an München 2018 das Ende der Kompromisse, denn dann würde das „komplette Planungsinstrumentarium greifen“ – einschließlich Enteignungen (Etscheid, Georg, Spiele auf fremden Grund, in zeit.de 17.12.2010). Obwohl Enteignungen rechtlich möglich seien, schrieb Alexander Müller, sähen sie „zu sehr nach chinesischen Methoden auf deutschem Boden aus“ (Müller, Alexander, Rebellische Bayern, in Mannheimer Morgen 15.12.2010).

München-2018-Fans wiegeln ab

– Ministerpräsident Horst Seehofer ließ verlauten: „Die Bewerbung ist nicht gefährdet.“ Und: „Von einem Rechtsanwalt lassen wir uns kein Ultimatum stellen“ (Seehofer greift Bauern-Anwalt an, in SZ 15.12.2010).

– Staatskanzlei-Minister Siegfried Schneider sagte: „Lediglich eine Handvoll Grundstücke sind relevant für die geltende Planung“. Schneider selbst hatte allerdings am 26.11.2010 bei einem Treffen im Garmisch-Partenkirchner Gasthof Lamm vor 50 Zeugen geäußert, „die besagten Areale seien unverzichtbar, sonst müsste die Bewerbung zurückgezogen werden“ (Hutter, D., Effern, H., Sebald, C., Szymanski, M., Bauern setzen Regierung Ultimatum, in SZ 14.12.2010). Bei diesem Treffen wies Schneider auch darauf hin, dass ein Rückzug aus der Bewerbung besonders Ministerpräsident Seehofer treffen würde, der dadurch an bundespolitischem Gewicht verlöre (Kippt dieser Brief Olympia? in tz-online 14.12.2010). Die SZ zitierte auch aus dem Umfeld der Staatsregierung: „Es wird immer schwieriger zu sagen, jetzt geht es auch ohne dein Land. Man hat noch nicht alle Flächen definitiv zusammen“ (Münchens Olympia-Bewerbung in Gefahr, in SZ 14.12.2010; Müller, Thomas, Garmischer Bauern bleiben hart: Kippt jetzt Olympia 2018? in abendzeitung.de 14.12.2010).

– Bewerbungschef Bernhard Schwank sah in allem kein Problem: „Für alle Eventualitäten liegen Alternativen vor“ (general-anzeiger-bonn.de 14.12.2010)

– Kati Witt beurteilte die Situation so: Es ist natürlich bedauerlich, dass wir noch nicht alle hundertprozentig von der Bewerbung überzeugen konnten“ (Olympia 2018 in München: Probleme? Gibt’s keine, in Abendzeitung 15.12.2010).

DOSB-Generaldirektor Michael Vesper wusste sofort Bescheid: „Die Sportstätten sind von den Weigerungen einiger Grundbesitzer fast gar nicht betroffen“ (Drohung lässt Bewerberteam kalt, in br-online 14.12.2010). Im Spiegel-Interview äußerte er dann: „Die Bayerische Staatsregierung führt freundliche Gespräche… Der Tourismus dort (in Garmisch-Partenkirchen; W.Z.) würde einen gewaltigen Schub bekommen… Heute werden Pisten überall beschneit. Das ist Standard, auch im Freizeit-Sport. Der Vorteil von Garmisch-Partenkirchen ist, dass die Anlagen dort schon fast alle stehen und sowieso benutzt werden… Ich bin optimistisch, dass auch bei uns der olympische Geist siegt“ („Der Olympische Geist siegt“, in Der Spiegel 20.12.2010).
Mit diesen alten, inzwischen vielfach als falsch widerlegten „Argumenten“ wird der olympische Geist mitnichten siegen.

– Die sportpolitische Sprecherin der FDP, Julika Sandt, sah in der „Verunsicherung“ der Bauern „auch ein Ergebnis der polemischen Desinformationspolitik der Landtags-Grünen. Hier wird mit den Sorgen und Ängsten der Menschen auf unverantwortliche Weise gespielt“ (Auer, Katja, Plan B in der Hinterhand? In SZ 15.12.2010).
a) Frau Sandt hat nichts von den Nöten der Bauern im Werdenfelser Land verstanden. b) Die Abteilung Desinformation ist bei der Bewerbungsgesellschaft München 2018 angesiedelt. c) Die Sorgen und Ängste der Menschen werden erst durch eben jene Bewerbungsgesellschaft hervorgerufen.

– Die Gemeinderätin des Christlich-Sozialen Bündnisses (CSB), Alexandra Roos-Teitscheid befleißigte sich einer klar olympisch-ideologischen Sichtweise: „Man muss doch zwischen dem Wohl von 60 Leuten und den Wohl des ganzen Ortes abwägen“ (Brinkmann, Tanja, Ein „klares Signal“ der Grundbesitzer, in Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 15.12.2010).
Das ist leider eine absichtlich grundfalsche Sichtweise. Hier werden 60 Grundeigentümer als egoistische Minderheit dargestellt, die dem angeblichen Wohl der restlichen 26.000 Garmisch-Partenkirchner im Wege stehen. Die Grundeigentümer werden mehr Solidarität von ihren Mitbewohnern erfahren, als sich die CSB-Gemeinderätin vorstellen kann. Aber vielleicht will die CSB auch nur vom Vorgehen ihres Bürgermeisters ablenken, der durch Nichtinformation und Arroganz mitverantwortlich an dem Desaster ist.

Der Bach des Jahres

Bei der Ehrung der „Sportler des Jahres“ am 19.12.2010 durften Maria Riesch und Rosi Mittermaier lauthals für die Olympischen Winterspiele 2018 in München werben. DOSB-Präsident Thomas Bach nutzte den Auftritt im ZDF und sagte vor einem Millionenpublikum in Richtung der Grundeigentümer in Garmisch-Partenkirchen: „Hier muss die Mehrheit der Deutschen hinter diesen Spielen stehen. Unsere Chancen sind wirklich gut. Das lassen wir uns nicht von einzelnen kaputt machen“ (Hahn, Jörg, Verwirrende Signale, in faz.net 20.12.2010; Jörg Hahn bemerkte dazu: „Und das ZDF übertrug die forschen Worte in die Wohnzimmer.“)
Das ist die Bachsche Sport-Demokratie: immer fiktive Mehrheiten vortäuschen und Rechtsgrundlagen ignorieren, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

Juristische Realitäten

Zu den Grundstücken seiner Mandanten stellte Rechtsanwalt Ludwig Seitz fest: „Sämtliche Grundstücke liegen innerhalb des Sicherheitszauns, den das IOC rund um die Olympiaanlagen verlangt“ (SZ 14.12.2010).
Dieser Sicherheitszaun ist nach IOC-Vorschrift vier Meter hoch!

Seitz weiter: „Nach dem Stand der Dinge wird Olympia hier nicht stattfinden.“ Initiatoren seien „praktizierende Landwirte, die hier Milchwirtschaft betreiben… Es geht ihnen nicht um Geld“ (Issig, Peter, Landwirte wollen Olympia in Garmisch verhindern, in welt.de 14.12.2010).

Die Grundeigentümer waren für die Bewerbungsgesellschaft und die Staatsregierung lange nicht existent. Im August 2010 hatte Ignaz Streitel im Fernsehen gefordert, dass endlich mit ihnen gesprochen würde. Dann kam Rechtsanwalt Seitz dazu.

„59 willigten ein, sich von ihm vertreten zu lassen. Erst jetzt wurde aus den Einzelkämpfern eine Gruppe, und bis zum Ultimatum sollten Monate vergehen, in denen man in der Staatskanzlei vor allem eines tat: sich taub stellen. Als erstes forderte Anwalt Seitz von der Staatskanzlei die Pläne für Olympia an. Keine Antwort. Seitz verfasste wieder ein Schreiben. Wieder keine Antwort. Anfang November erhielt er ein Fax, kaum lesbar, es waren die Pläne. Seitz schrieb erneut. Schließlich kamen die Pläne, per Post. Erst jetzt erfuhren die Bauern, wo was gebaut werden sollte“ (Frenzel, Veronica, Die Olympia-Gegenspieler, in Tagesspiegel 21.12.2010).
Wieder einmal ein Beweis für die Intransparenz von München 2018!

Seitz betonte die Notwendigkeit dieses Briefes für seine Mandanten: „Ansonsten hätte ihnen der Vorwurf gemacht werden können, sehenden Auges die Abgabe der Bewerbungsunterlagen hingenommen zu haben.“ Seitz berichtete auch von einem Vertreter eines Stuttgarter Planungsbüros, der vom nötigen Ausbau von Straßen sprach und dass „zum Beispiel auch der sehr wichtige Grüngürtel durchschnitten werden muss. Das sei alles Bestandteil des Bid Books. Auch hier wird die Öffentlichkeit hinters Licht geführt. Die Beschwichtigungsformeln gehen völlig an den Fakten vorbei“ („Die Wahrheit ist auf unserer Seite“, Interview mit Ludwig Seitz in taz.de 18.12.2010).

Seitz teilte auch mit, dass die ihm übermittelten Vertragsentwürfe „nicht einmal vollständig waren“, dass die Bewerbungsgesellschaft „Probleme verschleiere“, um das Bid Book mit der verbindlichen Planung Anfang Januar 2011 an das IOC zu übermitteln „nach dem Motto Augen zu und durch“ (Riedel, Katja, Von wegen Kompromiss, in SZ 15.12.2010). „Es handelte sich um schlampige Pauschalverträge, in denen schon mal Grundstücke und Personen verwechselt wurden. Die Papiere tragen den Vermerk „Bitte bis zum 26. November Verträge abschließen“ (Kemnitzer, Sebastian, Garmischer Schmarrn, in taz.de 21.12.2010).

Staatskanzleichef Schneider schrieb danach wieder einmal einen Brief – diesmal richtigerweise an den Anwalt Seitz zum Weiterreichen an fünf seiner Mandanten, die Flächen im Bereich der geplanten Sportarenen haben. Für die temporäre Nutzung von Oktober 2017 bis Ende April 2018 bot Schneider 1,50 Euro pro Jahr und Quadratmeter: „Das ist ein faires Angebot“ (Deutschländer, Christian, Schwer, Alexander, Neue Runde im Poker um die Pisten, in merkur-online 17.12.2010).
Nach den Spielen würde der Grund und Boden nicht wiederzuerkennen sein – trotz gegebener Garantien.

Rechtsanwalt Seitz teilte mit, dass er am 22.12.2010 bis 24 Uhr abwarten würde: „Aber danach geht unser Schreiben raus – und zwar gleich dreifach: per Einschreiben mit Rückschein, als E-Mail und per Fax“ (de Ponte, Wolfgang, Olympia: Der Brandbrief ans IOC, in merkur-online 22.12.2010).

Bauern-Land

Die Münchner tz hat die Grundstücke der Gegner aufgelistet: Am Gudiberg haben am Skistadion mindestens zwei Olympiagegner Grundstücke, an der Halfpipe am Hausberg vier Grundeigentümer und an der Kandahar-Strecke ebenfalls vier (Bauer gegen Olympia: Warum ich mein Land nicht hergebe, in tz-online 15.12.2010).

An der „Alpinarena Kandahar“ soll ein Skistadion für Slalom und Buckelpiste für 18.000 Zuschauer entstehen, an der Großen Schanze und (neu zu errichtender) Kleinen Schanze Areale für das Freestyle-Springen Plätze für 14.000 Zuschauer, am Hausberg für Snowboardcross, Parallelriesenslalom und Skicross auf der Hornabfahrt Plätze für 14.000 Zuschauer und der Halfpipe für 10.000 Zuschauer (Mein Hund, mein Grund, in ftd.de 16.12.2010).

Ignaz Streitel, langjähriges CSU-Gemeinderatsmitglied und Ex-Chef der Weidegenossenschaft, musste feststellen: „Es wurden schon zu viele Fehler gemacht. Die grüne Lunge ist längst weg“ (Vitzthum, Thomas, Scheune statt Spiele, in Welt am Sonntag 19.12.2010). Zur Haltung der Bauern sagte er: „Es geht um unsere Heimat und um sonst gar nix. Aus.“

Theo Geyer soll seinen Grund und Boden hergeben für die Halfpipe, für Parkplätze, für ein VIP-Zelt und für Tribünen am Ziel der Kandahar-Abfahrt. Die Familie fürchtet um ihren Hof, da es bereits Hangrutschungen gegeben hat. „Schon einmal ist Geyers Familie mit Olympia konfrontiert gewesen. Für die Spiele 1940, die nie ausgetragen wurden, wurde die Mutter enteignet. Zurückbekommen haben sie ihr Land nicht“ (Riedel, Katja, Von wegen Kompromiss, in SZ 15.12.2010).

„Anton Hornsteiner hat in seinem Stall 13 Milchkühe. Darunter zwei seltene, dunkelrotbraune, schlanke, edle Tiere. ‚Die sterb’n leider aus wie mia’, sagt der Bauer und streichelt die kleinere der beiden Murnau-Werdenfelser über den Kopf. ‚Sie sind halt nicht so groß, nicht so guad wie die anderen’“ (Vitzthum 19.12.2010).

Was kümmert Sportfunktionäre und Politiker das Leben dieser Bauern?

Aufruf zur Enteignung in der SZ

Eine befremdliche und einseitige Sichtweise entwickelte Annette Ramelsberger in einem Kommentar in der SZ: Die Wünsche der Mehrheit „verschwinden hinter dem lauten Protest der wenigen. Immerhin sprechen sich 64 Prozent der Garmisch-Partenkirchner für die Bewerbung aus…“ Mit dem Ultimatum „haben sie einen kritischen Punkt überschritten. Sie haben sich nicht nur im Ton vergriffen. Mit der Drohung, sich selbst an das IOC zu wenden, fordern sie die Regierung geradezu heraus: Die kann nun nicht mehr auf Einfühlungsvermögen und Entgegenkommen setzen, sie muss jetzt zeigen, dass sie das Gemeinwohl über das Eigentum der Grundbesitzer stellt“ (Ramelsberger, Annette, 59 Bauern gegen den Rest der Welt, in SZ 14.12.2010).

Da dies ein direkter Aufruf zur Enteignung der bäuerlichen Gründstücke in Garmisch-Partenkirchen ist, möchte ich näher darauf eingehen:
1) Zum einen ist das mit Mehrheiten so eine Sache. Beim Online-Voting der Münchner Abendzeitung lagen bis 21.12.2010 die Gegner bei über 75 Prozent, die Befürworter nur bei 20 Prozent. Frühere Online-Voten des BR und der Augsburger Allgemeinen brachten ebenfalls klare Mehrheiten für die Gegner. Und die bekannten Tricksereien der Bewerbungsgesellschaft, nämlich eine hohe Zustimmung zu erhalten, indem man 78 Prozent Sportbegeisterte befragt, lässt doch die angegebenen 64 Prozent Befürworter in Garmisch-Partenkirchen stark bezweifeln.
Vergleiche: http://www.nolympia.de/2010/09/vorsicht-mit-statistiken-die-man-nicht-selbst-gefalscht-hat/
2) Die wirkliche Minderheit ist das IOC: Es hat allerdings Politik, Kapital und Teile des Sports mit unerfindlichen und nicht immer sauberen Mitteln hinter sich geschart. Das sind Mächte, aber keine Mehrheiten. Vor allem, da die Mehrheit der Bevölkerung, nämlich die Steuerzahler, die Zeche für die paar Wochen olympische Party zu bezahlen hätten: Verschuldung auf viele Jahre.
3) Und für diese paar Wochen olympischen Hype sollen die Bauern ihre jahrhundertealten Stadel abreißen, ihre Wiesen von schweren Fahrzeugen komprimieren und versauern und das Landschaftsbild ruinieren lassen und ihre bäuerliche Berufsausübung zwischenzeitlich einstellen oder zumindest reduzieren, dazu – wie die gesamte Garmisch-Partenkirchner Bevölkerung – jahrelang Staub und Dreck, Lärm und Baustellen ertragen? Sollen sich die Bauern quasi freiwillig enteignen und das alles gefallen lassen, ohne gesetzliche Mittel einzulegen, nachdem sie kein Gehör gefunden haben? Das kann doch kein vernünftig denkender Mensch verlangen!
4) Außerdem ist für die Frage der Tonstärke allein die Staatsregierung bzw. der Staatskanzleiminister zuständig: Im August 2010 hat Rechtsanwalt Seitz den ersten Brief geschrieben: Er blieb bis heute unbeantwortet. Die Staatsregierung ging überhaupt nicht auf die Realität ein und tat so, als ob fremdes Eigentum, nämlich das der Bauern, beliebig verfügbare Manövriermasse sei, die einfach an die Bewerbungsgesellschaft München 2018 verschoben werden könnte.
Legal sieht anders aus! Und mit Gemeinwohl hat das rein gar nichts zu tun!

Ähnlich arrogant äußerte sich der Chefredakteur der Münchner Abendzeitung, Arno Makowsky: „Bei aller Liebe zur bayerischen Folklore – so langsam reicht es jetzt mit dem Provinz-Aufstand der Garmischer Grundstücksbesitzer gegen die Olympischen Spiele. Was die Bauern und Grundeigner aufführen, mag mancher für sympathische Aufmüpfigkeit halten – in Wahrheit ist das Sturheit und Egoismus… Aber hier stehen Einzelinteressen gegen die Mehrheit. Es wäre demokratisch, sich zu beugen“ (Makowsky, Arno, Auf dem Ego-Trip, in Abendzeitung 15.12.2010).

Ist es „Sturheit und Egoismus“, wenn man seinen Beruf weiter ausüben, seine Landwirtschaft weiter betreiben und die schon stark verkleinerte historische Kulturlandschaft erhalten will? Der Herr Chefredakteur selbst hat nichts verstanden von Demokratie – und von dem undemokratischen Vorgehen von IOC und DOSB!

Als Schreiber dieser Chronik möchte ich an dieser Stelle den Garmisch-Partenkirchner Bauern und Grundeigentümern für ihre Solidarität und ihren Mut, für die Bewahrung der Heimat und das Eintreten für ihre demokratischen Rechte danken.

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