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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Jun 132013
 
Zuletzt geändert am 11.07.2013 @ 10:17

13.6.2013, aktualisiert 27.6.2013

„Der deutsche Sport hat sich über die Jahre seine eigene Welt zurechtgezimmert; und er hat dabei einen Transparenz-Begriff nach Art des Hauses kreiert“ (Aumüller, Johannes, Tranparenz nach Art des Hauses, in SZ 10.6.2013).

In Wirklichkeit ist Intransparenz das Markenzeichen des Bach-Vesper-DOSB. Nun ist Thomas Bach seit Mai 2013 Kandidat für das Amt des IOC-Präsidenten. Da stellt sich die Frage: Was hat er als DOSB-Präsident seit 2006 in die Wege geleitet? Was sind seine Ziele? Was will er wirklich?
Für diese Fragen ist eine ausführliche Analyse des damaligen Sportchefs des Deutschlandfunks, Herbert Fischer-Solms, hilfreich, die im Mai 2012 bei der Bundeszentrale für Politische Bildung unter dem Titel „Sportnation Bundesrepublik Deutschland? Manfred Ewald lässt grüßen“ erschienen ist.
(Die Zitate von Fischer-Solms sind aus diesem Artikel, siehe hier; Hervorhebungen WZ. Manfred Ewald war der wichtigste Sportfunktionär der ehemaligen DDR.)

1) „Freiheit“ – für Doper?
Bach: „Das Thema der Freiheit … kann in Zeiten fortschreitender Globalisierung Orientierung auch für den Sport geben.“
Fischer Solms stellt sich die Frage, was Bach damit meinen könnte: „Etwa die Freiheit, die sich der organisierte Sport genommen hat, ehemalige Minderjährigen-Doper aus DDR-Zeiten zu entschulden und sie wieder als festangestellte Trainer auf die Athleten loszulassen, ohne dass sie sich für ihre früheren Vergehen bei den heute schwer Geschädigten entschuldigen oder zumindest ihr damals angewendetes Arsenal von Wirkstoffen und Stimulanzien konkret offenlegen mussten? Oder ist die Freiheit gemeint, die angesichts eines in der Bundesrepublik Deutschland fehlenden Anti-Doping-Gesetzes die Athleten genießen, die – es sei denn, sie werden im Besitz „nicht geringer Mengen bestimmter zum Doping geeigneter Arzneimittel“ erwischt – bei Doping-Missbrauch und Doping-Konsum strafrechtlich nicht zu belangen sind?“
Vergleiche hierzu: Die Reihen fast geschlossen, Der DOSB-Dopingexperte

2) Nationale Tendenzen
Bach zu den Olympischen Sommerspielen London 2012: „Der zu erwartende härteste Konkurrenzkampf der olympischen Geschichte…
Fischer-Solms: „So soll es also in London sein, und wir mittendrin? Die Deutschen als Turm in der olympischen Schlacht? Das klingt nicht gut und kann böse Erinnerungen wecken… Die deutschen Sportführer haben den Weckruf ausgegeben… Dabei ist es schwer nachvollziehbar, warum ausgerechnet der Sport in jener Nation, deren Blessuren eines politisch total überhöhten Spitzensports heute noch immer nicht ganz vernarbt sind, den Kampf um olympisches Gold schon wieder auf die Spitze treibt.“

Bach: „Der Kampf um die Medaillen wird härter, dieser Kampf ist mit nichts vorher vergleichbar.“
Fischer-Solms dazu: „Seine Parolen sind im Lauf seiner Amtsjahre an der Spitze der deutschen Sport-Dachorganisation immer martialischer geworden, auch nationaler.“
Und weiter: „Bezeichnend dafür der Auftritt des Generaldirektors des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, im Deutschen Bundestag im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver. Vor den Abgeordneten des Sportausschusses des Deutschen Bundestages erklärte er, die Sportlerinnen und Sportler der deutschen Olympiamannschaft seien bereit, für das große Ziel zu kämpfen, in der Nationenwertung an Russland vorbeiziehen und damit im ewigen Medaillenspiegel der Winterspiele die Führung zu übernehmen. Was am Ende dann auch gelang. Nun also steht es in der olympischen Winterstatistik Deutschland gegen Russland nach Goldmedaillen 128:123. ‚Vertreter aller Fraktionen beglückwünschten die Athleten zu den gezeigten Leistungen’, verzeichnet das Protokoll des Bundestags-Sportausschusses.
Die Olympia-Bilanz in den Medien hingegen fiel weniger unkritisch aus. Die ‚Frankfurter Allgemeine’ konstatierte: ‚Mit den 128 Medaillen, die er als Leistungsbilanz Deutschlands anführt, stellt sich der einstige Grünen-Minister Vesper wie selbstverständlich in die Tradition von DDR und Hitler-Deutschland’. Das war ein völlig berechtigter Hinweis, denn die DDR hatte 39 Olympiasiege beigesteuert, und bei den Nazi-Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen hatte es zweimal Gold gegeben.“
Die Reaktion des Bach-Vesper-DOSB: Ein Leserbrief im Namen des gesamten DOSB-Präsidiums mit, so Fischer-Solms, „unsachlichen Gegenangriffen und persönlichen Unterstellungen… Und schließlich stand da dann noch ein Satz drin, so kolossal wie die chinesische Mauer: ‚Der olympische Gedanke ist die Seele des Sports’ – gerade so, als kämen die Jubelmeldungen, der deutsche Sport habe die Führung in der ewigen Wintersport-Medaillenwertung übernommen, von den inkriminierten Journalisten und nicht aus der Machtzentrale des Sportbunds“.

Fischer-Solms zur „Sportpolitischen Großmannssucht“: „Beobachter des organisierten deutschen Sports registrieren, dass spätestens mit der Zäsur im Jahre 2006, als Deutscher Sportbund (DSB) und Nationales Olympisches Komitee (NOK) zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) fusionierten, die deutsche Sportführung einen Weg übersteigerter nationaler Stärke eingeschlagen hat. Eine Zustandsbeschreibung lautet: ‚schlecht verhüllte sportpolitische Großmannssucht’. Der Ungeist des DDR-Sports scheint wiederauferstanden.“

3) Deckel auf den Bericht „Doping in Deutschland“
Fischer-Solms zum Forschungsauftrag „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“: „Als die Wissenschaftler im Herbst 2011 reichlich Belege für ein „systemisches Doping in Westdeutschland“ vorlegten, hatte wieder einmal die Stunde der ‚Transparenz-Allergiker im Sport’ (Jens Weinreich) geschlagen. Initiator Deutscher Olympischer Sportbund und Geldgeber Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISP), eine nachgeordnete Behörde des Bundesinnenministeriums, entwickelten plötzlich eine Menge phantasievoller Auflagen, die Vielzahl von Dokumenten und Beweisen unterm Deckel zu halten, die westdeutsche Mediziner, Sportführer und Politiker weitreichender Doping-Praktiken überführten. An der Verhinderungspolitik hat sich, allen anderslautenden Ankündigungen zum Trotz, selbst ein halbes Jahr nach Ergebnisvorlage nichts geändert.“

4) Millionen Euro Steuergeld
Fischer-Solms: „‚Die wollen immer nur noch mehr Geld, aber wenn wir nach Konzepten fragen, dann heißt es Fehlanzeige’, klagte unlängst ein Ministerialbeamter aus der Sportabteilung des Bundesinnenministers über die ständigen Forderungen aus der DOSB-Zentrale nach weiteren Finanzspritzen… Alles in allem erhält der Spitzensport für das laufende Geschäftsjahr (2012; WZ) aus dem Bundesetat einen Beitrag von zusammen 241 Millionen Euro.“

Der Spitzensport wurde laufend gefördert, auch in der ehemaligen DDR. So waren das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig, das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in Berlin sowie das Dopinganalyse-Labor in Kreischa, „als Bestandteil in den Einigungsvertrag der beiden deutschen Staaten aufgenommen worden, um Spezifika des doch so außergewöhnlich erfolgreichen DDR-Sports für den wiedervereinigten deutschen Sport zu sichern. Hingegen war eine noch vom Deutschen Sportbund (DSB) gewünschte Anschubfinanzierung für den in der DDR geradezu primitiv ausgestatteten Breiten- und Massensport, die der gesamten ostdeutschen Bevölkerung zugute gekommen wäre, mit dem Hinweis auf fehlende gesetzliche Zuständigkeit abgelehnt worden.“

5) DDRisierung des deutschen Sports
Fischer-Solms: „’Deutschland, Sportnation’, so steht es plakativ oben im Internetauftritt des Bundesinnenministeriums, der Begriff wird in fast schon inflationärer Weise benutzt und erinnert fatal an die ‚Sportnation DDR’, die ihre Sportler als „Diplomaten im Trainingsanzug“ instrumentalisierte und die aus purem Erfolgsdenken alles beiseite räumte, was die Konzentration auf medaillenintensive Sportarten hätte ablenken können. Und in der Tat, gut 20 Jahre nach Vollzug der deutschen Einheit gibt es einen Mix, sind die beiden völlig unterschiedlichen Sportsysteme miteinander eine Verbindung eingegangen. Die Anleihen, die der Westen genommen hat, beziehen sich speziell auf den Sektor des Spitzensports, der unverkennbar Züge einer deutlichen ‚DDRisierung’ trägt.“

Fischer-Solms verwies auf die systematische Übernahme von Trainern und Funktionären der ehemaligen DDR in das gesamtdeutsche Sportsystem und nannte als Beispiel den Deutschen Ski-Verband (DSV), der den früheren Trainer und Generalsekretär des DDR-Skiläuferverbandes, Thomas Pfüller, vom technischen Direktor und Generalsekretär zum Geschäftsführer der DSV Leistungssport GmbH bestellte (Wikipedia). Fischer-Solms: „…Verhältnisse, die sich nur wenig von den Kommandostrukturen wie einst im ostdeutschen Sport unterscheiden… Der Deutsche Skiverband ist überhaupt das schlagende Beispiel für einen olympischen Fachverband, wo ein Ehemaliger vom Format eines DDR-Politruks nun als hauptamtliche Spitze in seinem Machtbereich für ein großflächiges Comeback alter Seilschaften sorgt und sie reichlich mit Posten und Pöstchen ausstattet. Dabei scheint eine Doping- oder Stasi-Vergangenheit kaum als Hinderungsgrund zu gelten.“

6) DDR-Doping wird salonfähig
Fischer-Solms: „Einer von ihnen ist soeben vom DSV mit einem Vertrag als Chef-Bundestrainer für Ski-Langlauf ausgestattet worden. Der 54-jährige Thüringer Frank Ullrich war ab 1986 Lauftrainer der DDR-Biathleten und stand 2009 im Mittelpunkt massiver Dopingvorwürfe auch aus den Reihen seiner ehemaligen Athleten. Der Deutsche Ski-Verband weigerte sich, den Fall an die Unabhängige Anti-Doping-Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes abzugeben, und installierte für die Untersuchung lieber ein verbandseigenes Gremium, das dann auch zu dem erwarteten Ergebnis kam: Ullrich wurde vom Doping-Vorwurf entlastet. Begründung: Wenn er daran festhalte, er sei davon ausgegangen, dass es sich bei den blauen Pillen für die Sportler lediglich um legale trainingsunterstützende Mittel gehandelt habe, gehe die Kommission von einem ‚unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus aus – dahingehend, dass er sich die Dinge als junger, ehrgeiziger und an Spitzenleistungen orientierter Trainer in dem Sinne zurechtgelegt hat, dass dies nach dem damaligen Erkenntnisstand notwendig gewesen sei..’“.

Fischer-Solms resümiert: „Eine halbwegs verantwortbare Aufarbeitung der Verwerfungen des DDR-Sports hat der deutsche Sport längst eingestellt, vielfach ist sie unerledigt geblieben durch simple Tricks wie absichtlich fehlerhafte Antragsstellungen, durch bewusste zeitliche Verzögerungen oder aber durch Altlasten an den entscheidenden Schalthebeln in Behörden und Bürostuben, die schlichtweg gar kein Interesse hatten, an der Vergangenheit zu rühren.“

7) Eine gesamt-deutsche Karriere
Fischer-Solms: „Wie langjährige Zuträger des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit – der Historiker Giselher Spitzer beziffert die Zahl der von der Hauptabteilung XX/3 allein für den Bereich Sport geführten Mitarbeiter auf rund 30.000 – es schafften, trotz schwerer Belastung im vereinten deutschen Sport in der Karrierespur zu bleiben, belegt beispielhaft die Geschichte des Kanu-Trainers Helmut Hörentrup. Als er 30 war, verpflichtete er sich in Potsdam als inoffizieller Stasi-Mitarbeiter, sein Auftrag: Armeesportler „unter Kontrolle“ zu halten. Unter anderen bespitzelte er Einer-Olympiasieger Jürgen Eschert. Nach Ende der DDR wechselte Hörentrup als Nachwuchstrainer zum Kanu-Landesverband Württemberg, 1992 berichteten Deutschlandfunk, „FAZ“ und „Spiegel“ vom Abtauchen des IM, der dennoch bis Mitte der 90er-Jahre unbehelligt im Sport weiterarbeiten konnte. Danach ging Hörentrup zurück nach Mecklenburg-Vorpommern und wurde zum Präsidenten des Landes-Kanuverbandes gewählt; ein Amt, das er erst 2011 im Alter von 77 Jahren abgab. Eine deutsche Sportkarriere.

Als der Stasi-Fall Hörentrup jetzt von Fernseh-Journalisten des NDR Schwerin aufgegriffen und der Ex-Stasi-Mann zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, verweigerte er sich mit der Begründung: ‚Wem nützt es, die Dinge aufzuwärmen, ich bin bald am Ende’. ‚IM Rose’, der in der DDR scharenweise Sportkameraden skrupellos denunzierte, schweigt. Seit 22 Jahren. Mit dieser Taktik hat er sich im vereinten deutschen Sport Einkommen und Ehrenämter gesichert. Es ist eines von unzähligen Beispielen für das Versagen der vielzitierten ‚Selbstreinigungskräfte des Sports’, das Sport-Organisationen und -Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen geschehen lassen, manchmal unwissend, meistens gleichgültig und desinteressiert.“

8) Massregelung 1: Die Zielvereinbarungen
Der deutsche Sport legt größten Wert auf seine „Autonomie“. Fischer-Solms: „Die wahren Autonomen im bundesdeutschen Sport sind die Verbände. Denn sie sind es, die die Athleten zur Verfügung stellen, sie haben ihre Nationalmannschaften, sie nominieren für die Großereignisse jene Sportlerinnen und Sportler, die die Medaillen gewinnen und für Deutschland auf dem Siegespodest stehen sollen. Die Verbände sind es, die eigene Verträge für Sportausrüstung und für Fernsehübertragungen aushandeln. Seit 2007 praktiziert der Dachverband DOSB ein Verfahren, das er als probate Fördermaßnahme zur Steigerung des Medaillenertrags preist, zugleich ist es geeignet, die Sportfachverbände in ihrer scheinbar grenzenlosen Autonomie stärker an die Kandare zu nehmen im Sinne einer planbaren Leistungs-Perspektive.
Die Zauberformel heißt „Zielvereinbarungen“. Darin werden zwischen dem DOSB und den Fachverbänden die Ziele verhandelt und festgelegt, die bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei Olympischen Spielen realistischerweise erreicht werden sollen. Zugleich damit werden die dazu geeigneten Maßnahmen bestimmt. Auf dieser Basis werden die Gelder, circa zwei Millionen Euro jährlich, für die Projektförderung verteilt; einmal im Jahr treffen sich DOSB und Verband, um den aktuellen Stand des vereinbarten Ziels zu überprüfen und, wenn nötig, neu zu justieren. Daneben gibt es noch die Grundförderung für die Verbände, sie macht 70 Prozent der Gesamtfördersumme aus und wird auf vier Jahre, für die Dauer eines Olympiazyklus, festgelegt.“

9) Massregelung 2: Geld gegen Anpassung oder Wie der DOSB mit Widerstand umgeht
Fischer-Solms: „Der Deutsche Leichtathletik-Verband hatte sich als einziger öffentlich gegen die Einführung von Zielvereinbarungen und deren bürokratischen Mehraufwand gewehrt, war aber schließlich doch von deren Sinnhaftigkeit überzeugt, nachdem ihm vom DOSB einige Etat-Verschlechterungen in Aussicht gestellt worden waren. Das Planungsinstrument Zielvereinbarungen war übrigens dem DOSB 2006 von einer sportfremden Unternehmensberatung empfohlen worden…“

10) Wie der DOSB mit der Öffentlichkeit umgeht
Fischer-Solms: „Aber auch in puncto Geheimhaltung hat der bundesdeutsche Sport von der DDR gelernt. Denn die Zielvereinbarungen und die dazugehörenden Gesprächsprotokolle werden von DOSB und Innenministerium streng unter Verschluss gehalten, was in der 51. nichtöffentlichen Sitzung des Bundestags-Sportausschusses am 9. Mai 2012 zum wiederholten Male zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Selbst die Parlamentarier, deren eigentliche Aufgabe die Kontrolle über die ordentliche Verwendung der vom Bund bewilligten Sportfördermittel ist, erhalten keinen Einblick. Für die Opposition kritisierte SPD-Sportobmann Martin Gerster, ‚hier werden Gelder verteilt, ohne dass wir erfahren, nach welchen Kriterien’, und forderte ein Ende der ‚Geheimniskrämerei’“.
Die Zielvereinbarungen wurden weder vom DOSB noch vom Bundesministerium des Innern veröffentlicht: Erst durch ein von zwei Journalisten erstrittenes Gerichtsurteil im Sommer 2012 mussten sie offengelegt werden.

11) Olympische Bewerbungen
Dreimal sind deutsche Bewerbungen um Olympische Spiele krachend gescheitert: Berlin 2000, Leipzig 2012 und München 2018. Fischer-Solms: „Die Behauptung der deutschen Sportfunktionäre ‚Wir können Olympia’ bleibt somit weiter unbewiesen. Ein Beschluss für ein neues olympisches Abenteuer ist nicht in Sicht und wird mit Gewissheit solange auf Eis liegen, bis im September 2013 ein neuer Präsident des Internationalen Olympischen Komitees gewählt ist.“

12) Keine Hilfe für DDR-Dopingopfer
Fischer-Solms: „Inzwischen steuert das Problem der Schwerstgeschädigten unter den DDR-Dopingopfern weiter auf eine „biologische Lösung“ hin. Das letzte Todesopfer, die DDR-Meisterin über 400 Meter Hürden von 1984, Birgit Uibel aus Cottbus, wurde nur 49 Jahre alt. Sie hatte bereits als 16-Jährige von ihrem betreuenden Arzt männliche Sexualhormone bekommen.
Der parlamentarische Vorstoß für eine Dopingopfer-Rente tritt auf der Stelle. Eine kleine Gruppe von Bundestagsabgeordneten hält die Initiative am Leben. Klaus Zöllig, der Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, beklagt: ‚Die Frage der dauerhaften Hilfe für die schwerstbehinderten Dopingopfer ist nach wie vor offen. Obwohl für die teilweise desaströse Situation vieler Schwerstgeschädigter von Politikern viel Verständnis aufgebracht wird, mahlen Gottes Gesetzgebungsmühlen langsam.“
Bitteres Fazit der ehemaligen Spitzensportlerin und Hochschulprofessorin Ines Geipel, inzwischen auch Präsidentin des Vereins Dopingopfer-Hilfe: „Es gab neben Hilfe auch gut trainierte Gegner, die nicht nur null Interesse an der Aufarbeitung des Körperlaboratoriums DDR hatten, sondern auch null Interesse daran – und das gilt für Ost und West –, nach 1989 einen Sport aufzubauen, der zu allererst für eines da ist: seine Talente zu schützen, damit sie sich ohne Rekord- und Medaillenwahn entwickeln können. Mein Resumee ist, dass diese Idee, dass der Gedanke Olympia, dass das Projekt Fairness im gegenwärtigen hochalimentierten deutschen Elitesport nicht mehr existiert oder genauer, mausetot ist.“ (Zitat nach Fischer-Solms)

13) Die Bach-IOC-Kandidatur
Fischer-Solms: „Der Deutsche Thomas Bach, derzeit in Personalunion DOSB-Chef und IOC-Vizepräsident, gilt als einer der ernsthaften Anwärter auf die Nachfolge des Belgiers Jacques Rogge. Bach, der bei den Sommerspielen 1976 in Montreal mit der Florett-Mannschaft der Bundesrepublik die Goldmedaille gewann, ist ein Zögling des 2010 verstorbenen spanischen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch und ein Schützling des Herzogenauracher Sportartikel-Herstellers Horst Dassler. Beide, Samaranch und Dassler, hatten nach 1980 den Welt-Sportverbänden Professionalität und Kommerzialität beigebracht und das bis dato schwache Internationale Olympische Komitee zu einem auch finanziellen Machtfaktor reformiert.“

14) Ein Fazit von Herbert Fischer-Solms
Bach ist ein Kind des Leistungssports. Er gehörte 2006 zu den heftigen Betreibern eines Zusammenschlusses der beiden deutschen Sport-Dachorganisationen DSB und NOK zum DOSB, in dem bereits von der Namensgebung her der olympische, also der Hochleistungssport absoluten Vorrang besitzt. Auch wenn von Seiten der Organisation immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Im Deutschen Olympischen Sportbund führt der Breitensport, der im Übrigen unter dem Begriff „Sportentwicklung“ ressortiert, ein Schattendasein. Der Sport für alle, der 27,5 Millionen Menschen in 91.000 Vereinen vereint und kaum Schlagzeilen produziert, wird als Anhängsel geführt, während alle Kraft und Fürsorge in die paar tausend Elitesportler gehen, die für die sogenannte Ehre der Nation antreten.“

Nachtrag Juni 2013: „Anything but Bach“
IOC-Präsidentschaftswahl: Jens Weinreich konstatierte Ende Juni 2013, dass der Widerstand gegen die Kandidatur von Thomas Bach wächst. „Dabei schien es vor wenigen Monaten, als sei die Sache vorentschieden. Als sei Thomas Bach quasi konkurrenzlos. Viele Mitglieder befürchteten, sie hätten in Buenos Aires nur noch abzunicken. Manchen hat das nicht gefallen. Spätestens im Herbst 2012 begannen einige Mitglieder im Hintergrund an Alternativen zu arbeiten. Und nun, im Wahlsommer, geht ein Raunen um in der Szene. IOC-Mitglieder, Verbandspräsidenten, einflussreiche NOK-Vertreter, Spindoktoren und Lobbyisten flüstern sich grinsend und beinahe konspirativ ein Kürzel zu: ‚ABB‘. Zitieren lassen mochte sich bisher niemand. ABB – das Akronym steht für: anything but Bach. Alles außer Bach“ (Weinreich, Jens, Das konspirative Kürzel, in berliner-zeitung.de 25.6.2013; richtig: Anyone but Bach). Auch die übergroße Nähe zum kuwaitischen „Königsmacher“ Scheich Ahmed Al-Sabah kommt nicht gut an: „Der Präsidentschaftskandidat Oswald hat kürzlich angemerkt, was der Scheich treibe, entspreche nicht seinem Demokratieverständnis. Al-Sabahs Parteinahme für Bach würde gegen mindestens drei Regeln verstoßen, die von der IOC-Ethikkommission für diesen Wahlkampf aufgestellt wurden“ (Ebenda).
IOC-Präsident Jacques Rogge soll selbst zwei  der sechs Kandidaten zur Kandidatur ermuntert haben. Und  die alte Hausmacht von Bach aus den Zeiten des damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch schwand langsam dahin: „39 der aktuell 100 IOC-Mitglieder wurden in Rogges Präsidentschaft aufgenommen“ (Ebenda).

Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Bach, Thomas; Deutscher Olympischer Sportbund; Vesper, Michael

Quelle:
Fischer-Solms, Herbert, Sportnation Bundesrepublik Deutschland? Manfred Ewald lässt grüßen, Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de 16.5.2012
Zum gesamten Artikel: hier

 

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