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Nov 282011
 
Zuletzt geändert am 27.07.2012 @ 16:47

Wolfgang Zängl 28.11.2011, aktualisiert 27.7.2012

Der amerikanische Chemiekonzern Dow Chemical lieferte im Vietnam-Krieg die Chemikalie Napalm, die schwere Brandwunden verursacht hat und das Urwald-Entlaubungsmittel Agent Orange, das durch seiunen Bestandteil Dioxin berüchtigt war und ist. 2001 kaufte Dow Chemical den Chemiekonzern Union Carbide, der für die größte Chemiekatastrophe aller Zeiten zuständig war. 1984 entwichen im indischen Werk in Bhopal 36 Tonnen Methylisocyanat aus einem explodierten Tank und töteten über 20.000 Menschen; über eine halbe Million wurden schwer geschädigt. 100.000 Menschen leiden bis heute daran. „Tausende erblindeten, Unzählige erlitten Hirnschäden, Lähmungen, Lungenödeme, Herz-, Magen-, Nieren-, Leberleiden und Unfruchtbarkeit. Später kamen Fehlbildungen an neugeborenen und Wachstumsstörungen bei heranwachsenden Kindern hinzu“ (Wikipedia). Bis heute weigert sich Dow Chemical, das Industriegelände des Werkes von Quecksilber und krebserregenden Chemikalien reinigen zu lassen. Der Konzern weigert sich auch, weitere Entschädigungen für die Opfer der Chemiekatastrophe zu bezahlen. (Vergleiche zu Dow Chemical auch hier).

Trotzdem wurde Dow Chemical im Juli 2010 neuer TOP-Sponsor des IOC und zahlt für den Zeitraum 2012 bis 2022 den Riesenbetrag von 100 Millionen US-Dollar. Das Londoner Organisationskomitee LOCOG erhält für die Sommerspiele 2012 von Dow sieben Millionen Pfund, das sind umgerechnet etwa 8,14 Millionen Euro (focus.de 3.11.2011).

In Indien wird jetzt gegen das Dow-Sponsoring protestiert. „Viele Inder wollen nicht akzeptieren, dass Dow Chemical sich nun bei seiner weltweiten Werbung mit den olympischen Ringen schmücken darf. Besonders groß ist die Empörung im Bundesstaat Madhya Pradesh, dessen Hauptstadt Bhopal ist. Ein Unternehmen, das in solch eine Tragödie verwickelt sei, dürfe keine Fairplay-Veranstaltung wie Olympia als Hauptsponsor finanziell unterstützen, schrieb der Regierungschef von Madhya Pradesh, Shivraj Singh Chouhan, der Führung in Neu-Delhi laut der Agentur IANS. Das Sponsorengeld solle besser für Entschädigungen für die zahlreichen Opferverbände des Giftgas-Unglücks ausgegeben werden, schrieb Chouhan“ (spiegelonline 26.11.2011).

Anfang November 2011 rief deswegen die Vereinigung der Opfer der Giftgaskatastrophe Indiens Regierung zum Boykott der Olympischen Spiele 2012 in London auf (focus.de 3.11.2011). Fünf Bhopal-Opferrechtsgruppen forderten die Beendigung des Sponsorenvertrages mit Dow Chemical.Die indische Regierung wird in den kommenden Wochen beim Obersten Gerichtshof versuchen, erhöhte Entschädigungen für die Opfer zu erreichen (The Guardian 25.11.2011).

Der ehemalige Londoner Oberbürgermeister Ken Livingstone warnte vor einer „Legitimitätskrise“ und rief dazu auf, den Deal zu beenden (Gibson 28.11.2011). Die frühere für den Sport zuständige Ministerin Tessa Jowell nannte den Protest „einen sehr bedeutenden Schritt“, der die Welt fast 27 Jahre nach der Katastrophe von Bhopal an die Leiden erinnert, die Union Carbide verursacht hat. Jowell empfahl Dow Chemical, die Sponsorenschaft niederzulegen (Gibson 25.11.2011; Magnay 25.11.2011). Der Abgeordnete der Labour Party, Barry Gardiner, sammelte 24 Stimmen von Kollegen, um gegen die Entscheidung für Dow Chemical zu protestieren: „LOCOG hat mit der Partnerschaft mit Dow Chemical einen Fehler begangen“ (Gibson 28.11.2011).

LOCOG verteidigte die Entscheidung für Dow Chemical und äußerte am 25.11.2011, dass es keine Anzeichen über den möglichen Boykott durch Indien gegeben hätte. Auch der Vorsitzende des LOCOG, der ehemalige Mittelstreckenläufer Sebastian Coe, verteidigte die Partnerschaft mit Dow Chemical. Der Chemiekonzern selbst äußerte, Dow sei stolz darauf, Sponsor des IOC zu sein. Es sei enttäuschend, dass einige Leute versuchen, Dow Chemical Schuld und Verantwortung für die Katastrophe von Bhopal zuzuweisen (Ebenda).

Das IOC schrieb in einer Presseerklärung, es habe vernommen, dass einige indische Sportler Bedenken gegen den Sponsor Dow Chemical geäußert hätten. Die Indian  Olympic Association (IOA) würde aber mit diesen Sportlern reden, um die Bedenken zu zerstreuen. Berichte über einen Boykott der Spiele seien nicht richtig. Das IOC würde sich auch einem Boykott widersetzen, da die einzigen, die bei solchen Aktionen Schaden nehmen würden, die Athleten selbst seien. Das IOC wird seinen globalen Sponsor Dow unterstützen (Magnay 25.11.2011).
Da es sich um 100 Millionen Dollar handelt, wird das IOC mit allen Mitteln an Dow Chemical festhalten. Pecunia non olet…

Das indische NOK teilte mit, dass 21 Athleten für den Rückzug seien, sofern Dow Chemical Sponsor bliebe (Ebenda). Ende November 2011 wies das NOK dann die Forderung nach einem Boykott zurück. „Indiens  Sport lässt sich von den Überlebenden der Giftgas-Katastrophe von 1984 in Bhopal nicht zu einem Olympia-Boykott für London 2012 drängen“  (SZ 29.11.2011).
Man kann sich den Druck vom IOC aus Lausanne in Richtung Indien gut vorstellen – da hat das indische NOK selbstverständlich zu kuschen!

Kurz danach verbrannten indische Protestietrende Puppen vom Vorsitzenden des IOA, Malhotra und des Vorsitzenden des LOCOG, Sebastian Coe. Am 5. Dezember hielt das NOK ein Treffen ab: Der Boykott sollte zunächst kein Thema sein. Aber das IOA stellte dann doch fest, dass die Verwicklung von Dow Bestürzung hervorgerufen habe bei den Bhopal-Opfern und anderen, die viel von Olympischen Spielen halten. Der Sponsorenstatus von Dow bei den Olympischen Spielen in London 2012 soll nun auf der Generalversammlung am 15. Dezember 2011 diskutiert werden. Das IOA will die Otrganisatoren der Spiele auf die Gefühle der Menschen hinweisen, die von der Katastrophe betroffen waren. Es protestierten ja nicht nur die Inder gegen die Sponsorenschaft von Dow, sondern es gab einen weltweiten Aufschrei gegen diesen „vergifteten“ Sponsor“.
IOC-Präsident Jacques Rogge betonte dagegen, dass Dow Chemical  nicht in die Bhopal-Katastrophe involviert gewesen sei. Jede Maßnahme, die zum Boykott aufruft, würde den indischen Sport verletzen (Magnay 7.12.2011).
Da wird das IOC kräftig im Hintergrund gewirkt haben. Aber da es nicht die geringsten Skrupel hatte, Dow Chemical als TOP-Sponsor zu akquirieren, wird es jetzt auch keine haben, das indische NOK unter Druck zu setzen und die Teilnahme zu erzwingen.

Mitte Dezember beschloss das IOA dann doch, gegen Dow als Sponsor von London 2012 beim IOC zu protestieren. „Es ist nicht akzeptabel, dass so ein Konzern ein Sponsor von Olympischen Spielen ist. Wir werden die Londoner Organisatoren auffordern, die Sponsorenschaft des Konzerns zu beenden.“ Sebastian Coe hielt dagegen, er sehe sich in völligem Einklang mit Dow’s Rolle bei London 2012: „I feel comfortable“ (The Guardian 15.12.2011).

Zu Dow Chemical vgl. auch Kritisches Olympisches Lexikon
und den Offenen Brief von Terre des Hommes und anderen Organisationen.

Quellen:
Bhopal-Überlebende fordern Olympia-Boykott, in focus.de 3.11.2011
Gibson, Owen
– India vote to boycott Olympics a ‚significant step’, says Tessa Jowell, in The Guardian 25.11.2011
– Ken Livingstone warns of ‘crisis of legitimacy’ für 2012 over Dow deal, in The Guardian 28.11.2011
Indian Olympic Association to complain to IOC over Dow sponsorship, in The Guardian 15.12.2011
Indiens NOK weist Boykottforderung zurück, in spiegelonline 28.11.2011
Indiens Sport lehnt ab, in SZ 29.11.2011
Indische Sportler erwägen Boykott, in spiegelonline 26.11.2011
Magnay, Jacquelin
-London 2012 Olympics: IOC calls on Indian Olympic Association to u-turn on Games boycott, in The telegraph 25.11.2011
– London 2012 Olympics: Jacques Rogge backs chemical giant dow over Bhopal disaster, in TheTelegraph 7.12.2011
Offener Brief von Freundschaftsgesellschaft Vietnam, Terre des Hommes und anderen Organisationen, Düsseldorf 20.6.2012
Wikipedia

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