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Sicherheitsmaßnahmen gegen Bürgerrechte

 
Zuletzt geändert am 27.03.2014 @ 17:41
© Foto: Gesellschaft für ökologische Forschung

© Text: Wolfgang Zängl, Gesellschaft für ökologische Forschung

Zweiter Versuch: München 2022? Nein danke!

Die Tendenz zu kulturellen und sportlichen Großveranstaltungen jeder Art wächst schon aus finanziellen Gründen: wegen der höheren Fernsehhonorare und Sponsorengelder; größeren Zuschauerkontingenten und Merchandising. Die Sicherheitsmaßnahmen wachsen mit, die Überwachung und Kontrolle der Besucher ebenso. Mit der Größe werden Anschläge und Gewalttaten wahrscheinlicher. Ein Beispiel ist das erste Attentat während des Münchner Oktoberfestes 1980, das ausgerechnet der Münchner Oberbürgermeister bei der Vorstellung der Bewerbung München 2018 in Vancouver am 15. Februar 2010 gänzlich verdrängte, als er ernsthaft behauptete, dass es dort niemals einen ernsthaften Vorfall gegeben hätte. (Beim Oktoberfest 2009 wurde wegen einer Terrorwarnung außerdem großflächig abgesperrt und kontrolliert; 2010 wurden Betonpoller gegen Anschläge mit Fahrzeugen aufgestellt.)

Im Lauf der Zeit wurden die Sicherheitsstandards immer weiter verschärft. Inzwischen werden bei Besuchen amerikanischer Präsidenten in Großstädten die Gullydeckel zugeschweißt, die Überwachung der Bevölkerung verstärkt und ein Heer von Sicherheitskräften und Spürhunden eingesetzt. Die örtliche Bevölkerung darf das eigene Heim temporär nicht mehr verlassen, wie 2005 in Mainz beim Besuch von George W. Bush geschehen. Auch bei Sport-Großereignissen wie Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen werden die Sicherheitsbedingungen verschärft, sodass bürgerliche Rechte zunehmend eingeschränkt werden. Welche nochmals verschärfte Sicherheitslage bei den Olympischen Winterspielen in München 2018 –  also in acht Jahren – herrschen wird, kann man heute nur erahnen.

Die Kosten der Sicherheit:

Nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA existierte die Angst vor einem terroristischen Anschlag bei Olympischen Spielen in Salt Lake City im Jahr 2002.

Seit 2002 gleichen die ausrichtenden Orte der Olympischen Spiele Hochsicherheitstrakten. In Turin 2006 wurden mehr als 15.000 Polizisten und Sicherheitskräfte eingesetzt. Der Turiner Luftraum wurde während der Spiele gesperrt. Alle Besucher mussten durch Sicherheitskontrollen.

Bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 lag das Budget für Sicherheit ursprünglich bei 117 Millionen €. Im März 2009 betrug es schon 530 Millionen Euro. Nach Schätzungen des Autors von Five Ring Circus, Christopher Shaw, liegen die endgültigen Kosten für Sicherheit bei einer Milliarde US-Dollar, umgerechnet etwa 700 Millionen €. Vancouvers Chef-Organisator John Furlong sprach Anfang Februar 2010 von fast einer Milliarde C$, 681 Millionen Euro (Kleine Zeitung 9.2.2010). Die kanadische Oppositionspolitikerin Kathy Corrigan schätzte Ende Januar 2010 diese Kosten sogar noch weit höher ein.

Der kanadische Sicherheitsminister Peter Van Loan gab im Februar 2009 im Handelsblatt für die Kosten folgende Zusammensetzung an: „Fast 500 Mio. Dollar (315 Mill. Euro) stehen der Bundespolizei RCMP zur Verfügung. Die Unterstützung durch das Militär kostet weitere 212 Mill. $. Weitere Posten sind die Luftraumüberwachung (25 Mill. $), der Einsatz des Geheimdienstes CSIS (11 Millionen $) und die Netzwerke für die Kommunikation der Sicherheitskräfte untereinander (9,8 Mill. $). Als Reserve für unvorhergesehene Ereignisse sind 137 Mill. $ im Budget eingestellt“ (Braune 26.2.2009). Zur „Vancouver 2010 Integrated Security Unit“ gehörten 7000 Polizisten und 4500 Soldaten plus 5000 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste. 900 Überwachungskameras wurden installiert (Völker 3.2.2010).
Die kanadische Polizei arbeitete während der Olympischen Winterspiele mit den USA im Rahmen des Luftabwehrabkommens Norad zusammen. Unbemannte Drohnen überwachten die Grenze. Die Olympischen Sommerspiele 2012 in London sollen ebenfalls mit Drohnen überwacht werden. Der größte Rüstungskonzern Europas, BAE Systems entwickelt bereits einen Prototyp. Die britische Regierung wird den Einsatz dieser zivilen Drohnen genehmigen.
Der Polizeichef von Kent äußerte, Olympia 2012 sei eine „klare Deadline“ für die Genehmigung ziviler Drohneneinsätze, egal ob es sich „um Demonstrationen oder die Olympischen Spiele“ handele (spiegelonline 24.1.2010).

München 1972 und 2018:

Bei der Bewerbung Münchens dürfte auch die Vorgeschichte der Olympischen Sommerspiele 1972 bei den Sicherheitsmaßnahmen und -kosten eine Rolle spielen, falls „München + 2“ überhaupt den Zuschlag erhält: Während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München verübten palästinensische Terroristen einen Angriff auf die israelische Olympia-Mannschaft. Im Lauf dieses Anschlags kamen die elf israelischen Geiseln, fünf Geiselnehmer und ein deutscher Polizist ums Leben.

In der Bewerbung Münchens ist davon keine Rede; der Anschlag 1972 wird ähnlich verdrängt wie das Oktoberfest-Attentat von 1980. Aber auch wenn DOSB und Bewerbungsgesellschaft den Olympia-Anschlag bewusst nicht thematisieren, ist er im Ausland nicht vergessen: So berichtete die Vancouver Sun am Tag vor der Eröffnung in Vancouver ausführlich auf der Titelseite über den Anschlag 1972 .

In der Münchner Bewerbung wurden von dem Beratungsunternehmen Deloitte im Bid Book die Sicherheitskosten mit (lachhaften) 31,7 Millionen € angegeben. Das ist bewusst zu gering angesetzt – im Vergleich zu den Sicherheitskosten von Vancouver, die in der Monitor-Sendung vom 18.11.2010 mit 900 Millionen C$ (rund 641 Mio. €) beziffert wurden, liegen sie um den Faktor 20 oder um etwa 609,3 Millionen Euro niedriger. So ist u. a. von den mindestens 16.000 Soldaten und Polizisten, die die Spiele bewachen sollen, in den Bewerbungsunterlagen bisher nichts zu finden. Für das IOC ist die Sachlage einfach: Für Sicherheit zahlen muss die Öffentlichkeit: die Veranstaltungsorte, das Land Bayern sowie Deutschland, in jedem Fall also der Steuerzahler.
Auf Anfrage erklärte Frau Mühlhäuser von der Bewerbungsgesellschaft München 2018 in einer Email vom 28.10.2010 die Diskrepanz zu Vancouver damit, dass die 31,7 Millionen Euro nur für “private und öffentliche Sicherheitsdienstleistungen” angesetzt seien: „Personalkosten für Polizeikräfte in Bayern z.B. sind nicht extra ausgewiesen, da diese ohnehin gezahlt würden, ob mit oder ohne Olympische und Paralympische Winterspiele.“
Das ist natürlich auch eine Methode, die Sicherheitskosten zu senken!

Münchens Innenstadt (geplante Medaillenvergabe auf dem Marienhof!), aber auch der Großraum um München inklusive Flugplatz und Teile des Voralpenlandes würden zum Hochsicherheitstrakt. Demokratische Grundrechte werden schon durch „normale“ Olympische Spiele bzw. den Host City Contract des IOC stark eingeschränkt. Olympische Winterspiele München 2018 würden vorher und nachher polizeistaatliche Maßnahmen mit sich bringen, die sich heute noch kaum jemand vorstellen kann und die über Jahre undemokratische und irreversible Nachwirkungen hätten. Laut Bundespolizei sind bevorzugte terroristische Angriffsziele „Örtlichkeiten mit hohem Symbolwert“ (Diehl 19.11.2010).
Das Massenereignis Olympische Spiele verschärft in jedem Fall die Sicherheitsmaßnahmen und trägt zu einer Entwicklung in Richtung Polizeistaat bei: mit unabsehbaren Kosten. “Die freundlichen Spiele?” Von wegen.

Das Negativ-Beispiel Vancouver:

Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 wurden die Kritiker offen unterdrückt, verprügelt und eingesperrt, ohne dass sich das IOC darüber ausließ. Aber auch in demokratischen Staaten bleiben bei diesem Großereignis von Mal zu Mal mehr Bürger- und Menschenrechte auf der Strecke. Im Fall Vancouver trifft dies auch noch die Rechte der Ureinwohner.

Vor allem die indigenen „First Nations“ sind von Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut bedroht. Für die Winterspiele 2010 wurde seit Vergabe der Spiele bezahlbarer Wohnraum in Downtown Eastside vernichtet – für Olympische Bauten und Immobilienspekulation. Viele indianische Betriebe wurden von Sicherheitskräften aufgesucht. In Downtown Eastside werden seit 2009 verstärkt Beat Cops zur Einschüchterung eingesetzt.

Das Olympic Resistance Network (ORN) registrierte die Vertreibung der ärmeren Bevölkerung aus der Innenstadt: „Unerwünschte Elemente“ wie Obdachlose und Drogenabhängige werden rigoros entfernt. Security-Firmen greifen hart durch. (In Peking wurden vor der Eröffnungsfeier 2008 alle Obdachlosen rigoros aus der Stadt entfernt.)

“First Nations”:

Bereits 2001 wurde von Indigenen (den Ureinwohnern) im Skiort Sun Peaks ein Protestcamp errichtet, um gegen die Zerstörung durch Ski- und Immobilienanlagen zu protestieren: Die Indianer hatten ihr Land nie abgetreten. Im September 2001 inhaftierte die Polizei 54 Indianer und ließ das Camp abreißen. Im August 2004 zogen erneut 250 Demonstranten durch Sun Peaks. Wieder ließ die Regierung räumen und verhaften; die Polizei erteilte den indigenen Vertretern Platzverbot. Tourismusindustrie und Immobilienunternehmen sorgten im Hintergrund für das große Polizeiaufgebot und das rigide Durchgreifen.

In British Columbia gibt es ungefähr 600.000 Indigene, die in der Mehrheit die Olympischen Spiele ablehnen. Die Regierung köderte mit vielen Millionen vier kleinere Indianerstämme mit insgesamt etwa 6000 Mitgliedern für die Rolle der Host Nations, quasi als Vorzeige-Indianer. Im Gegenzug mussten sie das Forest and Rangeland Opportunities Program unterzeichnen: Damit dürfen sie fünf Jahre keine Abholzung in ihren Gebieten anfechten und keine Kritik an den Olympischen Winterspielen üben.

Der so genannte „Sea-to-Sky-Highway“ von Vancouver nach Whistler wurde 2,4 Kilometer durch Eagleridge Bluffs gebaut, wo Weißkopfseeadler brüteten, wertvolle Feuchtgebiete lagen und Erdbeerbäume wuchsen. Der vierspurige Ausbau vernichtete dieses Gebiet. Indigene und Umweltschützer protestierten drei Jahre gegen den Ausbau und wurden von der Polizei verhaftet. Die protestierende 78jährige Urgroßmutter und Buchautorin Betty Krawczyk wurde am 25. Mai 2006 festgenommen; die Richterin ordnete an, das sie bis zum 15. September 2006 in Haft bleiben müsse, weil sie „eine Gefahr für die Allgemeinheit“ sei. 2006 starb die 73jährige Elder Harriet Nahanee an den Folgen einer Lungenentzündung, die sie in der zweiwöchigen Haft erlitten hatte.

Gesetze gegen Bürgerrechte:

2006 wurde im Gefolge der Olympischen Winterspiele das Project Civil Society gegründet, mit dem gegen Betrunkene und Bettler, Obdachlose und Protestierer eingeschritten werden konnte; dazu kamen noch viele zusätzliche Kontrollmaßnahmen mit Überwachungskameras etc. Im September 2009 ermöglichte ein Gesetzentwurf die Einweisung von Obdachlosen in Unterkünfte. Vor den Olympischen Spielen 2012 schaffte man sie nun einfach aus der Stadt.

Dazu wird der Widerstand gegen Olympia diffamiert. Seit Oktober 2009 erlaubt ein Gesetz, Wohnungen nach anti-olympischem Material zu durchsuchen. Die Strafen belaufen sich auf bis zu 10.000 Dollar. Wer ein T-Shirt mit der Aufschrift „No Olympics on Stolen Land“ trägt, kann verhaftet werden.

Um die Sportstätten wurden 900 und in den Partyzonen 100 Überwachungskameras installiert. Das Recht auf freie Rede war während der Spiele eingeschränkt. Gemäß der Olympischen Charta sind Demonstrationen und politische Propaganda in der Nähe der Olympischen Sportstätten und Stadien untersagt. In Vancouver wurde das Gebiet noch um die Zufahrtsstraßen erweitert. Zur Vancouver Integrated Security Unit zählen 7000 Polizisten, 4500 Soldaten und 5000 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste, zusammen 16.500 Sicherheitskräfte, welche nicht vom IOC, sondern von der Allgemeinheit gezahlt werden müssen – wie alle Sicherheitsmaßnahmen.

Da während der Winterspiele jede Opposition bestraft wird, organisierten Aktivisten den Protest im Vorfeld der Spiele.

Proteste gegen die Olympischen Winterspiele 2010:

Am 22. Januar 2010 marschierten 200 Olympia-Gegner mit „No 2010“-Transparenten durch Vancouver, die von der Vancouver Sun als „Anarcho-Punks“ bezeichnet wurden. Christopher Shaw schrieb schon in Five Ring Circus, dass die Eigner der Medien fest auf der Seite der Olympischen Industrie stehen und kritische Inhalte beiseite schieben: Die Medien behandeln eine kritische Hinterfragung der Spiele wie eine „terroristische Aktivität“.

Zehn Tage vor Eröffnung der Winterspiele waren Protestaktionen und Störmanöver des Olympic Resistance Network (ORN) geplant. Im Zentrum von Vancouver besetzten 250 Olympiagegner eine wichtige Verkehrsader; die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein. Die Sprecherin des Olympic Resistance Network kritisierte das Vorgehen der Polizei als unnötig gewalttätig“.

IOC-Sprecher Mark Adams beurteilte die Demonstrationen als „minimal“.

Text wird weiter ergänzt. Vergleiche auch: http://www.nolympia.de/2010/11/sicherheitsfragen/

Quellen u.a.:
Braune, Gerd, Die Sicherheitskosten von Vancouver explodieren, in Handelsblatt.com 26.2.2010
Britische Polizei will Bürger mit Drohnen überwachen, in spiegelonline 24.1.2010
Calonego, Bernadette, “Kanadas Sizilien”, in SZ 5.3.2009
Diehl, Jörg, Polizei rüstet sich für den Terror-Ernstfall, in spiegelonline 19.11.2010
Gertz, Holger, Die Kakerlake als Maskottchen, in SZ 8.2.2010
Hanko, Angelika, 78-jährige Urgroßmutter Betty Krawczyk wieder im Gefängnis, www.cathedralgrove.eu/media/04-6-urgrossmutter.pdf
Kostenfalle Olympia: Wie die Winterspiele Kommunen ruinieren, Monitor 18.11.2010
Leiren-Young, Mark, Betty Krawczyk, Proud Fanatic, in The Tyee 1.6.2009
McMartin, Pete, A torch to throw light on a dark memory, in Vancouver Sun.com, 11.2.2010
München 2018 weist Fehlplanungs-Vorwürfe zurück, in Handelsblatt.com 19.11.2010
Nyberg, Helga, Schwarzbauer, Peter, Von Olympischen Ringen geknebelt, in Coyote 83/Herbst 2009
Olympia-Gegner randalieren in Vancouvers Innenstadt, in spiegelonline 14.2.2010
Podbregar, Nadja, Lohmann, Dieter, Vancouver 2010 – Wie sauber sind die Winterspiele, in  Scinexx.de
Shaw, Christopher, Five Ring Circus, Gabriola Island 2008
Seiller, Monika, Ungebrochener Widerstand, Coyote 3/2004; No Olympics on Stolen Land! Sonderheft Coyote, Januar 2010; Widerstand am Cypress Mountain, in SZ 6.2.2010
Vancouvers OK-Chef Furlong verteidigte Sicherheitskosten, in Kleine Zeitung 9.2.2010
Völker, Markus, Dr. No und der Marktstalinismus, in taz 3.2.2010
Weissenborn, Stefan Robert, Vancouvers dunkle Seite, in taz 19.1.2010

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