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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Feb 102015
 
Zuletzt geändert am 13.02.2015 @ 15:17

11.2.2015, aktualisiert 13.2.2015

Die Blogger von Metronaut in Berlin haben Motive der Olympischen Sommerspiele Berlin 1936 mit dem Logo von Berlin 2024 versehen und ins Internet gestellt. Der DOSB hat sich umgehend beim Berliner Senat beschwert. Der brach in vorauseilendem DOSB-Gehorsam zusammen und ließ den Metronaut-Bloggern am 9.2. zwei einstweilige Verfügungen mit brutal kurzer Reaktionszeit zustellen: Die erste kam um 16:14, die zweite um 17:34: Eine Frist wurde bei beiden bis 18 Uhr gesetzt. Die Metronauten ersetzten das Berlin-2024-Logo durch: “zensiert”. In der Stellungnahme stand: „Metronaut wird auf die gestrigen Abmahnschreiben und den Versuch Satire aus dem Netz zu kriegen keine Unterlassungserklärung abgeben. Es handelt sich um eine zulässige Meinungsäußerung, die nicht untersagt werden kann. Diese ist als Satire erkennbar. Aus diesem Grund nehmen wir auch die beanstandeten satirischen Olympia-Motive wieder online.“ Zu den zensierten Motiven: hier. Zur Webseite von Metronaut: hier.
John F. Nebel (Pseudonym) von den Metronauten erklärte, die Diskussion über die Vergangenheit von Olympia in Berlin komme zu kurz, die Kampagne sei “so dermaßen von oben herab, Ablehnung wird ausgeblendet. “Diese Abmahnung ist natürlich totaler Quatsch. Diese Nervosität ist doch total überzogen. aber natürlich sind die nervös… Also, aus Mediensicht ist das natürlich ein Super-Eigentor. Unsere Story war ja letztlich durch, das haben ein paar tausend Leute gelesen. Jetzt haben die halt genau die Diskussion, die sie nie wollten. Eben David gegen Goliath: Dass sie auf ein kleines Blog draufhauen, weil das die Diskussion über die Olympiade in Berlin und die Nazis aufmachen will” (Boeselager, Matern, Der Berliner Senat hat einen Blog verklagt, weil er sich über die Olympia-Kampagne lustig gemacht hat, in vice.com 10.2.2015).
Nebel gehe davon aus, dass „jeder einigermaßen denkende Mensch merken muss, dass Plakate mit Wehrmachtssoldaten und Hitlerjungen niemals von einer offiziellen Olympia-Bewerbung genutzt werden würden“ (Hildebrand, Kathleen, Berliner Senat will Olympia-Satire verbieten, in sueddeutsche.de 11.2.2015). Auf zeitonline äußerte Nebel zu den Plakatentwürfen: „Das ist Satire. Die Bilder sollen provozieren, weil in der Olympiabewerbung Berlins sehr wenig kritisch darüber geredet wird, was neue Spiele bedeuten, wenn man solch eine Nazivergangenheit hat wie Berlin mit Olympia 1936. Satire muss nicht gefallen, muss nicht schön und hintersinnig sein. Satire darf alles und sie hat auch das Ziel, eben nicht zu gefallen. Das kann auch provozieren. (…) Ich würde der Olympiakampagne nie vorwerfen, dass sie es wie 1936 macht. Ich will nur sagen: Guckt mal, Berlin 1936, da war doch was, da müssen wir hingucken. Die Sportstätten stehen ja auch noch. Man muss den richtigen Umgang mit der Vergangenheit finden. Momentan erleben wir eine künstliche Jubelstimmung. Den 50 Prozent der Berliner, die die Spiele nicht wollen, trichtert man in einer großen Kampagne ein: Wir wollen die Spiele!“ („Guckt mal, Berlin 1936, da war doch was“, in zeitonline 11.2.2015). Zur Olympiastimmung in Berlin sagte Nebel: „… da springt kein Funke über, obwohl da sehr viel Geld und Kraft reingesteckt werden. Diese Kampagne wirkt verzweifelt“ (Ebenda). Nun sind die Motive mit dem original Berlin-2024-Logo wieder im Netz: „Es können jetzt schon Kosten auf uns zukommen. Aber das Thema ist durch die Abmahnung viel größer geworden, größer als die eigentliche Satire. Selbst internationale Medien berichten. Ich weiß nicht, ob sich das Land Berlin damit einen Gefallen getan hat“ (Ebenda).

Martin Delius von der Piratenfraktion im Berliner Senat schrieb auf seiner Webseite: “Die Selbst-Mach-Plakate ähnelten doch sehr den Plakaten für Olympia 1936. Das war gewollt und als Satire gekennzeichnet. Der Deutsche Olympische Sportbund nahm das nicht ganz so sportlich, meldete sich beim Senat und fragte nach was das soll? Der hatte dann nichts Eiligeres zu tun als die Blogger abzumahnen. Das ist unsouverän und unfair. Hier greift der Staat in die Pressefreiheit ein, die der Regierende Bürgermeister noch vor kurzem auf dem Pariser Platz verteidigen wollte. Frechheit. Einziger Grund: Der DOSB darf nicht böse sein, sonst dürfen wir uns nicht bewerben. Wohlgemerkt auf Spiele, die die Berlinerinnen und Berliner wahrscheinlich eh nicht wollen und für die wir nicht in der Lage sind, ein vernünftiges Konzept aufzustellen. Schöne Reklame. Der Senat und allen voran der Regierende müssen sich umgehend bei metronaut.de entschuldigen und die Anwälte zurückpfeifen“ (martindelius.de 10.2.2015; Hervorhebung WZ).
Dazu ein Kommentar von Markus Kompa: “Der Berliner Senat sowie ein Sport-Propagandist haben das Blog METRONAUT wegen einer bissigen Satire auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Abmahner störten sich an einer ungebetenen Hilfestellung für die Olympia-Bewerbung für 2024, die sich der Plakatmotive zu den Spielen von 1936 bediente. So sah man bis gestern Abend das impertinent bevormundende ‘Wir wollen die Spiele’-Logo der Olympia-Lobbyisten auf Propaganda-Bildern in Breker/Riefenstahl-Ästhetik. Die Satire erweckte den Anschein, als seien die neuen Plakate zur Olympia-Bewerbung der Presse vorgestellt und als bewusst provokant vermittelt worden. (…) Die Metronauten nahmen vorläufig den Namen des Sport-Propagandisten sowie das Logo aus dem Text. Ob die geforderte Unterwerfungsgeste geleistet wird, oder ob man sich auf den juristischen Stafettenlauf nach Karlsruhe einlässt, wird sich erweisen. Doch auch der Berliner Anwalt der Reichen und Schönen hat einen Hürdenlauf vor sich. So muss er ein Gericht finden, das die Satire nicht als solche erkennen möchte. Der Abmahnung zufolge will er dem Gericht auftischen, METRONAUT hätte den Text tatsächlich dem Propagandisten untergeschoben. Sportsfreunde des als krawallig bekannten Blogs werden einen solchen Eindruck eher nicht gewinnen” (Kompa, Markus, Neue olympische Sportart: Extrem-Abmahnen. Berlin versteht bei Olympia-Bewerbung keinen Spaß, in heise.de 10.2.2015).
Matern Boeselager schrieb im Vice Channel: “Der Berliner Senat hat sich stattdessen dafür entschieden, die Berliner einfach mit einer Brachial-Kampagne zu überrollen. Seit Januar hängen an jedem freien Fleckchen Plakate, auf denen immer wieder ‘Wir wollen die Spiele’ steht—als könnte man es der bockigen Bevölkerung so einbläuen, was sie zu wollen hat. Das ging natürlich einer Menge Menschen auf die Nerven. Dazu gehören auch die Blogger von metronaut, die reagierten, indem sie den Schriftzug der Kampagne kurzerhand auf die alten Plakate der Sommerspiele 1936 klebten. Darauf hat nun wiederum der Senat reagiert, und zwar in der souveränsten Form, mit der ein Staat überhaupt mit Satire umgehen kann: mit einer Unterlassungsklage per Anwalt, von denen den Bloggern gestern Nachmittag gleich zwei ins Büro flatterten” (Boeselager, Matern, Der Berliner Senat hat einen Blog verklagt, weil er sich über die Olympia-Kampagne lustig gemacht hat, in vice.com 10.2.2015).
Sebastian Heiser kommentierte in der taz: „Die Abmahnung des Senats ist ein Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Jahren blüht: Die Interessen des Internationalen Olympischen Komitees gehen über alles. (…) Das IOC hat totalitäre Vorstellungen von den Spielen. Alles soll im rechten Licht erstrahlen, niemand soll stören, vor allem nicht beim Geldverdienen. Es will die absolute Kontrolle über alles, was mit den Spielen zusammenhängt. Die ansonsten geltenden Regeln gelten nicht. (…) Man muss es so deutlich sagen: Die Olympischen Spiele, so wie das IOC sie sich vorstellt, sind für rechtsstaatliche Demokratien einfach ungeeignet“ Heiser, Sebastian, Olympia über alles, in taz.de 11.2.2015).

Metronaut.de antwortete am 10.2.2015:
„Olympia-Satire: Wir unterzeichnen keine Unterlassungserklärung und stellen die Motive wieder online“ (zum Beitrag: hier)
Metronaut wird auf die gestrigen Abmahnschreiben und den Versuch Satire aus dem Netz zu kriegen keine Unterlassungserklärung abgeben. Es handelt sich um eine zulässige Meinungsäußerung, die nicht untersagt werden kann. Diese ist als Satire erkennbar. Aus diesem Grund nehmen wir auch die beanstandeten satirischen Olympia-Motive wieder online.
Wir haben seit Beginn der Auseinandersetzung Anwälte eingeschaltet. Unsere Anwälte haben nun ein Abwehrschreiben an die gegnerische Seite verfasst. Dort heißt es u.a.:
Dabei haben Sie offenbar nicht sehen wollen, dass es sich bei dem von Ihnen beanstandeten Beitrag um eine entsprechend kenntlich gemachte und ohne weiteres auch als sich heraus als solche erkennbare Satire handelt. Selbst wenn Ihnen die Kennzeichnung durch das deutlich sichtbare Wort „Satire“ entgangen sein sollte, hätte Ihnen doch spätestens bei den Plakatmotiven mit Wehrmachts- und Hitlerjungenuniformen (Seite 4 Ihres Ausdrucks, dort zweite Reihe) auffallen können, dass der Beitrag nicht ernst gemeint sein kann… Legt man die geschilderten Maßstäbe zugrunde und entkleidet den hier im Streit stehenden Beitrag seines äußeren Gewandes, so verbleibt als Kernaussage eine Kritik an der Geschichtsvergessenheit der Kampagne des Senats für die Olympiabewerbung […]. Die Satire hat den Zweck, den Betrachter auf den historischen Zusammenhang der gegenwärtigen Olympia-Bewerbung hinzuweisen und die gegenwärtige Werbekampagne kritisch zu hinterfragen. Dabei handelt es sich zweifelsohne um eine zulässige Meinungsäußerung, die nicht untersagt werden kann. Die Einkleidung ist ihrerseits als Satire erkennbar, so dass auch sie nicht Gegenstand eines isolierten Verbots sein kann.
Die Redaktion von Metronaut freut sich, dass nun offen und kritisch über die Vergangenheit olympischer Spiele in Berlin diskutiert werden kann: “Satire muss wehtun, sie muss nicht elegant sein, aber sie soll Nachdenken auslösen”. Diesen Nachdenkprozess hat das Land Berlin durch sein harsches Vorgehen gegen Satire jetzt unbeabsichtigt verstärkt.
Der Fall beschäftigt mittlerweile auch das Berliner Abgeordnetenhaus. Nicht nur die Fraktion der Piraten befasst sich mit dem Fall. Klaus Lederer von der LINKEN hat heute unter dem Titel “Plant der Senat eine Kennzeichnungspflicht für Satire?” eine lesenswerte schriftliche Anfrage an den Senat gestellt. Dort heißt es zum Beispiel in Frage 4: „Traut der Senat der kritischen Öffentlichkeit zu, Plakate im darstellerischen Stil der 1930er Jahre, deren Anlehnung an die Propagandakunst der NS-Zeit auf der Hand liegt, von „echten“ Olympiawerbemedien des Senats zu unterscheiden und diese – völlig unabhängig von der Frage, ob die Darstellung durch sie als gelungen oder geschmacklos aufgenommen wird – insoweit als Satire aufzufassen?
Und in Frage Frage 7: Ist der Senat der Ansicht, dass Satire nur dann akzeptabel ist, wenn sie in die öffentliche Auseinandersetzung „in angemessener und sachgerechter Weise“ eingreift? Wenn ja: Welche Verwaltung im Land Berlin ist zur Entscheidung darüber berufen, ob dieser Rahmen eingehalten worden ist?“

 

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