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Graubünden gegen Olympische Winterspiele

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Okt 172010
 
Zuletzt geändert am 30.10.2010 @ 13:11

17.10.2010

Am 14.10.2010 präsentierte bild.de unter der Überschrift Unser Traumpaar für Olympia Katarina Witt und Thomas Bach als „die Schöne und das Superhirn“. Einige Aussagen des „Superhirns“ in diesem Interview sollen im folgenden näher beleuchtet werden.

Superhirn zum Vorwurf der Naturzerstörung: „Weit über 90 Prozent der Sportstätten sind schon vorhanden.“

Das ist schlicht und ergreifend falsch und wird nicht richtiger, auch wenn es gebetsmühlenartig wiederholt wird. Die Bewerbungsgesellschaft München 2018 schrieb am 20. Juli 2010 in einer Pressemitteilung, dass von 15 Sportstätten in München sieben fehlen; davon sollen vier temporär errichtet , also nach den Spielen abgerissen werden. In Garmisch-Partenkirchen wird inzwischen das Olympische Dorf und in Murnau die Unterkünfte für die Journalisten temporär geplant. Und in Schwaiganger müssen alle Anlagen wie Tribünen, Loipen, Schießstände, Beschneiungsanlagen und Parkplätze neu gebaut werden – das meiste soll ebenfalls „temporär“ sein, d.h. es soll nach dem 17 Tage-Spektakel wieder abgerissen werden: Dafür werden aber Wald gerodet, Wiesen planiert und Biotope „tangiert“.

Superhirn zu Protesten der Garmisch-Partenkirchner Bauern: „Das IOC selbst hat eine Umfrage gemacht, bei der eine Zustimmung von 70 Prozent herauskam.“

Drei Möglichkeiten gibt es: a) Diese IOC-Umfrage ist so geheim, dass sie nie in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Selbst die „Projektleiterin Kommunikation“ der Bewerbungsgesellschaft, Anna Lena Mühlhäuser, schrieb in einer Email am 27.7.2010: „Wir haben leider keine Informationen, wann und unter welchen Umständen diese Umfrage stattgefunden hat.“ b) Diese IOC-Umfrage gibt es gar nicht. c) Superhirn meint die Umfrage vom Sportinformationsdienst (SID), bei der ausschließlich Sportinteressierte befragt wurden, deren Ergebnis also nicht verallgemeinerbar ist.

Siehe auch unter Aktuelles: http://www.nolympia.de/2010/09/vorsicht-mit-statistiken-die-man-nicht-selbst-gefälscht-hat/

Superhirn über „Miesepeter“: „Wir sind in Deutschland in einer gesellschaftlichen Situation, in der Bedenkenträger ein großer Stellenwert eingeräumt wird.“

Als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und IOC-Vizepräsident scheint Bach wenig von demokratischen Prozessen zu halten, Statt der „Bedenkenträger“ sind wohl eher Bedenkenlose und Risikobereite, Hochstapler und Pleitiers, Verharmloser und Gesundbeter gefragt.

Superhirn zu den Kosten: „Olympia wäre eine Investition in die Zukunft. Für die Jugend, gegen Bewegungsarmut, für die Integration in diesem Land. Für die Infrastruktur in Bayern wäre es ein Quantensprung.“

Investition in die Zukunft? Mit zig Milliarden für vier Wochen olympischen Rummels und Spitzensport werden an anderer Stelle Zukunft und Breitensport verhindert. Gegen Bewegungsarmut? Die IOC-Sponsoren McDonald’s und Coca Cola sorgen am ehesten für die Fettleibigkeit der Jugend, die sich die Wettkämpfe auch noch vor dem Fernseher ansieht. Integration? Hochleistungssport sorgt nicht für Integration, sondern für Spezialisierung einer winzigen Minderheit. Infrastruktur? Die geplanten Milliarden für den Autobahnausbau nach Garmisch-Partenkirchen würden in anderen Landesteilen Bayerns und beim Ausbau des Schienenverkehrs fehlen. Die Milliarden könnten wesentlich sinnvoller eingesetzt werden.

Superhirn zu einer konkreten Kostensumme: „Da muss man unterscheiden. Zunächst ein Organisations-Budget, das nach den Erfahrungen der vergangenen Winterspiele mit einer schwarzen Null abschließen wird.“

Die schwarze Null des Organisationsbudgets wird seit langem zurechtgetrickst. Was zu teuer kommt, wird vom Organisationsbudget (OCOG-Budget) in das Nicht-Organisationsbudget (Non-OCOG-Budget) verschoben, wo sich die Kosten für die unverantwortbaren olympischen Bauwerke und Maßnahmen dann auf Milliarden addieren. Dafür muss der Steuerzahler aufkommen.

Superhirn weiter: „Und dann gibt es Infrastruktur-Projekte, die nur beschleunigt werden: Die werden sowieso kommen, auch ohne Olympia.“

Das ist die Standard-Irreführung des IOC und des DOSB, die von der Bundesregierung, der bayerischen Staatsregierung, des Münchner Oberbürgermeisters und aller sonstigen Entscheider übernommen wurde.

Straßenbau-Projekte wie die Ausbauten an der Autobahn A 95 mit Wanktunnel und Kramertunnel rangierten zunächst im Bundesverkehrswegeplan 2003 noch sehr weit hinten, nämlich unter „Weiterer Bedarf“. Das bedeutet: Planungsbeginn frühestens 2015, falls überhaupt. Beim Kramertunnel (140 Millionen Euro) wurde plötzlich die Ski-Weltmeisterschaft 2011 im Planungsprozess als Beschleunigungsvehikel genommen: Der offizielle Baubeginn war dann im Juli 2010. Und für München 2018 sollen plötzlich Wanktunnel (120 Millionen Euro), Auerbergtunnel und Westumfahrung Oberau (240 Millionen Euro) realisiert werden.

Alle temporären Sportstätten (inzwischen ein Drittel aller Sportstätten) müssen wieder abgerissen werden. Hunderte Hektar mit Parkplätzen und technischer Infrastruktur plus feste Installationen von Schneekanonen für Schwaiganger müssen rückgebaut werden. Dreistes Argument in diesem Zusammenhang: Es handle sich dabei um öffentliche Grundstücke und öffentliche Gelder: als ob dies keine Steuergelder seien, die von allen Steuerzahlern aufgebracht werden müssen.

Superhirn zu den Problemen Armut und alte Menschen: „Wir geben diesen Bedenken zu viel Raum. Wir reden die Probleme herbei, statt unsere großen Chancen zu sehen.“

Unsere großen Chancen liegen darin, dem IOC und dem DOSB Milliarden öffentlicher Gelder in den Rachen zu werfen, die dann an anderer Stelle wieder eingespart werden müssen. In Vancouver (Olympische Winterspiele 2010, falls schon vergessen) wurden wegen der Verschuldung durch die Spiele gerade Sozialleistungen und Kulturangebote gestrichen. Teile des Olympischen Dorfes, die als günstige Mietwohnungen angekündigt waren, werden nun als Eigentumswohnungen verscherbelt. Und in London (Olympische Sommerspiele 2012) wurden die Kosten zunächst mit weniger als vier Milliarden Dollar angegeben; inzwischen ist man bei 19 Milliarden Dollar angelangt.

Die Kritiker Olympischer Spiele reden keine Probleme herbei: Ihre Warnungen sind mehr als berechtigt, während die von Bach angesprochenen Chancen geradewegs in das ökologische und ökonomische Desaster führen.

Nicht nebenbei:

Im Juli 2010 wurde der frühere Präsident des Deutschen Alpenvereins, Heinz Röhle, putschartig aus dem Amt gedrängt. Seitdem kann man eine Art olympische Gleichschaltung im deutschen Sportgeschehen beobachten. So lud am 13. Oktober 2010 die Stadt München in Abstimmung mit der Bewerbungsgesellschaft alle 625 Vertreter der Münchner Sportvereine in den Olympiapark ein: 300 kamen. Die unvermeidbare Ex-Stasi-Mitarbeiterin Katarina Witt und der unvermeidbare Oberbürgermeister Ude waren als Promotoren vor Ort. Und als die vorauszusehende Abstimmung erfolgte, waren nur sieben Vereinsvertreter so mutig, gegen die Bewerbung zu stimmen. (Ein Bravo den sieben!)

Gleichzeitig sah „München 2018“-Geschäftsführer Bernhard Schwank „keinen generellen Widerstand mehr gegen die Winterspiele“ und kündigte die nächsten (sündteuren) Aktivitäten an: „Wir starten dieser Tage unsere Werbekampagne mit verschiedenen Maßnahmen – vom Fernsehspot über Zeitungsanzeigen bis hin zu Auftritten bei Veranstaltungen. Unser Eventkalender ist randvoll“ (merkur-online 15.10.2010). Das Geld dafür kommt auch von vielen Unternehmen der öffentlichen Hand, die hier als Sponsoren auftreten, z.B. Flughafen München, Finanzgruppe Sparkassen, Lotto Bayern, Stadtwerke München, Messe München, Olympiapark München sowie von Darlehen der Öffentlichen Hand in Millionenhöhe.

Bedingt durch Denkverbote und Fraktionszwang winkte der Bayerische Landtag in einer größtmöglichen Koalition aus CSU-SPD-FDP-FW am 14. Oktober 2010 das „Olympiagesetz“ durch, das unter anderem eine „unbegrenzte Haftung“ des Landes Bayern für die finanziellen Kosten von München 2018 einräumt. Und im vorauseilendem Gehorsam wurden gleich sämtliche diktatorischen Nebenverträge des IOC mit gebilligt. Der olympische Vollrausch griff um sich.

Die Politik beugt sich einer Handvoll Sportfunktionäre, die in der Tradition des verstorbenen IOC-Präsidenten Samaranch agieren. Die Olympische Invasion geht weiter.

Wolfgang Zängl

Vergleiche auch: Kritisches olympisches Lexikon -> Thomas BachQuelle:
Bewerbungsgesellschaft München 2018, München 2018 gibt Antworten auf Irrtümer zur Bewerbung, PM 20.7.2010
Brügelmann, Matthias, Sulzer, Thomas, Unser Traumpaar für Olympia, bild.de 14.10.2010
Hoffmann, Nadja, Für Olympia: Neue Tunnel an A95, in merkur-online.de 28.1.2010
Kristlbauer, Matthias, Holzapfel, Matthias, „Ich sehe keinen Widerstand mehr“, in merkur-online 15.10.2010
Krügel, Christian, Im Verein für die Spiele, in SZ 15.10.2010

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